"Würstelkrieg" mit EU führt zu Fleischmangel in Nordirland
Von Georg Szalai
In Großbritannien und seiner früheren Unruheprovinz Nordirland geht es dieser Tage wirklich um die Wurst. Wegen Brexit-Streitereien sprechen britische Medien fast täglich vom drohenden „sausage war“ – also „Würstelkrieg“ – mit Brüssel, der auch den G7-Gipfel in Cornwall überschattete.
Das Brexit-Abkommen verbietet ab Juli die Lieferung britischer Fleisch- und Wurstwaren, die nicht EU-Lebensmittelstandards entsprechen, aus anderen Landesteilen nach Nordirland, das de facto Teil des EU-Markts geblieben ist. So sollten Kontrollen von Waren aus und ins EU-Mitglied Irland und neue Konflikte zwischen unionistischen Protestanten und republikanischen Katholiken verhindert werden.
"Völliger Unsinn"
Obwohl Boris Johnsons Regierung den Brexit-Deal verhandelt hatte, meinte sein Umweltminister kürzlich, dass das Wurst-Verbot „völliger Unsinn“ sei.
Um aber vor der Sommer-Grillsaison die Hitze der Wortgefechte herunterzufahren, bat London vor dem Wochenende, die Übergangsfrist bis Ende September zu verlängern; weitere Gespräche sollen folgen.
Die EU prüft den Antrag, warnte aber, die Briten würden sich die Finger verbrennen, wenn sie das Abkommen nicht vollständig umsetzen. Brüssel hat nach Londons einseitigem Aussetzen diverser Brexit-Kontrollen rechtliche Schritte eingeleitet. Manche warnen vor Strafzöllen.
Sollte die EU nicht mitspielen, hat London sich die einseitige Verlängerung der Wurst-Frist vorbehalten. Brexit-Minister David Frost kritisiert Brüssel für die „puristische“ Auslegung des Abkommens, mit dem man Zusammenarbeit und Konflikte auf Sparflamme hatte halten wollen.
„Yes Minister“
Ein Würstelmangel würde dem Geiste des Deals und „den Interessen der Menschen in Nordirland zuwiderlaufen“, argumentiert London. So mancher fühlt sich da an die alte BBC-Sitcom „Yes Minister“ erinnert, in der ein fiktiver Premier einen erfundenen Wurst-Streit gegen Eurokraten führt.
Politische Wirren
In Nordirland drohen unterdessen durch den Brexit erhitzte Gemüter die fragile politische Lage weiter zu destabilisieren.
Nur 21 Tage nach seiner Ernennung zum Chef der unionistischen DUP, der stärksten Partei in Nordirland, hat Edwin Poots seinen Rücktritt angekündigt. Gegen den Willen seiner Fraktion hatte er seinen Zögling Paul Givan zum Regierungschef ernannt und einen Kompromiss mit der katholischen Sinn Fein zum Status der irischen Sprache erreicht.
Poots wollte die Rhetorik gegen die von vielen DUP-Anhängern kritisierten Brexit-Regeln, durch die sie sich vom Rest des Landes isoliert fühlen, nach einem Putsch gegen Ex-Partei- und Regierungschefin Arlene Foster verschärfen. Sein Abgang hat aber eine Debatte über Givans Zukunft und mögliche Neuwahlen entfacht.
Marschsaison
Experten warnen auch vor dem politischen Pulverfass der nordirischen Marschsaison. So erinnern am 12. Juli Mitglieder des protestantischen Oranier-Ordens an eine Schlacht von 1690, die die protestantische Vorherrschaft in Nordirland besiegelte.
Im April entluden sich Brexit-Spannungen in der Provinz in Ausschreitungen vorwiegend junger Protestanten.