Politik/Ausland

Kenia: Wenn Krieger Sänger werden

Das kleine Dorf Suyan in der ausgetrockneten Savanne im Norden Kenias ist gewissermaßen Frontgebiet. Die rund 200 Samburu bilden hier den letzten Außenposten ihrer Ethnie (300.000 Menschen) – dahinter: Feindesland. Denn zwischen den Samburu und den Turkana kommt es immer wieder zu bewaffneten Fehden mit Toten. Dabei geht es um Viehherden, Weideplätze, Wasser – und auch um die Ehre.

„Warum vergießen wir unser Blut, stoppt den Viehdiebstahl, das führt nur zu Tränen.“ Wehklagend presst die Frauengruppe in ihrer ockergefärbten Tracht bei der Ankunft der Journalistengruppe aus Österreich diese Textzeile eines Liedes hervor, ein in Töne gefasster Appell für Frieden. Zu viel Leid sahen sie schon über ihr Dorf kommen.

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Ganz schlimm sei es Ende 2016 gewesen. „Damals kamen 200 Moranos (Krieger) der Turkana, wir ließen alles liegen und stehen und liefen einfach nur“, sagt Chief Karoli Lalaur, 50. Fast ein Jahr lang wohnten sie auf dem Areal der Pfarre in Barsaloi, der größten Ansiedlung in dem Gebiet. Erst danach konnten sie wieder zurück.

Doch auch seither komme es ständig zu Zwischenfällen, erzählt der Dorfchef, erst in der Vorwoche seien acht Dromedare gestohlen worden. Das konnten auch seine Samburu-Krieger nicht verhindern, die um Suyan patrouillieren. Wittern sie Gefahr, rufen sie mit ihren Handys im Dorf an (geladen werden diese mit kleinen Solarpaneelen). Chief Lalaur bläst dann in ein gewundenes Horn einer Antilopenart, „seine“ Leute flüchten sich umgehend in ihre Hütten.

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„Die Rivalität der beiden Völker ist Jahrhunderte alt, sie schenken einander wirklich nichts. Und so alt wie die Feindschaft sind auch die Traditionen“, sagt Pfarrer Guillermo Leon Alvarez Muneton von den Yarumal Missionaries, den alle nur „Memo“ rufen. Der gebürtige Kolumbianer versucht, überkommene Muster aufzubrechen und zwischen den Ethnien zu vermitteln. Dabei geht er mit gutem Beispiel voran – in seinem Pfarrteam hat er Samburu wie Turkana.

Das Hilfswerk der Katholischen Jugend
Jedes Jahr    sammeln die „Sternsinger“ der Dreikönigsaktion (DKA) Geld, um Hilfsprojekte in Afrika, Lateinamerika und Asien zu finanzieren. In Kenia   wurden die Yarumal Missionaries von Pfarrer „Memo“ zwischen 2020 und 2022 mit 180.000 Euro unterstützt, ein Folgebudget ist vorgesehen  

Spenden
DKA-IBAN:
AT23 6000 0000 9300 0330

Besonderes Augenmerk legt der 41-Jährige, der in seiner Friedensarbeit von der Dreikönigsaktion, dem Hilfswerk der Katholischen Jungschar (siehe unten), unterstützt wird, auf die Gruppe der Krieger. Sie umgibt in den Stammesgesellschaften hier ein besonderer Nimbus.

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Meist zwischen 12 und 15 Jahren werden die Burschen beschnitten, ab dann sind sie „Morans“ – mit strikten Regeln: Sie dürfen nicht mehr in den Häusern ihrer Mütter schlafen, nicht vor Frauen essen und erst nach gut zwölf Jahren heiraten – wenn die Älteren die nächste Kriegergeneration definieren.

Die Armeen der Clans

Die „Halbstarken“, wie man früher in Österreich formuliert hätte, schlagen sich in Gruppen durch den Busch, schützen die Herden und Menschen ihrer eigenen Dörfer. Und stehlen das Vieh, seien es Ziegen, Rinder oder Dromedare, des jeweils anderen Stammes – als Mutprobe oder Vergeltung. Die Krieger sind in ihren Gesellschaften höchst angesehen, die Armee ihrer Clans und deren ganzer Stolz. Diesen Stolz haben sie verinnerlicht und tragen ihn mit breiter Brust auch nach außen und vor sich her.

AK 47 ab 260 Euro

Lässig zückt Nagem Loigeem sein Messer mit der 30 Zentimeter langen Klinge und schneidet gekonnt ein Stück vom Schenkel der Ziege, die die jungen Samburu-Männer gerade im Schatten einer Akazie geschlachtet, deren Blut sie getrunken und deren Fleisch sie gegrillt haben. „Hakuna matata“ steht auf dem Wickelrock, den der 18-Jährige trägt – „kein Problem“ auf Kisuaheli. Daneben posiert ein vielleicht 15-Jähriger mit einer Kalaschnikow. Umgerechnet rund 260 bis 350 Euro kostet hier eine AK-47 auf dem Schwarzmarkt, die Schießprügel kommen aus Kenias konfliktträchtiger Nachbarschaft – aus Äthiopien, dem Südsudan und Somalia, die Munition ebenso.

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„Allein im Norden gibt es eine Million Waffen. Früher haben die Morans ihre Familien beschützt, ihre Herde, mit Speeren, heute sind sie oft zu Banditen geworden, mit Gewehren. Die Regierung müsste endlich etwas tun“, echauffiert sich der emeritierte Bischof der Region, Pante Virgilio, 76, der vor mehr als einem halben Jahrhundert aus Südtirol nach Kenia kam.

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Weil die Behörden untätig bleiben, hat Pfarrer „Memo“ mit seinen Mitstreitern die Sache in die Hand genommen – etwa mit der „Warrior’s School“, die gleichsam die weiterführende „Hirtenschule“ ist. Hier kommen die jungen Männer abends zusammen, erhalten Unterricht, und vor allem werden ihnen Alternativen zum Krieger-Handwerk aufgezeigt. Mit Erfolg, ein 17-Jähriger arbeitet jetzt als Mechaniker.

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Der ausgebildete Psychologe Justice Leorto hält mit der Samburu-Clique um Nagem Loigeem regelmäßig Friedensworkshops ab. Anfangs, sagt der 41-Jährige, sei er schwer an die stolzen Kämpfer herangekommen, doch nach und nach habe er Zugang und deren Verständnis gefunden. Und siehe da: Ein Teil der vermeintlich harten Jungs versucht sich jetzt als Sänger – und hat bereits einen professionellen Song im Studio aufgenommen.

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Das ist freilich gar nicht das Ziel der singenden Samburu-Frauen im Frontdorf Suyan, sie wollen bloß in Frieden leben – über alle Stammesgrenzen hinweg. Und deswegen verabschiedet die Gruppe die Gäste mit einem Lied in der Sprache der Turkana, also in der  Sprache des  Feindes.  

Die Reise wurde von der Dreikönigsaktion kofinanziert.