20 Jahre ist's her: EU-Sanktionen gegen Österreich
Es war die erste veritable interne Krise, welche die EU im Zusammenhang mit der Wahrung europäischer Werte in einem EU-Mitgliedsland auszufechten hatte: Vor 20 Jahren, am 31. Jänner 2000, beschlossen die damaligen 14 EU-Partner wegen der Regierungsbeteiligung der von Jörg Haider geführten FPÖ "bilaterale Maßnahmen" gegen die schwarz-blaue Koalition unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP).
In der Erklärung der portugiesischen EU-Präsidentschaft vier Tage vor Angelobung der ÖVP-FPÖ-Regierung war zwar von "Sanktionen" keine Rede. Dennoch war die ins Fenster gestellte Rute beispiellos in der Geschichte der Gemeinschaft. "Die Regierungen der 14 Mitgliedsstaaten werden keinerlei offizielle bilaterale Kontakte auf politischer Ebene mit einer österreichischen Regierung unter Einbindung der FPÖ betreiben oder akzeptieren", drohten die EU-Partner der sich formierenden Regierung in Wien.
Weitere Ansage: "Es wird keine Unterstützung für österreichische Kandidaten geben, die Positionen in internationalen Organisationen anstreben", und: "Österreichische Botschafter werden in den EU-Hauptstädten nur noch auf technischer Ebene empfangen." Mit einer Regierung unter Einbeziehung der FPÖ, stellten die EU-14 fest, werde es "kein business as usual" geben.
Im Gegensatz dazu distanzierte sich die EU-Kommission von Anfang an von den Maßnahmen: Sie teilte zwar die Sorge vor einer FPÖ-Regierungsbeteiligung, erhielt aber die Arbeitsbeziehungen zu Österreich normal aufrecht.
Die ersten Alarmglocken in der Union läuteten bereits während der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ. Belgien forderte einen Sonder-Außenministerrat der EU. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac warnte vor einer Koalition mit den Freiheitlichen. Sowohl in Frankreich als auch in Belgien waren Rechtsaußenparteien nach FPÖ-Vorbild auf dem Vormarsch.
Mit der Vereidigung der Regierung am 4. Februar traten die Sanktionen der EU-14 in Kraft. Als die österreichische Ressortchefin Elisabeth Sickl (FPÖ) beim informellen Treffen der Arbeits- und Sozialminister in Lissabon das Wort ergriff, verließen die Kolleginnen Martine Aubry und Laurette Onkelinx aus Frankreich und Belgien den Saal. Die Sanktionen blieben weitgehend symbolisch, ihre Wirkung in Österreich war allerdings kontraproduktiv: Die Europa-Skepsis der Österreicher stieg laut den Eurobarometer-Umfragen massiv.
Westentaschen-Napoleon
"Neun Monate, an Dramatik nicht zu überbieten", lautet das Fazit der damaligen Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP), die mit ihrem "Kampflächeln" gute Stimmung unter den EU-14 zu machen versuchte. Sie resümierte später, die Regierungsmitglieder hätten "die Brüskierungen würdig durchgestanden".
Im Gegensatz zu Ferrero-Waldner goss Haider, der im Februar vom FPÖ-Vorsitz zurücktrat, noch Öl ins Feuer: Beim Politischen Aschermittwoch der Freiheitlichen im März bezeichnete er Chirac als "Westentaschen-Napoleon des 21. Jahrhunderts".
Schüssel forderte in Österreich mit wachsendem Erfolg einen "nationalen Schulterschluss" gegen die EU-14. Im Rückblick erklärte der Altbundeskanzler in einem APA-Interview: "Bevor die Regierung überhaupt gebildet wurde, haben die 14 anderen Mitgliedstaaten Maßnahmen oder Sanktionen gegen uns gesetzt.
Das war präventiv. Sie wollten damit eine demokratisch legitimierte Regierung verhindern. Das ist zurecht mit einer krachenden Bauchflecklandung geendet. Und daraus wurden auch Lehren gezogen."
Aufgehoben wurde die diplomatische Isolation Österreichs durch die EU-14 sieben Monate später am 12. September 2000 nach Prüfung einer entsprechenden Empfehlung durch einen dreiköpfigen Weisenrat. Finnlands Ex-Präsident Martti Ahtisaari, der deutsche Völkerrechtler Jochen Frowein und der frühere spanische EU-Kommissar Marcelino Oreja stellten fest, dass die österreichische Regierung für die europäischen Werte eintritt und die Rechtslage der anderer EU-Staaten entspricht.
Die FPÖ wurde als "populistische Rechtspartei mit radikalen Elementen" charakterisiert, der Weisenrat kritisierte auch fremdenfeindliche Aussagen aus der Partei. Die Maßnahmen seien aber kontraproduktiv und hätten in Österreich nationalistische Gefühle hervorgerufen. Für alle Beteiligten war der Weisenrat eine Exit-Strategie, um aus der verkorksten Lage wieder herauszukommen.
Im Dezember 2000 beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs in Nizza, sich fixe Regeln zu geben, um künftig ähnliche Situationen zu vermeiden. Der "Sanktionsartikel" im EU-Vertrag wurde durch ein Anhörungsrecht des "Sünderstaates" ergänzt, den die Partner der Verletzung europäischer Grundwerte verdächtigen.
Damit sollen vergleichbare "Hüftschüsse" verhindert werden. Heute ist das Artikel-7-Verfahren geltendes EU-Recht, mit Anhörung und Warnung. Die Konflikte um die Wahrung europäischer Grundwerte zu lösen, ist der EU allerdings bis heute nicht gelungen, wie die Verfahren gegen Polen und Ungarn zeigen.