Zensur versagt: Tod des Whistleblower-Arzts stellt Chinas Führung bloß
Von Evelyn Peternel
"Mein Gott, so viele Tote", hört man, die Kamera zeigt Leichensäcke, sie sind übereinandergestapelt. "Es ist schon wieder einer mehr gestorben", sagt der der Blogger Fang Bin im Hintergrund.
Schnitt, ein anderes Video. Es zeigt das Fangcang-Spital in Wuhan; jenes Krankenhaus, das binnen zehn Tagen aus dem Boden gestampft wurde. Die Bilder haben mit jenen, die um die Welt gingen, nichts zu tun: Keine Ärzte, offenbar keine Waschräume, Menschen schlafen am Boden.
Löschen, löschen, löschen
Bilder wie diese sieht man im offiziellen China nicht gern. Sie werden zensiert und gelöscht, die Verantwortlichen bestraft: Fang Bin, der die Aufnahmen der Leichen veröffentlicht hat, wurde kurzzeitig inhaftiert, Handy und Laptop konfisziert. Der Vorwurf: Er sei ein vom Ausland bezahlter Staatsfeind.
Meist schaffen es die Behörden, „unpassende“ Informationen schnell aus der Welt zu schaffen; die „Great Firewall“ – Chinas Zensurbehörde – sorgt dafür. Im Fall von Li Wenlinag ist die Sache nun erstmals anders: Der Mann, dessen Geschichte jetzt unter dem Namen „Whistleblower-Arzt“ um die Welt geht, war einer der ersten, die vor dem Coronavirus warnten. Der Arzt aus Wuhan wurde von den chinesischen Behörden dafür zum Schweigen verdonnert; das Virus breitete sich ungehindert aus.
Am Donnerstag starb der 34-jährige Familienvater nun – am Coronavirus.
Die Große Firewall ist brüchig
Wie damit umgegangen wird, zeigt beispielhaft, wie brüchig die „Great Firewall“ mittlerweile sein muss: Am Donnerstag – am Todestag des "Whistleblower-Arztes" – berichteten zunächst staatsnahe Medien von seinem Ableben, nur um die Meldung kurz danach wieder zu löschen. Offenbar wollte man die Deutungshoheit über Lis Geschichte behalten – und vor allem keinen Spekulationen über einen möglichen anderen Grund für seinen Tod als das Virus Raum geben.
Allein, auch dieser Versuch ging schief. Im Netz wurde nämlich heftig kritisiert, wie man den Tod kommunizierte: „Er musste zweimal sterben. Das ist eine nationale Demütigung“, schrieb ein Nutzer auf der Social-Media-Plattform WeChat. Auf Weibo, einem Twitter-ähnlichen Dienst, wurden die Hashtags „Die Regierung von Wuhan schuldet Li Wenliang eine Entschuldigung“ und „Wir wollen Meinungsfreiheit“ plötzlich von Zehntausenden geteilt – nur, um dann auch wieder gelöscht zu werden.
"Ein Desaster für die Behörden"
„Lis Inhaftierung war eine Peinlichkeit für die Behörden. Sein Tod ist aber ein Desaster“, kommentierte CNN den Fall. Der US-Sender hatte den Arzt kurz vor seinem Tod noch interviewt. In dem Gespräch hatte er die Behörden für ihr Fehlverhalten kritisiert; auch ein Posting von ihm – mit Schutzmaske im Krankenbett – ging viral.
Kaum ein Vorfall in den letzten Jahren hat mehr Aufregung verursacht. Für die Staatsführung könnte er zum Krisenmoment werden: „Jetzt versucht das Regime, 1,4 Milliarden Menschen davon zu überzeugen, dass Lis Tod kein deutliches Beispiel dafür ist, dass die Partei den Notfall nicht in den Griff bekommt. Offenheit kann Leben retten, Schweigen kann töten“, kommentiert BBC-Peking-Korrespondent Stephen McDonell.
Ein Zeichen dafür, wie sehr die Führung derzeit unter Druck steht, ist das Verhalten von Chinas Staatschef Xi Jinping. Seit einer Woche war der Staatschef nicht mehr öffentlich zu sehen, weder im Staats-TV noch auf den Titelseiten der Presse. Das ist mehr als ungewöhnlich: Normalerweise ist er dort nämlich täglich zu sehen.