Grüner Ex-Minister: "Ihr werdet erst mal eines auf den Deckel bekommen"
Was am Dienstag in der Hofburg Premiere feierte, fand so ähnlich vor mehr als 20 Jahren in Deutschland statt: 1998 stellten die Grünen erstmals die Bundesregierung - als kleiner Partner der SPD. Es war eine Koalition, die gemeinsame Ziele hatte, etwa mehr soziale Gerechtigkeit und Ökologie zu schaffen, erklärt Jürgen Trittin, erster Umweltminister unter Rot-Grün und später Fraktionschef im Bundestag, im KURIER-Gespräch. Wenn er nun nach Wien blickt, sieht er "keine Koalition zweier Parteien, die im Kern das Gleiche oder in die ähnliche Richtung wollen", sondern eine, "wo jeder seinen Schwerpunkt hat und man sagt: Wenn ihr uns nicht wehtut, tun wir euch nicht weh".
Trittin: "Umdenken, wenn Rot-Grün nicht im Angebot"
Er halte aber nichts davon, im Vorhinein von schlechten Kompromissen oder Verrat zu reden - das werde sich am Ende der Legislaturperiode zeigen, sagt Trittin, der damals bei sämtlichen Koalitions- und Sondierungsgesprächen dabei war. Dass sich Grüne und Sozialdemokraten inhaltlich näherstehen, ist kein Geheimnis - "aber wenn Rot-Grün nicht im Angebot ist, muss man umdenken, wenn man die Rechtsextremen von der Regierung fernhalten will", so Trittin. Auch in Deutschland gibt es auf Landesebene solche Bündnisse - und zwar mit der CDU, "die in manchen Dingen das Gegenteil will". Wobei er betont, dass die Vereinbarungen detailgenauer sind als im türkis-grünen Koalitionsvertrag. Darin lese er mehr "Arbeitspunkte", die der Haltung entsprechen, man müsse etwas abarbeiten. Auch wegen solcher Unterschiede sei das österreichische Bündnis kein Vorbild.
Ökologische Steuerreform als Nagelprobe
Dennoch wollen die deutschen Grünen die österreichische Koalition genau beobachten, etwa ihr Vorhaben, das Land bis 2040 klimaneutral zu machen - zehn Jahre früher, als das in Deutschland und dem Rest der EU geplant ist. "Das kann nur funktionieren, wenn sie umweltschädliche Subventionen abbauen und dafür sorgen, dass CO2 einen vermeidenden Preis bekommt."Als Nagelprobe sieht Trittin die Frage, ob man eine ökologische Steuerreform anpackt, bei der die konservative Seite ihr Versprechen (Steuersenkung für Unternehmen) und die grüne Seite (Klimaneutralität) umsetzen können: "Das kann man kombinieren, setzt aber den Mut voraus, dort, wo man Steuersätze senkt, an anderer Stelle umweltschädliches Verhalten zu verteuern."
"Das muss man durchstehen"
Für etwaige Rückschläge hat er einen Rat parat: "Lasst euch nicht entmutigen. Das ist die Erfahrung, die wir aus den rot-grünen Zeiten mitgenommen haben." Damals hatten die Grünen für einen Bundeswehr-Einsatz im Kosovo gestimmt und in Folge sämtliche Landtagswahlen verloren, bei der Europawahl die Hälfte der Wähler und 20.000 Mitglieder. Dennoch haben sie bei der Wahl 2002 zugelegt - laut Trittin wegen "einer Reform-Agenda mit Atomausstieg, Energiewende und neuem Staatsbürgerschaftsrecht".
Insofern lässt er seine österreichischen Parteifreunde wissen: "Ja, ihr werdet erst mal eines auf den Deckel bekommen, das ist normal, muss man durchstehen. Am Ende wird abgerechnet." Dass sie schon durch das tiefe Tal der vier Prozent gegangen sind, könne da helfen.