Kamala Harris: Eine Vize und die alten weißen Männer
Von Konrad Kramar
„Du hast es“, mehr als dieses doch etwas einsilbige Lob gab es vorerst nicht von der wohl höchsten schwarzen, weiblichen Instanz in den USA. Michelle Obama, selbst lange als Geheimfavorit für die Präsidentschaftskandidatur gehandelt, hat sich bisher auffallend zurückgehalten, was Kamala Harris betrifft.
Ahnte sie, wie schwierig es sein würde, als schwarze Frau die eigene Rolle zu finden? In einem Wahlkampf, der – so wie kein US-Wahlkampf seit Jahrzehnten – so klar von einer Spezies dominiert wird: alte, weiße Männer. Selbst Vizepräsident Mike Pence, mit dem Harris am Mittwoch ihr TV-Duell ausficht, ist mit seinen 61 Jahren zumindest nominell ein Jüngling gegen den 77-jährigen Joe Biden und den 74-jährigen Donald Trump. Das aber macht der stockkonservative, tiefreligiöse Republikaner allerdings durch sein Auftreten und seine Überzeugungen mehr als wett.
Die 55-jährige Kalifornierin Harris scheint jedenfalls allein durch ihr Auftreten für eine andere Generation zu stehen – und die sollte sie ja auch an der Seite von Joe Biden ansprechen.
Als Kämpferin an der Seite des politischen Veteranen, der oft ebenso hölzern wie staatstragend auftritt, sollte sie die Rolle der Angreiferin annehmen. Schließlich hatte die Senatorin in den für die Russland-Affäre zuständigen Ausschüssen auf sich auf aufmerksam gemacht. Dort bekamen einige von Trumps Vertrauten Härte und Wortgewandtheit der Juristin zu spüren.
Selbst ihr Wahlkampf-Partner Joe Biden musst bei einer TV-Debatte unter Demokraten erleben, wie hart Harris sein konnte. Sie sei in den 1960ern „das kleine schwarze Mädchen“ gewesen, das Politiker wie Biden in eigene Busse für Schwarze gesetzt hätten, herrschte sie ihn auf offener Bühne an.
Doch die direkte Konfrontation mit Trump hat Harris bisher nicht gesucht, selbst bei dem Thema, das dafür bestens geeignet gewesen wäre: die Proteste gegen Polizeigewalt gegen Schwarze, die im Sommer viele Städte des Landes erfassten. Trump mimte den Hüter des Gesetzes, der die Demonstranten zum schwarzen Mob herabwürdigte und sich obendrein weigerte, sich von der Gewalt der rechten weißen Milizen zu distanzieren. Die Afro-Amerikanerin Harris sprach zwar bei ihrer Antrittsrede auf dem Demokraten-Parteitag im Sommer von dem „Rassismus und der Ungerechtigkeit“, der sich die USA jetzt stellen müssten, schenkte dem Thema aber danach nicht mehr viel Beachtung.
Am linken Flügel
Joe Biden war dem linken Flügel der Demokraten seit jeher zu kompromissbereit und zu wenig prinzipientreu. Kamala Harris sollte Themen wie die Diskriminierung der Schwarzen, oder die Krankenversicherung für alle Amerikaner einbringen, die Biden vernachlässigte. Die Hoffnungen waren groß. „Biden muss Harris eine richtige Rolle geben, ihre brillanten Ideen nützen“, mahnte eine liberale Frauenaktivistin kürzlich in der New York Times, „er muss ihr zuhören.“
Bisher aber hat Harris diese Rolle nicht eingenommen. Sie bleibt wie eine traditionelle Vize-Kandidatin in der zweiten Reihe. Nur eine Frau an seine Seite zu setzen, wäre für Biden allerdings zu wenig, analysieren US-Politikbeobachter. Viele Wähler würden darauf achten, ob er ihr auch genügend Platz im Wahlkampf gebe. Schließlich, so wurde bei ihrem Antreten spekuliert, sei sie ja eigentlich für eine viel größere Rolle vorgesehen: Amerikas erste schwarze Präsidentin. Sie sollte vortreten, wenn Biden aus Altersgründen schon nach einer Amtszeit abtreten werde. Diese Spekulationen sind zumindest vorerst verstummt.