Warum es in Schweden jetzt zu einer Regierungskrise kommen könnte
Von Caroline Ferstl
Völlig überraschend hat die Türkei am Dienstagabend ihr Veto gegen den NATO-Beitritt Schwedens und Finnland gekippt. Die Einsicht ist natürlich nicht ganz selbstlos: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat Bedingungen gestellt, die die nordischen Länder zu erfüllen haben. Und diese scheinen sich zu erfüllen.
Nach einem vierstündigen Gespräch am Dienstag zwischen der Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö und Erdoğan in Madrid, stimmten die Länder einem Memorandum zu.
Finnland und Schweden versprachen, Waffenlieferungen an die Türkei möglich zu machen, verstärkt gegen die PKK vorzugehen, und die kurdische Miliz YPG in Syrien nicht zu unterstützen. Der türkische Staat und militante Kurdenorganisationen führen seit Jahrzehnten bewaffnete Konflikte um eine geforderte Autonomie für die Kurden in der Türkei.
Türkei verlangt Auslieferung von 33 "Terroristen"
Auch ein Auslieferungsabkommen soll geschlossen werden, in Übereinstimmung mit europäischem Recht. Erdogan verlangt aktuell die Auslieferung von 33 "Terroristen": 21 aus Schweden, 12 aus Finnland.
Schwedens Verteidigungsministerin Ann Linde garantierte, dass Schweden keine Menschen abschiebe, die nicht nachweislich Terroristen seien. "Wir werden keine Auslieferungen vornehmen, wenn es keine Beweise für terroristische Aktivitäten gibt", wird sie in den schwedischen Medien zitiert. Es gebe keinerlei Grund für Kurden zu glauben, dass ihre Menschenrechte oder ihre demokratischen Rechte beschnitten würden.
Misstrauensantrag
Eine wilde Abgeordnete im schwedischen Reichstag scheint das nicht zu glauben, und kündigte ein Misstrauensvotum gegen die Außenministerin an. Amineh Kakabaveh ist nicht irgendwer: Sie hat aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse im schwedischen Parlament derzeit eine besondere Machtposition inne.
"Es ist ein schwarzer Tag in der politischen Geschichte Schwedens, dass wir mit einer islamischen Diktatur verhandeln", sagte Kakabaveh.
Die parteilose Abgeordnete ist kurdisch-iranischer Abstammung und hat in vielen Entscheidungen bisher immer die Ministerpräsidentin unterstützt. Im Gegenzug forderte sie mehr Anerkennung und Zusammenarbeit der kurdischen Minderheit in Schweden - und dem Rest der Welt. Dieser "Deal" scheint jetzt gekippt zu sein.
Im Reichstag stehen sich aktuell 174 regierende Mitte-links- und 174 oppositionelle Mitte-rechts-Abgeordnete gegenüber. Die 51-Jährige Abgeordnete ist damit in vielen Entscheidungen das Zünglein an der Waage.
Für einen erfolgreichen Misstrauensantrag bräuchte sie aber die Unterstützung von anderen Parteien. Sowohl die Grünen als auch die Linkspartei haben die Regierung nach dem Abkommen mit der Türkei kritisiert. Märta Stenevi, eine der beiden Vorsitzenden der Grünen (MP), forderte Linde auf, schnellstmöglich im Außenausschuss Rede und Antwort zu dem Abkommen zu stehen. Ob die bürgerliche Opposition mitstimmt, ist fraglich, sie befürwortet einen NATO-Beitritt.