"Bitte tun Sie was": "Entsetzliche Zustände" in den Spitälern Gazas
Dutzende verletzte Frauen, Kinder, Männer liegen in den überfüllten Gängen der Krankenhäuser Gazas auf dem Boden. Familienmitglieder beugen sich über regungslose Körper, halten ihre Hände oder versuchen, Kinder zu trösten. Daneben kämpfen Ärzte um das Leben weiterer Verwundeter.
Videos und Fotos dokumentieren die verzweifelten Szenen. Darunter kursieren auch Aufnahmen, wie Ärzte nur mit dem Licht von Taschenlampen im Halbdunkeln operieren.
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"Lage ist katastrophal"
"Die Lage im Al-Ahli-Krankenhaus ist katastrophal", sagt der Arzt Ghassan Abu Sitta am Sonntag. "Heute habe ich mehr als zehn sehr schmerzhafte chirurgische Eingriffe an Menschen ohne Anästhesie durchgeführt." Blutkonserven gebe es auch keine mehr. Das Al-Ahli-Krankenhaus sei das einzige Krankenhaus in der Stadt Gaza, das noch im Betrieb sei.
Zuvor habe er im Shifa-Krankenhaus, der größten Klinik des Küstenstreifens, gearbeitet. Dort musste am Wochenende der Betrieb eingestellt werden.
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Entsetzliche Zustände in der Shifa-Klinik
Im Shifa-Krankenhaus, dem größten Spital in Gaza, hat die Weltgesundheitsorganisation "entsetzliche Zustände“ beklagt. Es befänden sich mehr als 2.000 Menschen in der Klinik, darunter vermutlich mehr als 600 Patienten und rund 1.500 Vertriebene, schrieb die WHO am Montag auf der Plattform X unter Berufung auf das palästinensische Gesundheitsministerium.
Demnach konnten Patienten unter anderem keine Dialyse mehr erhalten. Frühgeborene seien zudem ohne Brutkästen in Operationssäle verlegt worden.
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„Die andauernden Feuergefechte und Bombardements in der Gegend haben die ohnehin schon kritischen Bedingungen noch verschärft“, schrieb auch WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus in einem eigenen Beitrag auf X: „Tragischerweise ist die Zahl der Todesfälle unter den Patienten deutlich gestiegen.“
Die WHO habe Kontakt zum Gesundheitspersonal in der Klinik herstellen können. Das Krankenhaus funktioniere nicht mehr als Krankenhaus. Es müsse eine sofortige Waffenruhe geben.
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"Bitte tun Sie etwas"
Die Lage der ohnehin am Anschlag arbeitenden Kliniken im gesamten Gazastreifen hat sich in den vergangenen Tagen dramatisch verschärft. Nach Angaben der WHO sind wegen der schweren Bombardierungen noch knapp ein Drittel der Hospitäler im Einsatz. Es fehle an Treibstoff, Nahrungsmittel und medizinischem Material.
Eine Krankenschwester von Ärzte ohne Grenzen schrieb aus dem Keller des Shifa-Krankenhauses nach Angaben der Hilfsorganisation: "Wir werden hier getötet, bitte tun Sie etwas."
Hamas-Kommandozentrale unter der Klinik?
Israels Militär wirft der Hamas vor, Spitäler gezielt für militärische Zwecke zu missbrauchen, und sich gezielt in der Nähe von Krankenhäusern zu platzieren. Unter dem Shifa-Krankenhaus vermutet das israelische Militär etwa eine Kommando- und Einsatzzentrale der Hamas. Menschen vor Ort befürchten, dass dem Gebäude zeitnah ein großangelegter israelischer Einsatz bevorstehen könnte.
Gegenüber dem britischen Sender BBC bestritt ein leitender Arzt der Klinik auch die Darstellung der israelischen Seite, dass sich Hamas-Kämpfer in dem Krankenhaus aufhielten. Das sei „eine große Lüge“, sagte der Chefchirurg Marwan Abu Saada. „Wir haben medizinisches Personal, wir haben Patienten und Vertriebene. Nichts anderes.“
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Das israelische Militär hatte zuvor davon gesprochen, dass die Hamas - die ein weitverzweigtes Tunnelnetzwerk unter dem Küstengebiet für ihre Zwecke nutzt - unter der Klinik eine Kommandozentrale habe und auch andere medizinische Einrichtungen im Gazastreifen für militärische Zwecke missbrauche.
Fluchtroute
Erstmals öffnete die Armee auch eine Fluchtroute zwischen dem Shifa-Krankenhaus und der Hauptverbindungsstraße in den Süden. Zudem soll das Militär nach eigener Darstellung dabei helfen, dass Babys der Kinderabteilung "in ein sichereres Krankenhaus" gelangen. Das Klinikpersonal soll darum gebeten haben. Unabhängig zu überprüfen war das gegenwärtig nicht. Augenzeugen zufolge machten sich jedoch wieder Tausende aus dem Norden auf den Weg in den Süden.
Doch nicht für jeden ist eine Flucht möglich. "Wir sprechen über Patienten, die extrem schwer zu bewegen sind. Menschen auf der Intensivstation, Menschen an lebenserhaltenden Geräten, Babys, die Sauerstoff benötigen", sagt eine Sprecherin des Roten Kreuzes, Alyona Synenko, dem US-Sender CNN.
Der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses sagte am Sonntag, die USA hätten Israel aufgefordert, Kämpfe in der Nähe von Krankenhäusern im Gazastreifen zu vermeiden.
„Die Vereinigten Staaten wollen keine Gefechte in Krankenhäusern, in denen unschuldige Menschen und Patienten, die medizinische Versorgung erhalten, zwischen die Fronten geraten“, sagte Jake Sullivan dem Sender CBS.