Leben/Gesellschaft

Unerfüllter Kinderwunsch: Wenn's nicht klappt

Ein langandauernder unerfüllter Kinderwunsch geht selten spurlos an einem Paar vorbei. Psychotherapeutin Eveline Leitl begleitet betroffene Paare seit über drei Jahrzehnten. Mit dem KURIER sprach sie über Folgeerscheinungen und erzählte, welche Auswirkungen das auf die Beziehung haben kann.

KURIER: Wie geht es Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch?

Eveline Leitl: Meist haben sie bereits eine Geschichte hinter sich. Heute wartet man mit der Familienplanung häufig ab, bis die Bedingungen stimmen; also die Ausbildung abgeschlossen und eine berufliche Basis geschaffen ist. Dann kommt irgendwann der Wunsch nach einem Kind auf – und es passiert nichts. Aus meiner Erfahrung dauert es dann in der Regel etwa ein halbes Jahr, bis erste Schritte unternommen werden.

Wie geht es dann weiter?

Viele Paare machen sich zunächst selbst schlau. Nach etwa einem Jahr landen sie dann bei uns oder einem anderen Institut, das sich mit Reproduktionsmedizin befasst. Im Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz wird dann auch der Mann untersucht – denn noch immer ist es häufig so, dass bei einer ausbleibenden Schwangerschaft zuerst die Frau untersucht wird. Laut Statistik sind Männer aber weitaus häufiger an der Nicht-Familiengründung beteiligt.

Warum ist das so?

Das ist ein sozialpolitisches Thema. Der Kinderwunsch wird in die Verantwortung der Frau geschoben. Zwar habe ich hier im Laufe der Jahre ein Umdenken bemerkt – dort, wo wir hingehören, sind wir aber noch lange nicht.

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Was löst die Diagnose Unfruchtbarkeit bei Paaren aus?

Es ist ein meist Schock. Sehr oft wird der Schock zuerst verdrängt, beziehungsweise von Hoffnung abgelöst. Wenn in Zusammenarbeit mit einer medizinischen Einrichtung zielgerichtete Maßnahmen ergriffen werden, kann das Paar erst einmal durchatmen, in dem Wissen, dass geholfen wird. Die Diagnose „unfruchtbar“ kommt sehr selten vor, meistens ist es eingeschränkte Fertilität.

Gehen Männer und Frauen anders mit dem Thema um?

Trauer und die Verarbeitung sind generell individuell unterschiedlich. Üblicherweise suchen Frauen eher Hilfe und sprechen mehr und offener darüber. Männer verdrängen viel mehr. Ich erlebe aber immer wieder, dass wenn der Mann alleine kommt, weil er unfruchtbar oder eingeschränkt fruchtbar ist, im Gespräch eine Öffnung möglich ist. Dass Betroffenheit, Kränkung und Ratlosigkeit sehr wohl ausgesprochen werden.

Was bedeutet das für die Beziehung?

Wesentlich für eine Entlastung ist das gegenseitige Verständnis für den unterschiedlichen Umgang. Es muss Raum dafür geben, darüber zu sprechen, es muss aber auch Auszeiten geben. Um dem unterschiedlichen Umgang von Männern und Frauen gerecht zu werden, gibt es etwa Austauschgruppen nur für Frauen, aber auch solche, die Paare gemeinsam besuchen können.

Auch wenn ein Behandlungszyklus negativ ausgegangen ist oder gar ein Kind verloren wurde, gibt es bei der Verarbeitung Unterschiede. Weil im Körper der Frau rein biologisch während der Behandlung mehr passiert, ist es natürlich, dass Frauen tiefer und länger trauern. Das bedeutet nicht, dass sie überempfindlich sind. Der Mann ist aber auch nicht herzlos, wenn er kürzer und weniger trauert.

Wie beurteilen Sie den Ratschlag an Paare, sich nicht zu stressen und gibt es einen Zusammenhang zwischen Psyche und Unfruchtbarkeit?

Ich finde, diese Argumentation hat fast etwas Zynisches. Eigentlich wird damit gesagt, dass man sich nicht zu sehr auf den Kinderwunsch versteifen darf. Das ist grotesk. Der Kinderwunsch hat mit Lebensplanung, Zielsetzungen und Lebensinhalt zu tun. Zu sagen, dass man sich deswegen nicht zu sehr stressen sollte, ist heller Wahnsinn. Zumal keine effiziente Hilfe angeboten wird, wie das zu bewerkstelligen wäre. Das heißt nicht, dass es nicht auch psychogene Ursachen für unerfüllten Kinderwunsch gibt. Aber sie sind äußerst selten.

Wie soll sich das familiäre und soziale Umfeld verhalten?

Keine Ratschläge zu geben, ist das oberste Prinzip. Wenn man es jemandem sagt, im Umfeld oder der Familie, dann sollte man möglichst als Paar auftreten. Man sollte im Vorhinein klarstellen, dass es kein Tabu- aber ein Intimthema ist und, dass die Entscheidung, wem und ob sich das Paar anvertraut, immer diesem selbst obliegt.

Welche Folgeerscheinungen können auftreten?

Wenn nach einer Fehlgeburt der Wert des Schwangerschaftshormons Beta-hCG im Blut der Frau nicht und nicht sinkt, manifestiert sich darin oft ein Festhalten am Kind und Kinderwunsch.

Es passiert immer wieder, dass in einer belasteten Phase des Lebens latente Probleme hochkommen. Es kann etwa zu Panikattacken oder vermehrten Ängsten kommen. Auch Schlafprobleme können auftreten. Da muss man hinschauen und den Belastungsstress lindern. Auch Neid, Eifersucht und Wut spielen meist eine Rolle.

Auf wen?

Seltener auf Kinder, aber auf deren Eltern. Mein Lieblingsvergleich ist der mit einer Verletzung. Wenn ich eine frische Wunde habe, darf ich mich zurückziehen. Wenn eine Babytaufe ansteht oder eine Freundin ein Baby bekommen hat, sieht man es eben später. Man darf sich schonen und zuerst auf sich schauen. Ich sage Paaren, dass sie wütend, neidisch und eifersüchtig sein dürfen. Gedanken und Gefühle kommen, wir sind für sie nicht verantwortlich. Ich sage ihnen aber auch, was sie nicht dürfen. Und zwar Babys stehlen und Bananenschalen vor Schwangere streuen. Für unser Handeln sind wir verantwortlich.

Wie sehen Sie die öffentliche Diskussion über unerfüllten Kinderwunsch?

Da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Es macht mich wütend, wenn so getan wird, als würden sich Paare, die sich bei der Fortpflanzung unterstützen lassen, ein Designerbaby (Attribute wie Geschlecht oder Augenfarbe werden durch medizinische Maßnahmen bestimmt, Anm.) abholen. Es gibt Extremfälle, die das wollen, sie sind aber in Österreich und überhaupt in Europa am falschen Platz.

Ungewollt kinderlos: Zahlen  und Fakten

Zwischen 10 und 15 Prozent aller Paare sind dem Kinderwunsch Zentrum der Kepleruniversität Linz zufolge in Österreich ungewollt kinderlos.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass bei Paaren innerhalb eines Jahres bei regelmäßigem ungeschützten Geschlechtsverkehr eine Schwangerschaft eintritt.

Im Jahr 2017 kamen laut Statistik Austria 87.633 Babys zur Welt. 2605 davon durch fortpflanzungsmedizinische Maßnahmen. Dafür wurden laut IVF-Register Jahresbericht 2017 insgesamt 10.216 IVF-Versuche bei 6766 Paaren unternommen. Bei rund 61 Prozent der Frauen wurde im Jahr 2017 ein Versuch, bei 28,5 Prozent zwei Versuche dokumentiert. Ein geringer Prozentsatz verteilt sich auf drei, vier und mehr als vier Versuche je Paar. 39 Prozent der Frauen waren zwischen 31 und 35 Jahre alt, gefolgt von der Altersgruppe der 36- bis 40-Jährigen mit 34 Prozent. 22 Prozent waren zwischen 26 und 30, fünf Prozent unter 26 Jahren. Von den 2970 dokumentierten Schwangerschaften waren 89,9 Prozent Einlinge und 9,7 Prozent Zwillinge. Bei mehr als der Hälfte der Versuche lag die Ursache für die Kinderlosigkeit beim Mann. 14,1 Prozent der Versuche (1437 von 10.216) wurden wegen einer Indikation, welche die Frau betraf, vorgenommen.