Wie Hurrikan "Milton" die Präsidentschaftswahl entscheiden kann
Von Dirk Hautkapp
Zupackendes Krisen-Management und effektive Katastrophenhilfe ist der Lackmustest für die Führungsqualitäten von Präsidentschaftskandidaten in den USA. Vor allem dann, wenn wenige Wochen vor der Wahl das Rennen um das Weiße Haus völlig offen ist.
Schon vor den ersten gewaltigen Flutwellen, die "Milton" voraussichtlich in der Nacht zu Donnerstag an die Golfküste Floridas geschoben haben wird, ist darum nach Ansicht von US-Wahlkampf-Analysten die These erlaubt: "Dieser Hurrikan kann auf den letzten Metern die Präsidentschaftswahl entscheiden."
Nur vor dieser Kulisse ist die kurzfristige Absage von Joe Bidens Abschiedsbesuch in Deutschland zu verstehen. Sich in Berlin mit Orden behängen und feiern zu lassen, während im Süden der Heimat der potenziell verheerendste Sturm seit 100 Jahren anrollt, hätte wie "unterlassene Hilfeleistung" ausgesehen, sagen Demokraten in Washington. "Das wäre Kandidatin Kamala Harris vor die Füße gefallen."
Als ranghöchste Beamtin der Biden-Regierung würde die Vize-Präsidentin am 5. November bei der Wahl die Hauptschuld tragen, sollten die Hilfen unzureichend ausfallen.
Lügen und Schlagabtausch
Operativ sei der Präsident zwar bei der Koordinierung der bereits angelaufenen Hilfsmaßnahmen verzichtbar, heißt es in Regierungskreisen. "Nicht aber aber Kümmerer-in-Chief, der in schwerer Stunde Kompetenz, Befehlsgewalt und Empathie zeigen muss." Zumal die atmosphärischen Rahmenbedingungen so widrig sind wie noch nie.
Überparteiliche Solidarität, wie sie in der Vergangenheit vor nahenden Naturkatastrophen jedenfalls für kurze Zeit herrschte, ist 2024 dem Kampf um schnelle parteipolitische Geländegewinne gewichen. Vor allem bei Donald Trump und den Republikanern. Sie setzen seit Tagen gezielt Lügen ein, um die Regierung in ein schlechtes Licht zu rücken.
So behauptet der Präsidentschaftskandidat, dass die seit über zwei Wochen in den umkämpften Bundesstaaten North Carolina und Georgia von Hurrikan "Helene" betroffenen Menschen sträflich vernachlässigt würden, weil Biden/Harris der Katastrophenschutz-Behörde FEMA (Federal Emergency Management Agency) Millionen-Summen weggenommen hätten. "Das Geld haben sie illegalen Migranten gegeben, damit die ihnen bei der Wahl die Stimme geben", sagt Trump. Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, der Staat lasse die von Republikanern dominierten Landstriche der Katastrophen-Gebiete links liegen, sprich: sterben.
Demokraten würden Stürme inszenieren
Selbst als die republikanischen Gouverneure gegen die Falschmeldungen protestierten und die Unterstützung der Regierung in höchsten Tönen lobten, ebbte die Flut der von Trump & Co inspirierten Hass-Beiträge in sozialen Medien nicht ab. Die Trump ergebene Kongress-Abgeordnete Marjorie Taylor Greene erklärte sogar, die Demokraten hätten die Stürme inszeniert. "Sie können das Wetter kontrollieren."
Biden warf Trump "Unveranwortlichkeit" vor. Harris sagte: "Es ist so abgeschmackt. Junge, hast du kein Mitgefühl für das Leiden anderer Leute? Hast du keine besseren Ideen, wenn du dich als künftiger Präsident bewerben willst?"
Die Ausgangslage vor "Milton" ist schwierig. Hurrikan "Helene" strapaziert die Katastrophenschützer der FEMA bereits bis an die Schmerzgrenze. Es fehlt an Personal; 7.000 Kräfte sind im Einsatz, über 500 Millionen Dollar Staatshilfe sind bereits freigegeben. Der pausierende Kongress muss weitere Gelder bewilligen.
Für Harris kommt es darauf an, gemeinsam mit Biden von der ersten Minute Handlungsfähigkeit und Übersicht zu beweisen. Das wird in Florida nicht leicht.
DeSantis verweigert Zusammenarbeit mit Harris
Trumps Heimatbundesstaat wird von Ron DeSantis regiert. Der Gouverneur, obwohl Trump in unterkühlter Feindschaft verbunden, will der Demokratin keinen Erfolg gönnen. Als Harris zu Wochenbeginn anrief, um erste Hilfsmaßnahmen zu koordinieren, verweigerte DeSantis die Annahme. Begründung: Biden sei "in charge", sie solle sich nicht einmischen.
Der Grund für De Santis` Verweigerungshaltung: Umfragen zeigen, dass der Vorsprung der Republikaner in Florida schmilzt. Allzu eifrige Kooperation, wie sie etwa Präsident Barack Obama 2012 vor Hurrikan "Sandy" mit New Jerseys republikanischem Gouverneur Chris Christie praktizierte, "könnte den Demokraten vielleicht zum Sieg verhelfen", sagen Kommentatoren in Floridas Hauptstadt Tallahassee.
Bei den politischen Grabenkämpfen gehen die Besonderheiten dieses Hurrikan fast unter. Die voraussichtlich am meisten betroffene Region Tampa-St. Petersburg-Clearwater gilt nach Risikomodellen zu den für Überschwemmungsschäden anfälligsten Flecken in ganz Amerika. Das liegt an einem flachen Festlandsockel vor der Küste und einem Trichter-Effekt in der Tampa Bay. Beides zusammen kann zu enormen Wasseransammlungen führen.
Verschärfend kommt hinzu, dass sich ein großer Teil der Bebauung auf niedrig gelegenem Boden mit kaum oder schlecht entwickelten Entwässerungssystemen befindet. Tampa Bay und Umgebung hat zudem in den vergangenen Jahren eine wahren Bauboom erlebt, der die Einwohnerzahl auf zuletzt 3,2 Millionen anwachsen ließ.
Vor 15 Jahren untersuchte die regionale Baubehörde (Tampa Bay Regional Planning Council) den hypothetischen Fall eines Sturm der Kategorie 5 namens "Hurricane Phoenix", der die Innenstadt von Tampa mit Windgeschwindigkeiten bis zu 260 km/h und einer acht Meter hohen Sturmflut heimsucht. Besagte Studie endet mit einer niederschmetternden Prognose: 2.000 Tote und Schäden im Volumen von 250 Milliarden Dollar. Wie wird die Bilanz von "Milton" aussehen?