Deutsche Grüne: Umfragen-Rückschlag und Themen-Balanceakt
„100 Prozent werden es hoffentlich nicht“, das würde nicht zu ihrer Partei passen, sagte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit Blick auf ihre Nominierung als Kanzlerkandidatin an diesem Samstag.
Hundertprozentige Zustimmung gilt seit Martin Schulz als schlechtes Omen. 2017 kürte ihn die SPD am Parteitag zum „Hundert-Prozent-Kandidat“, der aber dann bei der Bundestagswahl mit 20,5 Prozent das bisher schlechteste Ergebnis für die SPD einfuhr.
Wie es sich bei den Grünen verhält, wird sich spätestens am 26. September zeigen, wenn Deutschland den Bundestag neu wählt. Im aktuellen ZDF-Politbarometer fallen sie wieder hinter die Union und liegen bei 22 Prozent. CDU/CSU kommen auf 28 Prozent.
Auch in der Kanzler-Frage hat sich das Blatt gewendet und Armin Laschet (CDU) liegt vorne. Nach 43 Prozent im Mai meinen jetzt nur noch 28 Prozent, dass die Grünen-Chefin als Kanzlerin geeignet ist, 64 Prozent bezweifeln das. Das könnte auch mit der Debatte um Baerbocks Lebenslauf zu tun haben. Sie musste Passagen zu Mitgliedschaften und Karrierestationen inzwischen drei Mal korrigieren.
An diesem Wochenende werden die Grünen ihr Wahlprogramm festlegen, und da könnten harte Debatten anstehen. Die Mitglieder durften im Entwurf Änderungen einbringen – bis dato sind 3.280 Anträge eingegangen.
Allerdings könne man nur 30 bis maximal 50 Anträge ernsthaft behandeln, kündigte Grünen-Chef Robert Habeck an. Da geht es etwa um gendergerechte Sprache – Bäuer*innen soll Bäuerinnen und Bauern ersetzen; oder Begrifflichkeiten, an denen sich die Basis stört. So spricht sich eine Gruppe dafür aus, das Wort „Deutschland“ aus dem Titel des Wahlprogramms zu streichen („Deutschland. Alles ist drin“). Es gehe um die Würde und Freiheit des Menschen, daher wäre der Fokus auf das Nationale falsch, heißt es.
Neben diesen Gesprächen werden sich die schwierigsten um die Klimapolitik drehen, die Teilen zu lasch ist. So schlagen einige Tempo 30 in geschlossenen Ortschaften als Regelgeschwindigkeit vor, auf Landstraßen 70 km/h und auf Autobahnen 100 km/h. Im Programmentwurf ist nur von Tempo 130 die Rede.
Auch beim Preis will die Basis nachschärfen. Die Grünen-Spitze schlägt 60 Euro pro Tonne vor. Doch das reiche nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sagt Jakob Blasel. Der Fridays-for-Future-Aktivist will für die Grünen in den Bundestag. Er fordert den Preis auf 80 Euro zu erhöhen. Da die Parteiführung bei ihrem Vorschlag blieb, könnte es zur Abstimmung kommen.
Höherer Benzinpreis
Mit einer höheren Bepreisung würde der Benzinpreis steigen: Nicht um 16 Cent, wie die Partei-Spitze jüngst forderte, sondern um 21 Cent. Kritik kam von SPD und Union. Die Benzinpreis-Diskussion zog sich auch in die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, wo die Grünen mit 5,9 Prozent nur 0,7 Prozentpunkte dazugewonnen haben. Die Debatte und wie sie geführt wurde, „hat nicht geholfen“, so Habeck.
Ein Zugeständnis an die Basis gab’s im Vorfeld aber doch: Ein Mietendeckel soll her, zumindest „in Regionen mit einem angespannten Wohnungsmarkt“. Wie viele Kompromisse es noch werden, wird sich zeigen. Letztlich muss Annalena Baerbock mit dem Programm nicht nur Stammwähler erfreuen, sondern möglichst viele aus der Mitte erreichen, um ihre Chancen aufs Kanzleramt noch zu erhöhen.