Politik/Ausland

Auschwitz-Überlebende: "Damit der liebe Gott weiß, dass ich die Befreiung verdient habe“

Mehr als eine Million Menschen wurde zwischen 1940 und 1945 in die Konzentrationslager von Auschwitz deportiert. Gerade einmal 7.000 von ihnen waren noch am Leben, als sich die ersten russischen Truppen am Morgen des 27. Jänner 1945, einem kalten Wintersamstag, gegen Schneefall und letzte deutsche Widerstandsnester den Weg zu den später berühmt gewordenen Toren des Lagers freikämpften.

7.000 geschundene, abgemagerte und geschwächte Menschen, von denen viele noch in den Tagen und Wochen nach der Befreiung starben. Maria Dabek hat aber überlebt. Und so sitzt die 77-Jährige mit den wachen, blauen Augen an einem grauen Jännervormittag, wenige Tage vor ihrer Abreise zur Feier anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz am Montag, an ihrem Wohnzimmertisch im Süden Wiens und erzählt zum ersten Mal in Österreich ihre Geschichte.

Die Lager

Auschwitz war ein Komplex, der aus mehreren Lagern bestand. Es gab das Konzentrationslager Auschwitz I,  das  rein als Vernichtungslager konzipierte KZ Auschwitz-Birkenau, das KZ Monowitz, oder Auschwitz III, in dem die Insassen, die zur Zwangsarbeit in umliegenden Industrieanlagen eingesetzt wurden, untergebracht waren. Dazu kamen  50 Außenlager. 

Die Errichtung

1940 begann man  mit der Einrichtung des KZ Auschwitz I. auf dem Gelände einer polnischen Kaserne. 1941 begann unter der Leitung von Rudolf Höß die Errichtung von Auschwitz-Birkenau, das als Vernichtungslager konzipiert war und den Massenmord im industriellen Maßstab möglich machen sollte. Monowitz wurde auf Initiative und mit der Finanzierung des Konzerns IG Farben ab 1941 errichtet.

Der Massenmord

Insgesamt wurden in Auschwitz rund 1,1 Millionen Menschen ermordet. Die meisten davon in den Anlagen von Auschwitz-Birkenau, wo etwa 900.000 Deportierte unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern getötet wurden. Sie wurden nicht einmal im KZ registriert. Die Selektion für die Gaskammer fand auf der Rampe des Lagers statt, die 1944 mehrmals vergrößert wurde.

Die Befreiung

Auschwitz wurde am 27. Jänner 1945 von einer sowjetischen Infanteriedivision befreit. Die SS hatte das Lager zuvor geräumt.

Als die Russen Auschwitz erreichten, hieß Maria Dabek noch Galina Bulachowa und war noch nicht einmal drei Jahre alt. Wann genau sie zur Welt kam, weiß niemand mehr. 1942 war es, „vielleicht früher, vielleicht später, aber bestimmt im Sommer“. Warum? „Weil ich sonst wohl nicht überlebt hätte.“

Ihr Vater lebte als Partisan in den Wäldern nahe der Heimat der Familie in Witebsk im Norden Weißrusslands, ihre Mutter musste sich mit den fünf Kindern ebenso im Wald verstecken. Erfolglos, im Herbst 1942 wurde sie von deutschen Truppen erwischt und sollte ihren Mann verraten. Die Mutter wusste nicht, wo der sich befand, also sagte jemand: „Dann sag den Kindern, sie sollen Gräber ausheben, weil wir sie erschießen werden.“

Es blieb bei der Drohung, doch im Frühjahr 1943 wurden Mutter und Kinder verhaftet, ins KZ Majdanek nahe Lublin in Ostpolen deportiert – und voneinander getrennt. Nur Maria, ihre Mutter und eine Schwester kamen nach Auschwitz. Das war am 15. April 1944.

Hell und warm

Erinnerungen an die Lager hat Maria jedoch keine. „Das erste, woran ich mich erinnere, ist, wie wir mit den Pferden vor dem Heim vorgefahren sind, und dort war es hell und warm. Und als erstes haben sie mir ein Häferl mit Milch gegeben. Ich habe aber gesagt, ich will kein Häferl, ich will lieber eine Schüssel. Und die waren irgendwie schockiert“, erzählt sie und lächelt.

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Das Heim war ein Waisenhaus nahe Krakau, in das sie nach der Befreiung gebracht wurde – und in dem sie ihren zweiten Namen erhielt: Halina Zalewska. Zwei Jahre blieb sie dort, dann wurde sie auf Vermittlung einer Heim-Ärztin von einem Krakauer Paar adoptiert und wurde zu Maria, weil ihre Adoptivmutter den Namen Halina nicht mochte. Generell ein schwieriges Verhältnis, erzählt Maria: „Vor der Mutter hatte ich Angst und Respekt, weil sie oft böse war. Der beste Mensch, den ich in meinem Leben hatte, war mein Adoptivvater, er hat mich immer unterstützt.“

Wieder vereint

Jahre später, der Adoptivvater war vor kurzem gestorben und Maria Wirtschaftsstudentin, hört sie eines Abends ihre Häftlingsnummer im Radio. Ihre Mutter, ihre Brüder und eine ihrer Schwestern – das Schicksal der anderen Schwester ist bis heute ungeklärt – hatten sich nach dem Krieg in Witebsk wiedergefunden und die Suche nicht aufgegeben. Aus Angst vor der Reaktion der Adoptivmutter meldet sich Maria nicht, doch ihre Familie findet sie dennoch und eines Tages steht einer ihrer Brüder vor der Türe. Erst da erfährt Maria, dass ihre Adoptivmutter ihr davor viele Briefe ihrer Familie verschwiegen hat.

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Wenig später, im Jahr 1965, sollte Maria dann zum ersten Mal ihre Mutter und ihre anderen Geschwister wiedersehen und reist mit ihrer Adoptivmutter nach Witebsk. Ein emotionaler Moment, doch es sollte das einzige Mal sein, dass sie ihre leibliche Mutter traf – im Gegensatz zu ihren Geschwistern, mit denen sie zeitlebens Kontakt hielt.

In den Westen

1969 bekam Maria dann über eine christliche Hilfsorganisation die Möglichkeit, für ein Jahr nach Wien zu gehen – und ergriff sie. In Polen gab es schließlich nicht viel, das sie hielt. Eine Entscheidung, die ihr Leben verändern sollte. Kurz nach ihrer Ankunft lernte sie auf einem Silvesterball ihren späteren Mann kennen und heiratete ihn ein knappes Jahr später. „Bist du auch so alleine?“ – mit diesen Worten sprach sie ihn an diesem Abend an, und bei der Erinnerung kann sie sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Doch Geschichte wiederholt sich, und so gut ihr Verhältnis zum Schwiegervater war, so schwierig war das zur Schwiegermutter. Dennoch betreut und pflegt Maria sie am Ende, genauso wie später ihren Schwiegervater.„Und der hat gesagt, so gut wie jetzt ist es mir noch nie gegangen“, erzählt Maria mit sichtlicher Freude – und auch ein bisschen Stolz.

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Ihren Beruf – sie war Buchhalterin – hatte sie zu diesem Zeitpunkt aus gesundheitlichen Gründen bereits aufgeben müssen. Doch Maria suchte sich eine neue Beschäftigung und fand sie bei der Caritas, für die sie von da an ältere Menschen betreute – auch nach ihrer Pensionierung, bis heute.

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Aber war es nicht schwierig, als NS-Opfer ausgerechnet in eines der Täter-Länder zu gehen?

„Ich habe lange gebraucht, bis ich mich eingewöhnt hatte. Ich wusste natürlich, wie viele Österreicher in Auschwitz waren. Aber mein Mann und meine Töchter haben mir geholfen.“ Dennoch bleiben ihr auch Erfahrungen mit Ausländerfeindlichkeit nicht erspart. „Die Österreicher sind schon schwierig, wirklich“, seufzt sie.

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Aber war es trotz allem ein gutes Leben?

„Eigentlich ja, weil ich vielen Leuten geholfen habe. Das musste ich: Wenn ich schon überlebt habe, dann muss ich etwas dafür zurückgeben. Das ist für mich ein Auftrag. Damit der liebe Gott weiß, dass ich die Befreiung verdient habe.“

Alles ertragen, verzeihen, anderen helfen, das ist nun einmal Maria Dabeks Leben.