Leben/Gesellschaft

Von Wilder Jagd bis zu Lostagen: Welche Bräuche es in den Raunächten gibt

Die Zahl Zwölf

Die Zahl sticht heraus: Schon für antike Kulturen war die Zwölf bedeutend. Auch in der Astronomie: Zwölf Monate, zwei Mal zwölf Stunden pro Tag oder zwölf Mondphasen etwa. Und erst die Rolle in der Bibel! Von den zwölf Stämmen Israels, den zwölf Söhnen Jakobs bis zu den zwölf Jüngern Jesu kommt sie vor, insgesamt 160 Mal. Wenig überraschend: „Die Zwölften“ oder „Zwölf heilige Nächte“ heißen die Raunächte in manchen Regionen – und dauern folglich ebenso lange.

Längste Nacht

Es passiert heuer am 21. Dezember:   Die Wintersonnenwende zeigt auf der nördlichen Erdhalbkugel den niedrigsten Stand der Sonne am  Horizont an.  Dieser Tiefststand markiert gleichzeitig den kürzesten Tag des Jahres. Nur rund acht Stunden ist es in Mitteleuropa hell. Was im Umkehrschluss heißt: Die längste Nacht des Jahres steht ebenfalls an. Das Datum ändert sich allerdings marginal, es kann auch der 22. Dezember sein, laut astronomischen Berechnungen fällt Sonnwende aber öfter auf den  21.

Heiliger Thomas

Der Gedenktag des Apostels  fand bis 1970  am 21. Dezember (heute 3. Juli) statt.  Der „ungläubige Thomas“  glaubte am längsten   nicht an die Auferstehung Jesu. Da passt das Datum gut –  er  verharrte ja  am längsten in der Dunkelheit des Zweifelns. Die „Thomasnacht“  war im Volksglauben lang mythisch behaftet, Spiele  zu Zukunftsfragen waren beliebt. Oft ging es um Liebe,  und ob bzw. wen man heiratet. Dafür warf man Patschen oder Hüte oder betete Sprüche, die Traumerscheinungen begünstigen sollten.

Lostage

Da sich die Raunächte über die dunkelste Zeit des Jahres – noch dazu über Jahresende und -anfang – erstrecken, galten sie über Jahrhunderte als Tage bzw. Nächte, in denen man die Zukunft ablesen konnte. Mit den Raunächten begannen vielerorts  sogenannte „Lostage“. Bei diesen Bräuchen ging es ums „losen“,  was in alten Dialekten „hören“ heißt. Es wird also in dieser Zeit, das im bäuerlichen Arbeitsjahr verhältnismäßig ruhig war, genau hingelost (hingehört), was sich in der Natur abspielt und interpretiert. 

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Räuchern

Das Ausräuchern mit Harzen wie Weihrauch oder Kräutern zählt  zu den bekanntesten Raunachtsbräuchen. Heute greifen ihn viele auf, um auch geistig zur Ruhe zu kommen.  Ursprünglich sollten damit Haus und Hof symbolisch gereinigt und vor schädlichen Einflüssen im neuen Jahr geschützt werden.  Mit heißer Asche aus dem Ofen, verteilt in einer Räucherpfanne, wurde der Weihrauch mit Gebeten durchs Haus getragen. Praktiziert werden Räucherrituale weitaus länger und sie sind in vielen Kulturen bekannt. 

Raunächte

Ob das Wort von „rau“ (im Sinn von kalt) oder „Rauch“ (wegen des Räucherbrauchs) kommt, ist unklar. Die dunklen Nächte dürften aber schon in vorchristlichen Gesellschaften als Zwischen- oder Schwellenzeit mit Ritualen begangen worden sein. Sie umfassen die Zeit zwischen Wintersonnenwende und Dreikönigstag (6. 1.),  je nach Region werden sie unterschiedlich berechnet (21. bis 31. 12., oder 24. 12. bis 6. 1.) Geblieben sind vier Haupt-Raunächte geblieben: 21., 24., 31. Dezember und 5. Jänner. 

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Sprechende Tiere

Um Mitternacht des 24. Dezembers wird es laut in den Ställen: Die Tiere sollen dann sprechen können. Doch wer ihnen lauschen will, wird im nächsten Jahr kein Glück haben oder gar sterben. Von Aberglauben geprägte Geschichten wie diese haben eine lange Tradition im bäuerlichen Brauchtum im Voralpen- und Alpenraum. Vielleicht, weil viele Phänomene in früheren Zeiten, gerade in der dunkelsten Zeit des Jahres  nicht erklärbar waren.  Auch heidnisches Brauchtum dürfte sich in einer Art Mächtespiel zwischen Gut und Böse erhalten haben.  

Wilde Jagd

Gleich ein ganzes Heer wilder Gestalten jagt in den kalten Winternächten durch die Lüfte und auch dieser „Wilden Jagd“ sollte man tunlichst nicht während ihrem Treiben begegnen. Auch wenn sie den Menschen nicht feindlich gesinnt sind. So oder so ähnlich wird es in mehreren Volkssagen – in verschiedenen europäischen Regionen, von Nord- bis nach Mitteleuropa – beschrieben.   Die Wurzeln scheinen auch hier in heidnischen Brauchtum zu liegen, das vom christlichen überlagert wurde und im Volksglauben weitergetragen wurde.

Perchten

Die zotteligen Gestalten  mit furchterregenden Masken findet man  nicht nur in Raunächten  und im alpinen Raum. Schon im November finden mancherorts folkloristische Perchtenumzüge statt. Im alpinen Raum zählen die Umzüge der lauten Figuren, die auf eine Sagengestalt namens „Frau Percht“, einer entfernten Verwandten der Grimm’schen Frau Holle,  schon seit Jahrhunderten zum Raunächtebrauchtum. Mit Lärm dunkle Geister zu vertreiben, ist ein Grund dafür. Oder, sich ein mal hinter Masken der Ordnung zu widersetzen.

Wäsche

Die einen hängen in den Weihnachtsraunächten (24. und 31. Dezember und 5. Jänner) keine Wäsche auf. In einigen Gegenden Deutschlands soll man zwischen Weihnachten und Neujahr gar nicht erst Wäsche waschen. Es ist einer jener Bräuche, die sich bis heute vielerorts erhalten haben. Der Ursprung scheint einmal mehr auf die Geister der Raunächte zurückzugehen. Die würden nämlich, sagen die einen, Sauberkeit bevorzugen. Oder sich in aufgehängter Wäsche verfangen. So oder so bringe ein Zuwiderhandeln Unglück im neuen Jahr.

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Licht und Lärm

Das neue Jahr mit Lärm und Licht in Form eines Feuerwerks zu begrüßen, gehört zu Silvesterfeiern rund um die Welt einfach dazu.  Der Volksglaube zu den Raunächten kennt derartige Bräuche ebenfalls. Und es dürfte unseren Vorfahren dabei nicht allein um Grußbotschaften gegangen sein. Eher sollte mit dem Lärmen, das vielfach noch auf vorchristliches Brauchtum zurückgeht,  böse Geister und Dämonen  vertrieben werden. In Oberösterreich  war Silvesterlärm in manchen Regionen ein Mittel, um symbolisch die Natur aufzuwecken.

Orakel

Der lange Winter animierte vermutlich die Fantasie, darauf folgten Interpretationen aufgrund von bestimmten Ereignissen. Die Raunächte sind als Zeit zwischen den Jahren vielleicht deshalb so prädestiniert für die Fülle an Ritualen, Weissagungen und Regeln.  Zahlreiche Orakelbräuche sollten  einen Blick in die Zukunft erlauben. Jede Nacht der Raunächte kann zum Beispiel einem Monat des kommenden Jahres zugeordnet werden – das jeweilige Wetter sollte dann Hinweise auf Sonne, Regen oder Wind in diesem zukünftigen Monat geben.