Regieren oder nicht: Erste Zerreißprobe für Wagenknechts Bündnis?
Von Caroline Ferstl
Das ostdeutsche Thüringen mit seinen rund 2,1 Millionen Einwohnern erhält normalerweise nur wenig Beachtung in der Bundespolitik. Doch aktuell wirkt es, als würde die Thüringer Landespolitik in Berlin gemacht. Genau davor hatte man schon vor der Landtagswahl Anfang September gewarnt; befürchtet wurde, dass sich vor allem eine bestimmte Bundestagsabgeordnete und Parteichefin einmischen würde: Sahra Wagenknecht, deren Bündnis bei der Wahl aus dem Stand hinter AfD und CDU drittstärkste Kraft wurde.
Zur Erinnerung: Die in Thüringen als rechtsextrem eingestufte AfD holte bei der Wahl Anfang September 32,8 Prozent; alle anderen Parteien hatten bereits vor der Wahl eine Koalition mit ihr ausgeschlossen. Seit Wochen laufen die Sondierungsgespräche zwischen CDU, Bündnis Sahra Wagenknecht und SPD – eine Schwarz-lila-rote Koalition steht im Raum. Die Farben erinnern an eine Brombeere, weswegen die Option auch "Brombeer-Koalition" genannt wird. Eine derartige Koalition wäre aber nicht nur wegen der fehlenden Mehrheit im Landtag (eine Koalition hätte 44 von 88 Sitzen) riskant, sondern auch, weil es zahlreiche Streitpunkte gibt, darunter vor allem einen: Deutschlands Unterstützung der Ukraine. Der Kampf wird allerdings mehr in Berlin ausgetragen als in Erfurt.
Wagenknecht stellt Bedingungen aus Berlin
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht stellte von dort aus zuletzt die Bedingung auf, dass sich die Thüringer Landes-CDU von ihrem Parteichef Friedrich Merz distanzieren müsse, nachdem dieser in einer Bundestagsrede einmal mehr eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine befürwortet und damit "einen Kriegseintritt Deutschlands gegen Russland gefordert hat", so interpretierte es zumindest die russland-freundlich gesinnte Wagenknecht. Man könne "mit seiner Partei nur in Koalitionen eintreten, wenn die Landesregierung sich von solchen Positionen klar abgrenzt", zitiert der Spiegel Wagenknecht.
Als "abenteuerlich" und "schäbig" wurden die "Querschüsse" aus Berlin von der CDU in Thüringen bezeichnet; die SPD warf Wagenknecht "Erpressung" vor. Überhaupt sei die Stimmung in Thüringen weniger feindlich als in Berlin. Dort werden die Gespräche in Berichten als "harmonisch" bezeichnet. Der Thüringer BSW-Landesvorsitzenden Katja Wolf wird von den anderen Parteien Pragmatismus und Effizient bescheinigt.
Das Thema Friedenspolitik soll in den Gesprächen bisher allerdings ausgespart worden sein. Die Sondierungspapiere sehen jedoch eine Passage dazu in einem potenziellen Koalitionsvertrag vor.
Möglich ist etwa ein im Koalitionsvertrag verankertes Nein zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Thüringen – was angesichts des 1990 unterzeichneten Zwei-plus-Vier-Vertrags sowieso verboten ist.
Landesverband will regieren – und Wagenknecht?
Während Wolf in Interviews immer wieder betont, dass ihre Partei Regierungsverantwortung übernehmen will, werden angesichts der Wortmeldungen Wagenknechts aus Berlin auch wieder Vermutungen laut, dass Wagenknecht gar nicht regieren will. Ihr eigentliches Ziel: der Einzug in den Bundestag bei der Wahl im Herbst 2025, der von der Opposition aus ihrer Sicht wohl leichter gelänge als von der Regierungsbank. Die Zeit-Journalistin Mariam Lau unterstellt Wagenknecht auch, nach Linke und SPD nun die CDU vor der Bundestagswahl mit dieser Streitfrage bewusst angreifen und "kaputt machen" zu wollen.
Eine Partei hat sich bei den ganzen Gesprächen bisher im Hintergrund gehalten, wartet wohl nur auf ein krachendes Scheitern. Sie war die eigentliche Siegerin der Landtagswahl: der Landesverband der AfD des Rechtsextremisten Björn Höcke.
Mögliche BSW-Regierungsbeteiligung auch in Sachsen und Brandenburg
Auch wenn sich eine "Brombeer-Koalition" zusammenraufen würde, wäre da immer noch die fehlende Mehrheit im Landtag. Die "Brombeere" wäre auf mindestens eine Stimme der Opposition, also von der Linkspartei oder der AfD, angewiesen. Ein parteiinterner Beschluss verbietet der CDU eigentlich eine Koalition mit beiden Parteien, hat jedoch eine Tolerierung einer von der Linkspartei geführten Minderheitsregierung in der vergangenen Legislaturperiode nicht verboten. Dass die CDU für eine Regierung jetzt auf das BSW mit zahlreichen Ex-Linken angewiesen ist, hat bereits und sorgt noch immer für Kritik innerhalb der Union.
Thüringen beschäftigt jedenfalls – nicht nur Berlin, sondern auch Sachsen und Brandenburg, wo ähnliche Koalitionsmöglichkeiten zwischen CDU, BSW und SPD angedacht, und wohl kaum für weniger Spannungen zwischen den Landesverbänden und Berlin sorgen werden.