Schusswaffengewalt: Die wahre Seuche der Vereinigten Staaten
Von Dirk Hautkapp
Er forderte Hintergrund-Überprüfungen von Waffenkäufern. Das Ende der Haftungsbefreiung der Waffen-Hersteller. Gesetze, die das sichere Aufbewahren von Waffen vorschreiben. Ein Verbot von halb automatischen Sturmgewehren (das es von 1994 bis 2004 schon einmal gab). Ein Mindestalter von 21 statt 18 Jahren beim Kauf solcher kriegstauglichen Gewehre. Und Gesetze, die es der Polizei erlauben, nach richterlichem Beschluss einer als gefährlich eingestuften Person die Waffe wegzunehmen.
All das, was der US-Präsident nach den jüngsten Tragödien mit fast 30 Toten in den Bundesstaaten New York (Supermarkt in Buffalo) und Texas (Grundschule in Uvalde) in einer leidenschaftlich-verzweifelten Rede an die Nation gefordert hat, kommt seit über 20 Jahren regelmäßig in der politischen Debatte vor.
Damals, 1999, erschossen zwei Schüler in Columbine bei Denver zwölf Mitschüler und einen Lehrer.
Seither zieht sich die sprichwörtliche Blutspur durch Amerikas Schulen und Universitäten, wo die Opfer im Polizei-Jargon als "soft targets“, als weiche (weil unbewaffnete) Ziele, bezeichnet werden. In den letzten zehn Jahre gab es nach Zahlen der Bürgerrechtsorganisation "Gun Violence Archive“ mehr als 3.500 "mass shootings“ mit jeweils mehr als vier Toten oder Verletzten. Statistisch sterben täglich rund 100 Menschen in den USA (die meisten durch Suizid) an einer Kugel.
Republikaner blockieren
Entsprechende Initiativen sind im Kongress fast ausnahmslos gescheitert. Vor allem im Senat, wo 60 von 100 Stimmen nötig wären, um eine landesweite Verschärfung durchzusetzen, stellen sich die Republikaner quer.
Die oft von der "National Rifle Association“ (NRA) mit Wahlkampfspenden in Millionenhöhe bedachten Politiker der "Grand Old Party“ blockieren selbst kosmetische Veränderungen. Ihr Tenor gegen jeden Experten-Rat: Massenmörder halten sich nicht an Gesetze.
Ihr Heiliger Gral ist das "Second Amendment“, der zweite Zusatzartikel der US-Verfassung aus dem Jahr 1791. "Da eine gut ausgebildete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates erforderlich ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden“, heißt es dort. Aus diesem einen Satz leitet sich die höchstrichterlich bestätigte Lesart ab, dass allen Amerikanern das Recht zusteht, Waffen zu besitzen und zu tragen. Auch deshalb lagern heute in US-Privathaushalten mehr als 400 Millionen Waffen.
1791 galt die Bewaffnung von Milizen in den Bundesstaaten als Faustpfand gegen potenzielle Tyrannei der Zentralregierung in Washington. Fachleute bis hin zum ehemaligen Supreme Court-Richter John Paul Stevens halten diesen Teil der Verfassung für dramatisch überholt. Kurz vor seinem Tod forderte er 2018 sogar die Abschaffung des "Second Amendment“.
Joe Biden ist noch nie so weit gegangen. Der Präsident verkörpert nach Ansicht von US-Kommentatoren das Scheitern der Demokraten im Kampf gegen die Seuche der Schusswaffengewalt. Obwohl weit über 60 Prozent der Amerikaner in Umfragen sehr klar für Maßnahmen sind, die etwas daran ändern könnten: Niemand in Washington rechnet damit, dass unter Joe Biden eine Kehrtwende eingeläutet wird.