Politik/Ausland

EU geht gegen "Rechtsstaatssünder" Ungarn vor

Ganz bewusst soll die  Kommission gewartet haben: Schon im Februar hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) Klagen von Ungarn und Polen gegen den Rechtsstaatsmechanismus zurückgewiesen. Doch man wollte Viktor Orbán während des Wahlkampfes keine neue Munition gegen den "Feind" in Brüssel  liefern

Dass die EU jetzt, kurz nach  der eindeutigen Wiederwahl des Ministerpräsidenten am Sonntag, jedoch verkündet, Ungarn wegen möglicher Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit  die EU-Mittel kürzen zu wollen, hinterlässt bei Beobachtern einen fahlen Beigeschmack. Experten gaben im Voraus zu bedenken, dass Orbán wohl behaupten werde, dies geschehe aus Protest gegen seine Wiederwahl.

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Er hatte bereits kurz nach dem EuGH-Urteil  drastische Worte gefunden und sprach von einem "rechtsstaatlichen Dschihad" der EU, der Ungarn bedrohe. Und die Befürchtungen stellten sich als wahr heraus: Kanzleramtsminister Gergely Gulyás antwortete, Brüssel dürfe die ungarischen Wähler nicht dafür bestrafen, dass sie anderer Meinung als die EU und die ungarische Linke seien. Davon ließ sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jedoch nicht abhalten und verkündete die Entscheidung am Dienstag im Straßburger Europaparlament. Die ungarischen Behörden sollen darüber bereits informiert worden sein.

Es ist das erste Mal, dass die EU von diesem Werkzeug Gebrauch macht: Sowohl Ungarn als auch Polen bekommen bereits weniger Geld als geplant von der Staatengemeinschaft. Blockiert sind  die Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds – ebenfalls wegen Zweifel an der rechtsstaatlichen Verwendung. Polen entgehen derzeit  23 Milliarden Euro an nicht zurückzahlbaren Zuschüssen, Ungarn sieben.  Käme der Rechtsstaatsmechanismus zum Einsatz, ständen für Polen rund 140 Milliarden Euro  in den nächsten Jahren auf dem Spiel, für Ungarn 40 Milliarden. 

Polen vorerst verschont

Überraschenderweise sieht  EU-Budgetkommissar Johannes Hahn derzeit  jedoch keinen Anwendungsbedarf in Polen: Wie er in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung sagte, handle es sich dort um Probleme innerhalb des Justizsystems. Polen gilt neben Ungarn als "Rechtsstaatssünder" innerhalb der EU; Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte im Vorjahr, die eigene Verfassung habe Vorrang vor dem gemeinsamen EU-Recht, und EuGH-Urteile müssten nicht alle umgesetzt werden. In Brüssel wurde das als  Affront gewertet.

Es  stellt sich die  Frage, ob Polens Solidarität mit den den EU-Sanktionen gegen Russland im Ukraine-Krieg und mit den ukrainischen Flüchtlingen die EU zu einem Umdenken bewegt hat. Hahn bestreitet das: "Die Leistung insbesondere Polens bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ist ohne Abstriche anzuerkennen, aber das kann nicht heißen, dass es rechtsstaatlich einen Freibrief erhält." Ähnlich formuliert es auch die  österreichische Europaabgeordnete  Monika Vana (Grüne). Die EU-Kommission habe "viel zu lange zugeschaut" und sei "definitiv mit schuld an der Situation", sagte die SPÖ-Europaabgeordnete Bettina Vollath. Nach dem Wahlsieg Orbáns sei ein weiterer Missbrauch von EU-Geldern in Ungarn zu befürchten.