Mannheim: Deutsche Bundesanwaltschaft ermittelt zu Messerangriff
Der Polizist, der bei dem Messerangriff auf dem Mannheimer Marktplatz schwer verletzt worden ist, ist tot. Das teilten die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, das Polizeipräsidium Mannheim und das Landeskriminalamt Sonntagabend mit.
Der aus Afghanistan stammende Angreifer hatte dem 29-jährigen Beamten mehrmals in den Kopfbereich gestochen. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) nannte in der Bild am Sonntag die Bilder des Messerangriffs ein trauriges Zeugnis dessen, wohin Extremismus führe.
Was genau ist passiert? Am Freitag hatte ein 25-Jähriger mit afghanischer Staatsbürgerschaft auf dem Mannheimer Marktplatz bei einer Veranstaltung der islamkritischen Bewegung Pax Europa (BPE) ein Messer gezückt. Er verletzte sechs Männer, darunter einen 29 Jahre alten Polizisten. Durch den Schuss eines weiteren Polizisten wurde der Angreifer gestoppt. Unter den Verletzten waren laut Polizei ein Iraker und ein deutsch-kasachischer Doppelstaatler.
"Wir werden Gewalt niemals akzeptieren, egal, ob sie von links, von rechts oder aus dem islamistischen Umfeld kommt", sagte der Kanzler der deutschen Zeitung. "Er wurde unmittelbar nach der Tat notoperiert und in ein künstliches Koma versetzt, erlag aber in den späten Nachmittagsstunden des 2. Juni seinen schweren Verletzungen", teilten die Behörden mit. "Wir trauern um einen Polizeibeamten, der für unsere Sicherheit sein Leben gegeben hat."
ÖVP-Innenminister Gerhard Karner meinte Sonntagabend, dass "derart feige und hinterhältige Anschläge mit aller Konsequenz und Härte, mit allen Mitteln des Rechtsstaates" bekämpft werden müssten.
Bundesanwaltschaft ermittelt
Die deutsche Bundesanwaltschaft geht von einer religiösen Motivation des Täters aus. Die oberste deutsche Anklagebehörde übernahm die Ermittlungen, wie eine Sprecherin am Montag in Karlsruhe mitteilte. Sie begründete dies mit der besonderen Bedeutung des Falls. Man gehe davon aus, dass der Afghane islamkritischen Menschen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung absprechen wollte, sagte sie. Zuvor hatte der "Spiegel" berichtet.
Die schreckliche Gewalttat sei erschütternd, sagte Deutschlands Justizminister Marco Buschmann. "Zugleich mahnt sie uns: Die Gefahr, die vom religiösen Fanatismus und radikalen Islamismus ausgeht, ist ungebrochen groß", fügte der FDP-Politiker hinzu. Solche Taten zu verhindern und zu verfolgen müsse für die deutschen Sicherheitsbehörden und die Justiz weiterhin höchste Priorität haben. Daher sei es gut, dass der Generalbundesanwalt nun die Ermittlungen übernommen habe, um die genauen Hintergründe aufzuklären.
Es gibt Videoaufnahmen, die zeigen, dass der Angreifer sich den Infostand von Pax Europa angeschaut hatte, kurz bevor er das erste Mal zustach. Insofern ist ein Zusammenhang denkbar zwischen dem Angriff und der islamkritischen Veranstaltung mit Vorstandsmitglied Michael Stürzenberger, der auch bei dem Angriff verletzt wurde. Am Stand der rechtspopulistischen Bewegung waren Slogans wie "Der Politische Islam bedroht Demokratie, Freiheit, Sicherheit und Menschenrechte!" zu lesen.
Täter bisher unauffällig
Bisher sei der Täter aus gesundheitlichen Gründen nicht vernehmungsfähig gewesen, hieß es von der Staatsanwaltschaft am Montag. Neben Aussagen zum Tatmotiv vom Täter selbst erhoffen sich die Ermittler weitere Erkenntnisse durch die Auswertung der bei der Durchsuchung seiner Wohnung im hessischen Heppenheim gefundenen Datenträger.
Nach Angaben aus Sicherheitskreisen war er zuvor weder als Straftäter noch als Extremist aufgefallen. Er kam nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur 2013 als Teenager nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Dieser wurde 2014 abgelehnt. Es wurde allerdings ein Abschiebeverbot verhängt, vermutlich wegen des jugendlichen Alters. In Heppenheim wohnte der Täter zuletzt mit seiner Ehefrau und zwei Kleinkindern. Wo die Frau ist und ob sie schon vernommen wurde, ist nicht bekannt.
Eine mögliche Haftstrafe müsste der Täter von Mannheim in Deutschland verbüßen. Ob und wann ein ausländischer Straftäter nach Verbüßung der Haftstrafe abgeschoben wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von der Situation in seinem Herkunftsland zum Zeitpunkt der Haftentlassung.
"Dies sind Momente, in denen die Welt stillzustehen scheint"
"Die Nachricht erschüttert mich bis ins Mark", teilte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Abend mit. Die Gedanken seien bei der Familie, den Angehörigen und den Kolleginnen und Kollegen. "Uns allen führt diese fürchterliche Tat schmerzhaft vor Augen, welchem oft unkalkulierbaren Risiko Polizeibeamte tagtäglich ausgesetzt sind."
Der Dienst von Polizistinnen und Polizisten für den Staat, das Gemeinwesen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei nicht hoch genug zu würdigen. "Wir sind Ihnen als Gesellschaft zu höchstem Respekt und Wertschätzung verpflichtet."
"Dies sind Momente, in denen die Welt stillzustehen scheint", erklärte Innenminister Thomas Strobl. "Die gesamte Polizei Baden-Württemberg wird ihm stets und für immer ein ehrendes Andenken bewahren." Der Polizist sei Opfer eines brutalen, bestialischen Angriffs geworden. "Er ließ sein Leben, weil er dafür eingestanden ist, andere Menschen zu schützen."
Mahnwache gegen Gewalt und Hass
Die Deutsche Polizeigewerkschaft reagierte betroffen, aber auch wütend. "Die Gewalt, die uns täglich begegnet, ist schonungslos brutal, menschenverachtend und oft tödlich", sagte Landeschef Ralf Kusterer. Die Kampagnen gegen Hass und Hetze würden oft nicht einmal im Ansatz die Probleme treffen, die Polizistinnen und Polizisten täglich ertragen müssten. "Mit Diskussionen um Demokratie und Meinungsfreiheit erreicht man weder schuld- und deliktsunfähige Täter noch religiöse Fanatiker, deren Gedankenwelt uns völlig fremd und absurd erscheint."
Angesichts der Messerattacke hatte ein überparteiliches Bündnis für Sonntagnachmittag zu einer Mahnwache gegen Gewalt und Hass in Mannheim aufgerufen. Auf dem Marktplatz fand zeitgleich eine Kundgebung der Jungen Alternative statt. Die Versammlung der Jugendorganisation der AfD lief unter dem Motto "Remigration hätte diese Tat verhindert!". Auf Videos im Internet ist zu sehen, wie Demonstranten in der Innenstadt eine lange Menschenkette bilden - und wie die Polizei mit einer Gruppe von Antifa-Aktivisten zusammenprallt. Die schwenkten rote Fahnen und zündeten Bengalos. Auf dem Marktplatz wurde der Slogan "Nazis raus" skandiert.
Sicherheitsmaßnahmen verschärfen
Nach Darstellung von BPE-Schatzmeisterin Stefanie Kizina ist die Attacke gezielt gegen den 59-jährigen Münchner Stürzenberger gerichtet gewesen. Er ist schon seit Jahren als Islamkritiker aktiv und wird vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet. Stürzenberger gab inzwischen einem rechtskonservativen Medium ein Video-Interview vom Krankenbett aus - er war unter anderem im Gesicht und am Oberschenkel mit Stichen verletzt worden. Polizisten hätten die Erstversorgung übernommen, sagte er. Der Bild sagte Stürzenberger, der Angriff sei ein "absoluter Albtraum" gewesen, der Angriff sei urplötzlich gekommen.
Auch nach der Messerattacke in Mannheim will die BPE bei weiteren Veranstaltungen öffentlich auftreten. Kizina geht davon aus, dass die Polizei "die Sicherheitsmaßnahmen verschärfen wird".
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte mit Blick auf die Messerattacke und einen Übergriff auf den CDU-Politiker Roderich Kiesewetter ein hartes Vorgehen gegen Gewalt an. "Ob das Gewalt ist gegen sich links oder in der Mitte oder rechts engagierende demokratische Politikerinnen und Politiker - sie ist immer nicht akzeptabel und sie wird von uns nicht hingenommen werden", betonte Scholz. "Wir werden gegen alle vorgehen, die mit Gewalt den demokratischen Raum einzuschränken versuchen", kündigte er an. Das gelte unabhängig davon, ob es ein linksextremistisches, ein rechtsextremistisches oder ein islamistisches Motiv gebe.
Trauerflor und Schweigeminute
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) veranlasste für den gestorbenen Polizisten Trauerflor und eine Schweigeminute. Ab sofort und bis zum Tag der Beisetzung des 29-Jährigen soll an allen Streifenwagen der Polizei Baden-Württemberg Trauerflor angebracht werden, wie das Innenministerium in Stuttgart am Montag mitteilte.
Auf Polizeibooten der Wasserschutzpolizei sei die Flagge auf Halbstock zu setzen, die Beflaggung an Dienstgebäuden der Polizei und des Innenministeriums seien auf halbmast gesetzt. Die Schweigeminute sei für diesen Freitag um 11.34 Uhr geplant - genau eine Woche nach dem Messerangriff des 25 Jahre alten Täters.