Politik/Ausland

Die politische Mitte hält, aber Rechte legen deutlich zu

Er hatte es befürchtet, hatte mit eilig abgegebenen Versprechen und pompösen staatsmännischen Gesten dagegen angekämpft: Es half alles nichts – Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wurde bei den EU-Wahlen in Frankreich regelrecht abgestraft.

Seine Partei Renaissance kam nach Hochrechnungen auf gerade einmal 15 Prozent, seine große Rivalin Marine Le Pen schaffte mit ihrer Rechtsaußen-Partei „Rassemblement National“ 32 Prozent, mehr als das Doppelte. Noch am Abend seiner herben Niederlage kündigte Macron an, Neuwahlen in Frankreich auszurufen.

Das Ergebnis der EU-Wahlen sei „kein gutes Resultat für jene Parteien, die Europa verteidigen“, erklärte ein sichtlich erschütterter Macron. Er habe daher beschlossen, den Bürgern „das Recht, ihre parlamentarische Zukunft zu entscheiden, zurückzugeben. Macron will offensichtlich den Siegeslauf von Marine Le Pen bremsen, indem er die Franzosen darüber entscheiden lässt, ob sie und ihr „Rassemblement National“ tatsächlich regierungsfähig sind.

Ähnlich schlimm traf es auch den deutschen Regierungschef Olaf Scholz. Die Kanzlerpartei SPD mit 13,5 Prozent auf Platz drei, deutlich dahinter noch die Grünen, die FDP bei fünf Prozent: Mit einer bitteren Wahlniederlage der regierenden Ampelkoalition hatte man gerechnet, aber als die Ergebnisse am Sonntag spätabends klar waren, war der Schock trotzdem groß.

Alle Inhalte anzeigen

Die AfD dagegen, rechtspopulistische oder sogar rechtsextreme Protestwählerpartei, schaffte es trotz all der Skandale ihrer Spitzenkandidaten bei dieser EU-Wahl auf 16,5 Prozent.

Alle Inhalte anzeigen

Die Mitte hält trotzdem

Zwei der wichtigsten vorläufigen Ergebnisse dieser EU-Wahl, die auch klar andeuten, in welche politische Richtung im EU-Parlament in den kommenden fünf Jahren die Reise geht. Europa rückt ein deutliches Stück nach rechts: Getragen vom Erfolg der Parteien von Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden oder auch der FPÖ in Österreich. Trotzdem aber – und das ist vor allem dem Wahlerfolg der Union in Deutschland zu verdanken – hält die politische Mitte weiterhin die Mehrheit: Zumindest in den ersten Nachwahlumfragen an diesem Wahlsonntag. Gemeinsam mit den Sozialdemokraten, die europaweit leichte Verluste hinnehmen müssen und den durch Macrons Niederlage in Frankreich stark geschwächten Liberalen kommen die Christdemokraten der EVP trotzdem auf eine klare Mehrheit im EU-Parlament.

Alle Inhalte anzeigen

Chance auf Verlängerung

Damit hat auch die amtierende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gute Chancen auf eine zweite Amtszeit. Allerdings muss sie dafür noch die Risse in ihrer eigenen EVP-Fraktion kitten. Für Ärger bei den Sozialdemokraten sorgte Von der Leyens offener politischer Flirt mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihrer rechten Partei „Fratelli d’Italia“.

Triumph für Meloni

Und Meloni wird beim Tauziehen um die neue Machtverteilung in Europa einiges mitzureden haben. Denn die EU-Wahl hat den Fratelli einen überzeugenden Sieg eingebracht, mit rund 30 Prozent. Ihre Regierungspartner in der Rechtskoalition dagegen schnitten ausgesprochen schwach ab, vor allem  die  Lega um Verkehrsminister und Vizepremier Matteo Salvini, die unter zehn Prozent lag.

Den aktuellen Trend nach rechts hatten gleich zu Beginn der Wahlen heuer die Niederlande bestätigt. Die rechtspopulistische Partei von Geert Wilders hat die Zahl ihrer Mandate im EU-Parlament von 1 auf nunmehr 7 gesteigert. Die europaskeptischen Abgeordneten der PVV dürften sich nun der Rechts-Fraktion ID anschließen, in der auch Marine Le Pens Rassemblement National und die FPÖ vertreten sind. Da die von Wilders dirigierte Regierungskoalition in den Niederlanden auch im EU-Rat der 27-Mitgliedsländer Platz nimmt, bedeutet das eine deutliche Stärkung der Europaskeptiker. Für die geplante EU-Erweiterung, aber auch für die dafür dringend notwendige Reform der Union ein voraussichtlich schwerer Dämpfer.

EVP bleibt vorne

So wie in Österreich lagen auch in Frankreich, Italien, Lettland, Belgien und Ungarn in den Umfragen die Rechtsaußen-Parteien in der Wählergunst an erster Stelle. In Polen, in Deutschland und Schweden wurden die rechten Parteien mindestens zweit- oder drittstärkste Kraft.

Mit 30 Prozent blieb die christdemokratische CDU/CSU in Deutschland stärkste Kraft. Ein Sieg, der auch bei der Machtverteilung im neuen EU-Parlament eine entscheidende Rolle spielen dürfte. Die EVP, also die Parteienfamilie, zu der auch die ÖVP gehört, wird aller Voraussicht nach stärkste Fraktion bleiben. Welche Bündnispartner sich die EVP suchen wird, bleibt abzuwarten.

Klar ist auch, dass die Zahl der rechtspopulistischen und rechtsradikalen Mandatare im Europaparlament signifikant ansteigen wird, um insgesamt bis zu 20 Prozent. Zu einer bestimmenden Mehrheit im Plenum reicht das aber bei Weitem nicht.

Eine Art Testwahl

So wie in Österreich, wo sich die Themen überwiegend um das Verbrenner-Aus oder um die Aufregung um Lena Schilling gedreht hat, haben auch in den meisten anderen EU-Staaten meist nationale Themen den Wahlkampf dominiert. In Frankreich etwa ist die Europawahl der einzige größere Urnengang vor der nächsten Präsidentschaftswahl im Jahr 2027. Deswegen bezeichnet der rechtspopulistische Spitzenkandidat der Le-Pen-Partei, Jordan Bardella, die Europawahl 2024 als Test für Emmanuel Macron und rief dazu auf, den Präsidenten abzustrafen. Seine Partei, der Rassemblement National (RN) liegt nun nach Hochrechnungen bei rund 30 Prozent – und damit bei mehr als doppelt so vielen Stimmen wie die Partei des Präsidenten.

Polen: Liberale bleiben vorne

In Polen hatten die Parlamentswahlen im Oktober nach der Niederlage der ultrakonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und dem Sieg der von Donald Tusk angeführten Bürgerkoalition zu einem Machtwechsel geführt. Diesen Erfolg konnte die Bürgerkoalition jetzt  bei den Europawahlen bestätigen. Die PiS hat zwar viel von ihrem   Rückstand wettgemacht, blieb aber trotzdem auf Platz zwei. Die Wahlbeteiligung war niedrig, nach der Wahl  im Oktober sind viele Polen  wahlmüde. 

Fico profitiert doch nicht

Die niedrigste Wahlbeteiligung bei EU-Wahlen gab es vor fünf Jahren in der Slowakei – sie lag bei 23 Prozent. Bedeutend viel höher dürfte die Beteiligung auch heuer nicht ausgefallen sein – das Attentat auf Premier Robert Fico hat die politischen Spannungen im Land nur steigen lassen. Ficos Partei "Smer" konnte davon aber nicht profitieren. Die liberale, pro-europäische Partei "Progresivni Slovensko" schaffte den ersten Platz noch vor der "Smer", die aber deutlich zulegen konnte. 

In Rumänien, wo gestern auch Lokalwahlen stattfanden, kamen im Wahlkampf kaum Europathemen auf den Tisch. Diskutiert oder vielmehr gestritten wurde vor allem über Korruption im Land und das Thema Wohnen.

Alle Inhalte anzeigen

Nationale Wahlmotive

Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Sorge, dass sich der Krieg noch ausweiten könnte, war hingegen eines der Hauptmotive in Deutschland, zur Wahl zu gehen. Ganz anders noch als vor fünf Jahren.

Damals hatte die Sorge ums Klima und der Wunsch, strengere Umweltgesetze noch viele Wähler an die Urnen gebracht. Die Umfragen fanden allerdings vor dem jüngsten Hochwasser in Süddeutschland statt – möglicherweise hat die Katastrophe wieder einige Wähler wegen wachsender Umweltsorgen an die Urnen geführt.