Politik/Ausland

Amy Coney Barrett im Eiltempo an den Obersten Gerichtshof berufen

Falls die Präsidentschaftswahl in Amerika ein Wimpernschlag-Finale wird und der Streit um ein paar Tausend Stimmen mehr oder weniger für Donald Trump oder Joe Biden vor dem höchsten US-Gericht landen sollte, hat der Amtsinhaber seit Montagabend einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: 

Mit der von Trump im Eiltempo forcierten und vom Senat mit knappen 52:48-Stimmen durchgedrückten Nachbesetzung der Stelle der liberalen Justiz-Ikone Ruth Bader Ginsburg durch die erzkonservative Amy Coney Barrett entsteht am Supreme Court eine strukturelle 6:3-Mehrheit zugunsten konservativer Verfassungsauslegung. 

Die 48-Jährige wurde noch am Abend im Weißen Haus in einer live im Fernsehen übertragenen Feierstunde im Beisein von Präsident Donald Trump durch Richter-Kollegen Clarence Thomas vereidigt. 

Sie ist - auf Lebenszeit - ab sofort amtsfähig und kann in alle anhängigen Verfahren eingreifen. Unter anderem am 10. November in ein hoch kontroverses Klageverfahren, das einen Eckpfeiler der Gesundheitsreform von Trumps Vorgänger Barack Obama einreißen und potenziell 20 Millionen Amerikaner um ihren Versicherungsschutz im Krankheitsfall bringen könnte. 

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Die Demokraten stimmten geschlossen (47) gegen Coney Barrett. Sie hatten, allen voran Präsidentschaftskandidat Joe Biden, mit der Umfragen-Mehrheit der Bevölkerung im Rücken verlangt, dass die Entscheidung dem neu zusammengesetzten Senat nach der Präsidentschaftswahl am 3. November vorbehalten bleiben soll. 

Vergeblich. Senatsführer Mitch McConnell, der den Demokraten zu Zeiten von Präsident Barack Obama in einer ähnlichen Konstellation die Installierung des moderaten Richters Merrick Garland über Monate verbaut hatte, verweigerte sich dem Ansinnen und verfolgte zielstrebig reine Machtpolitik.

Sein Tenor: „Wir haben die nötigen Stimmen, wir ziehen das durch. Die andere Seite hätte es genauso gemacht.” Allein die um ihre Wiederwahl kämpfende republikanische Senatorin Susan Collins aus Maine stimmte gegen ihre eigene Partei.

Erfolg für Trump

Für Präsident Trump ist die prestigeträchtige Personalie kurz vor der Wahl ein veritabler Erfolg. Er hatte seit Amtsantritt 2017 mit Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh bereits zwei konservative Richter an den Supreme Court bugsiert. 

Trump war mit dem Versprechen angetreten, die Bundesgerichtsbarkeit wann immer möglich durch Neubesetzungen auf Jahrzehnte konservativ zu trimmen. Bisher hat Trump über 200 Richter in diesem Sinne installieren lassen.

Vor einer Woche hatten in Washington Zehntausende gegen die Berufung Coney Barrett protestiert. Die siebenfache Mutter steht im Verdacht, sich an der Demontage des vor fast 50 Jahren begründeten Rechts auf Abtreibung beteiligen zu wollen, falls der Supreme Court die Angelegenheit aufgreifen sollte. Sie selbst bestreitet das.

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Das unter dem Stichwort „Roe versus Wade” bekannte Jahrhundert-Urteil findet in der amerikanischen Bevölkerung immer noch große Zustimmung. Religiöse Gruppen und Kirchen fordern dagegen die Aufhebung. Barrett gehört in der Katholischen Kirche der ultrakonservativen „People of Praise”-Bewegung an, die eine strenge hierarchische Ordnung gutheißt, in der Männer Frauen religiös grundierte Vorschriften machen dürfen. 

Während des dreitägigen Anhörungsverfahrens ließ sich die ehemalige Rechtsprofessorin der Elite-Universität Notre Dame (Indiana) nie in die Karten schauen. Sämtliche Fragen nach eventueller Rechtsprechung in der Zukunft oder der Bewertung von aktuellen politischen Sachverhalten ließ die aus New Orleans stammenden Juristin konstant unbeantwortet. Coney Barrett entzog sich sogar der Bewertung der simplen Frage, ob der Klimawandel existiert. Das sei „Gegenstand öffentlicher Debatten”, keine wissenschaftliche Tatsache. Darum könne sie dazu nichts sagen. 

Generell wolle sie juristischen Auseinandersetzungen mit einem „offenen Geist” begegnen. Ein unmissverständliches Bekenntnis zum Rechtsgrundsatz „stare decisis“, wonach Grundsatzentscheidungen Bestand haben sollten, war ihr nicht zu entlocken. 

Die Demokraten bezeichneten Barrett inoffiziell als „black box”, bei der man erst sehen werde, wie sie die Verfassung auslegt, wenn es in kontroversen Fällen ans Eingemachte gehe

Die Republikaner bescheinigten ihrer Kandidatin das gleiche Lob, das auch von Präsident Trump kam: exzellente Persönlichkeit, buchstabengetreue Interpretin der Verfassung, herausragend qualifiziert für einen Platz auf der neunköpfigen Richterbank, die zu Amerikas wichtigster Schlichtungsinstanz in gesellschaftlich kontroversen Fragen geworden ist. 
 

Knappe Abstimmung

Und die mit ihren Entscheidungen regelmäßig polarisiert. Ausdruck dieser mangelnden Akzeptanz ist eine Zahl. Als Bill Clinton 1993 Ruth Bader Ginsburg vorschlug, wurde die später für ihren Beitrag zu Frauenrechten berühmt gewordene Richterin mit 96 zu 3 Stimmen im Senat bestätigt, sprich: mit großem überparteilichen Rückenwind. Hinter Amy Coney Barrett versammelte sich mit Mühe und Not knapp die Hälfte der 100 Senatorinnen und Senatoren.

Coney Barrett betonte in ihrer kurzen Rede, dass sie sich in ihrem neuen Amt strikt an die Gesetze und die Verfassung halten werde. Persönliche, religiöse oder politische Überzeugungen würden bei ihrer Rechtsfindung keine Rolle spielen. Die Demokraten halten das für Heuchelei. Ihr Indiz: In der Anhörung wurde Coney Barrett aufgefordert, sich präventiv für befangen zu erklären, falls ihr in Kürze von Donald Trump eine Anfechtungsklage über das Ergebnis der Präsidentschaftswahl am 3. November vorgelegt würde. Coney Barrett wollte diese Zusage nicht geben.

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