Politik/Ausland

Über 500 Tote bei Luftangriff im Libanon, Gegenangriffe in Israel

Israel und die radikalislamische Hisbollah im Libanon haben ihre Gefechte am Dienstag fortgesetzt. Die Lage droht zu eskalieren. Das israelische Militär teilte mit, es habe Dutzende Hisbollah-Ziele im Südlibanon sowie auch in Beirut angegriffen. Mehr als 50 Geschosse seien vom Libanon aus auf den Norden Israels abgefeuert worden. Laut libanesischen Angaben wurden bei israelischen Luftangriffen bisher 550 Menschen getötet. UNO-Vertreter schlugen Alarm.

"Pfeile des Nordens"

Die israelische Armee gab dem massiven Militäreinsatz den Codenamen "Pfeile des Nordens". Das Militär teilte mit, dies habe der Generalstabschef Herzi Halevi verkündet. Israel hat Offensiven gegen seine Feinde immer wieder solche Codenamen verliehen, etwa auch im Fall der Kriege gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen. Es kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass der Einsatz im Libanon noch fortdauern wird.

Israels Militär führte außerdem einen Luftangriff in der libanesischen Hauptstadt Beirut aus, der Medienberichten zufolge einem ranghohen Hisbollah-Kommandant galt. Das israelische Militär griff nach eigenen Angaben mehr als 1.300 Ziele im Libanon an - und die Attacken dauerten Montagabend noch an. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wandte sich mit einer Botschaft direkt an das libanesische Volk: "Israels Krieg ist nicht mit euch, sondern mit der Hisbollah", sagte er. "Die Hisbollah hat euch schon allzu lange als menschliche Schutzschilde missbraucht." Um Israel gegen Hisbollah-Angriffe zu verteidigen, müssten die Waffen der Miliz unschädlich gemacht werden, argumentierte Netanyahu.

Nach Angaben des israelischen Militärs feuerte die Hisbollah mehr als 150 Geschosse auf zivile Orte in Israel. Einige von ihnen seien von der Raketenabwehr abgefangen worden, andere auf offenem Gebiet eingeschlagen. Es gab zunächst keine Berichte über Verletzte oder Sachschäden.

Nach den massiven Luftangriffen im Libanon beschloss die israelische Regierung in Erwartung von Gegenschlägen einen landesweiten Ausnahmezustand. Die Entscheidung bedeutet nach Medienberichten unter anderem, dass die Größe von Versammlungen eingeschränkt werden kann.

AUA-Flüge bleiben ausgesetzt

Wie die Austrian Airlines Montagabend der APA mitteilten, bleiben wegen der instabilen Lage in der Region die Verbindungen von und nach Tel Aviv sowie von und nach Teheran weiterhin bis einschließlich 14. Oktober ausgesetzt. Die Verbindungen nach Amman und Erbil finden wie geplant statt. Betroffenen Fluggästen werden Umbuchungs- und Stornierungsmöglichkeiten angeboten, hieß es weiter.

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Die Regierung des Libanon warf Israel angesichts der Angriffe "einen Vernichtungskrieg in jedem Sinne des Wortes" vor. "Wir als Regierung arbeiten daran, diesen neuen Krieg Israels zu stoppen und einen Abstieg ins Unbekannte zu verhindern", sagte der geschäftsführende Ministerpräsident Najib Mikati.

Am Nachmittag warnte die israelische Armee auch Bewohner der Bekaa-Ebene im Nordosten des Landes. Wer sich in der Nähe eines Wohnhauses aufhalte, in denen Waffen der Hisbollah versteckt seien, solle sich binnen zwei Stunden mindestens einen Kilometer entfernen. Die Bekaa-Ebene liegt im Nordosten des Libanon und etwa zwei Autostunden von Beirut entfernt. Das Gebiet ist Gründungsort der Hisbollah.

Tausende Menschen suchen Unterschlupf in Hotels oder bei Verwandten

Nach den massiven Angriffen harren Tausende Familien in Hotels oder bei Freunden und Verwandten in der Hauptstadt Beirut aus. "Wir sind mit nur mit dem Nötigsten in einer kleinen Tasche entkommen", sagte Fatima Ezzeddine der Deutschen Presse-Agentur. "Mein im Ausland lebender Bruder hat uns in einem Hotel zwei Zimmer gebucht".

Vorher sei sie zehn Stunden lang im Stau gesteckt, um aus dem Süden des Landes bis nach Beirut zu kommen, sagte sie. Bei den Luftangriffen seien ihr Nachbarhaus in Tyros stark beschädigt und mehrere Menschen getötet und verletzt worden. An den Hauptstraßen, die aus dem Süden nach Beirut führen, herrschte in der Früh weiterhin Stau. Viele Menschen standen unter Schock und wirkten müde von der Reise. "Ich weiß noch nicht, wohin ich soll. Am wichtigsten ist, dass ich meine Familie aus dem Süden des Libanons geholt habe", sagte ein vierfacher Vater namens Ali. Eine Frau namens Lamis sagte: "Mein Vater weigerte sich erst, aber meine Mutter und meine Schwestern und ich sind gefahren und haben eine möblierte Wohnung gemietet." "Es ist eine Katastrophe", sagte Mustafa aus Sidkine im Süden. "Ich weiß nicht, wer verantwortlich ist, aber wir Bürger zahlen einen tödlichen Preis."

Israel wappnet sich für Gegenangriffe

Nach Angaben des israelischen Heimatschutzes müssen sich die Bürger Israels landesweit auf mögliche Hisbollah-Gegenangriffe vorbereiten. Ein Sprecher des Heimatschutzes sagte der Nachrichtenseite ynet, die Einwohner des Landes sollten darauf vorbereitet sein, im Fall von Raketenangriffen Schutzräume aufzusuchen. Besondere Anweisungen gelten weiterhin im Bereich nördlich der Hafenstadt Haifa. Dort findet auch kein Schulunterricht statt. Die Strände sind dort geschlossen. Im Fall von Sirenen im Großraum Tel Aviv hätten die Menschen bei Angriffen aus dem Libanon eineinhalb Minuten Zeit, Schutzräume aufzusuchen, sagte der Heimatschutz-Sprecher.

Israel und die Hisbollah haben bereits 1982 und 2006 Krieg gegeneinander geführt. Die vom Iran unterstützte Miliz ist heute deutlich stärker bewaffnet als während des Kriegs vor fast 20 Jahren. Sie handelt nach eigener Darstellung aus Solidarität mit der islamistischen Hamas, die im Gazastreifen gegen Israel kämpft. Hisbollah und die Hamas werden vom Iran unterstützt.

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Israels Armee hat die Zahl seiner Angriffe im Gazastreifen zuletzt verringert und konzentriert sich zunehmend auf die Hisbollah. Israel will erreichen, dass sich die Miliz wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so wie es die UNO-Resolution 1701 vorsieht, die das Kriegsende 2006 markierte. Der Resolution zufolge darf die Hisbollah entlang der Grenze nicht präsent sein. Dies wird aber weder von der UNO-Beobachtermission noch von der libanesischen Armee durchgesetzt. Israel hat die Rückkehr seiner Bewohner in ihre Wohnorte im Norden zu einem der Ziele im Gazakrieg erklärt.

Schwere Schläge

Die Hisbollah ist nach mehreren Angriffen geschwächt und hat zuletzt die schwersten Schläge seit Jahrzehnten erlitten. Insgesamt habe die Hisbollah binnen knapp eines Jahres mehr als 8.800 Raketen und Drohnen auf israelisches Gebiet gefeuert, erklärte das israelische Militär. Vor Beginn der Hisbollah-Angriffe am 8. Oktober 2023 lagen die Schätzungen des Hisbollah-Arsenals bei 150.000 Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern.

Die Hisbollah und Israel liefern sich seit bald einem Jahr fast täglichen Beschuss. Dabei wurden mehr als 500 Hisbollah-Kämpfer, zwei Dutzend Zivilisten im Libanon sowie 48 Soldaten und Zivilisten in Israel getötet. Zudem mussten 150.000 Menschen auf beiden Seiten der Grenze ihre Wohnorte verlassen. Die kriegsähnlichen Auseinandersetzung hat sich nach der Explosion Tausender Kommunikationsgeräte im Libanon sowie einem israelischen Angriff auf die Hisbollah-Führung nahe Beirut mit mehr als 50 Toten, darunter auch Zivilisten, in der vergangenen Woche noch einmal verstärkt.

Israel und die Hisbollah haben bereits 1982 und 2006 Krieg gegeneinander geführt. Die vom Iran unterstützte Miliz ist heute deutlich stärker bewaffnet als während des Kriegs vor fast 20 Jahren. Sie handelt nach eigener Darstellung aus Solidarität mit der militant-islamistischen Palästinenserorganisation Hamas, die im Gazastreifen gegen Israel kämpft. Hisbollah und Hamas werden beide vom Iran unterstützt.

Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte bei einer Beratung, das Land vertiefe seine Angriffe im Libanon. Dies würde weitergehen, bis Israel das Ziel erreicht haben werde, die sichere Rückkehr der Einwohner seines Nordabschnitts zu gewährleisten. "Wir haben Tage vor uns, an denen die Öffentlichkeit Gefasstheit, Disziplin und eine volle Einhaltung der Anweisungen der Heimatfront zeigen muss", sagte Galant.

G7-Staaten besorgt

Die Außenminister der G7-Staaten zeigen sich besorgt über die zunehmenden Spannungen im Nahen Osten. Es drohe ein größerer regionaler Konflikt mit "unvorstellbaren Folgen", heißt es in einer Erklärung am Rande der UN-Generalversammlung. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von einer "gefährlichen Situation", die fast einem Krieg entspreche.

Die Außenminister der G7-Staaten rufen in der Erklärung dazu auf, den gegenwärtigen destruktiven Kreislauf zu stoppen". Kein Land werde von einer weiteren Eskalation im Nahen Osten profitieren. Die G7-Staaten appellieren an alle Beteiligten, zur Deeskalation beizutragen und eine friedliche Lösung anzustreben.

"Ich kann sagen, dass wir uns fast in einem vollwertigen Krieg befinden", sagte Borrell vor Journalisten mit Verweis auf die hohe Zahl ziviler Opfer. "Wenn das keine Kriegssituation ist, weiß ich nicht, wie ich es sonst nennen soll." Die Bemühungen zum Abbau der Spannungen würden fortgesetzt, aber die schlimmsten Befürchtungen Europas über ein Übergreifen der Krise würden sich bewahrheiten. Die Zivilbevölkerung zahle einen hohen Preis und alle diplomatischen Bemühungen seien notwendig, um einen ausgewachsenen Krieg zu verhindern.

Die USA lehnen einem hochrangigen Vertreter des US-Außenministeriums zufolge eine Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der Hisbollah ab. Man plane, eine Ausweitung des Krieges zu verhindern. Ziel sei es, "den Kreislauf von Angriff und Gegenangriff zu durchbrechen".

UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk ruft nach Angaben seiner Sprecherin alle Staaten zur Deeskalation auf. Die eingesetzten Methoden und Mittel der Kriegsführung seien "Anlass zu ernster Sorge, ob sie mit dem humanitären Völkerrecht in Einklang stehen", erklärte Türks Sprecherin auf einer Pressekonferenz in Genf. Abdinasir Abubakar, ein Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO, schilderte auf derselben Veranstaltung, dass einige Krankenhäuser im Libanon angesichts Tausender Verletzter überfordert seien. Es lägen Hinweise vor, dass es auch Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und Krankenwagen gegeben habe. Vier Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen seien am Montag getötet worden.

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China sagt Libanon Unterstützung zu

China hat dem Libanon seinen Rückhalt zugesichert und Israel scharf für seine Angriffe auf die Hisbollah-Miliz kritisiert. Die Volksrepublik unterstütze den Libanon entschlossen beim Schutz seiner Souveränität, Sicherheit und nationalen Würde, sagte Außenminister Wang Yi laut seines Ministeriums in New York. Wang traf dort seinen libanesischen Kollegen Abdullah Bou Habib. Egal, wie die Lage sich entwickle, werde China auf der Seite der Gerechtigkeit und der arabischen Brüder einschließlich des Libanons stehen, sagte Wang. Er verurteilte Israels "wahllose Angriffe auf Zivilisten" und Kommunikationseinrichtungen im Libanon. China sei besorgt über die Lage. Wang erneuerte außerdem die Forderung nach einem Waffenstillstand, Truppenabzug und der Zweistaatenlösung.

China gab sich im Nahost-Konflikt lange neutral. Peking kritisierte Israels militärisches Vorgehen im Gazastreifen, verurteilte bisher jedoch nicht das blutige Massaker der Hamas vom 7. Oktober. Beobachter vermuten, dass sich China im Nahen Osten den arabischen Ländern als alternative Weltmacht und Friedensstifter zeigen will. Allerdings brachten die chinesischen Forderungen bisher keine konkreten Ergebnisse hervor.

Frankreich beantragt Sondersitzung

Die französische Regierung hat wegen der Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz eine Sondersitzung des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen beantragt. "Als Reaktion auf die heutigen Angriffe im Libanon, denen hunderte Menschen zum Opfer gefallen sind, habe ich eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats in dieser Woche beantragt", sagte Frankreichs neuer Außenminister Jean-Noël Barrot am Montag (Ortszeit) in New York.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wandte sich im Zuge der Angriffe mit einer Botschaft direkt an das libanesische Volk: "Israels Krieg ist nicht mit euch, sondern mit der Hisbollah", sagte er. Um Israel gegen Hisbollah-Angriffe zu verteidigen, müssten die Waffen der Miliz unschädlich gemacht werden, argumentierte Netanyahu.

Türkei fordert auf, Maßnahmen zu ergreifen

Das türkische Außenministerium hat die jüngsten Angriffe Israels auf den Libanon als "Bemühungen, die gesamte Region ins Chaos zu stürzen" verurteilt. In einer Erklärung fordert die Türkei den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft dazu auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen. Jene Länder, die "Israel bedingungslos unterstützen", würden Israels Premier Benjamin Netanyahu dabei helfen, "für seine politischen Interessen Blut zu vergießen".

Blauhelmsoldaten bleiben im Stützpunkt

Die UNO-Beobachtermission UNIFIL, an der auch Österreich beteiligt ist, setzt ihre Patrouillen im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon wegen der erhöhten Gefahr für ihr Personal vorübergehend aus. Das Risiko aufgrund des gegenseitigen Beschusses zwischen Israels Armee und der libanesischen Hisbollah-Miliz mache es zurzeit nötig, dass die Blauhelmsoldaten in ihren Stützpunkten bleiben, sagte ein UNO-Sprecher am Montag (Ortszeit) in New York vor Journalisten.

Einige zivile Mitarbeiter der Friedensmission seien mit ihren Angehörigen in Richtung der weiter nördlich gelegenen Hauptstadt Beirut geschickt worden, wo die Gefahr geringer sei. UNIFIL überwacht seit 1978 das Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon. Im August wurden drei Blauhelmsoldaten bei einer Explosion in der Nähe ihres Fahrzeugs im Südlibanon leicht verletzt. Die Mission - eine der ältesten aktiven im Rahmen der UNO - umfasst etwa 10.000 Soldaten und 800 Zivilisten. Das österreichische Bundesheer stellt rund 175 Personen. Seit Beginn der Mission vor bald 50 Jahren kamen mehr als 300 Einsatzkräfte der Friedenstruppen ums Leben.