Leben/Gesellschaft

Axels Terrasseneintopf: Die Primel ist eine Angeberpflanze

Wer sich eine angemessene Frühlingsdepression gönnen will, wird dabei derzeit von Primeln gestört. Die Beete der Stadt, diese Naturnotlügen des Straßenverkehrs, werden gerade gespickt mit ihrer aggressiven Buntheit.

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Grinsende Menschen jauchzen durch Gartencenter und geben ungefragt zum Besten, dass es an der Zeit sei, weil schließlich komme Primel von Primula und das heiße auf Latein „die Erste“. Aber geh. Die Primel als Pflanze für Neunmalkluge, aber auch für Einsteiger. Leichter Erfolg gepaart mit Latein-Angeberwissen, das überlebt keine Depression.

Dazu passt, dass die bunte Kleinblume aus China kommt, zumindest die meisten der gut 500 Arten. Ja, vielfältig ist sie auch noch, weiteres Angeberwissen: Wilde Primeln kommen ausschließlich auf der Nordhalbkugel vor, die Bezeichnung Schlüsselblume gilt eigentlich nur für einzelne Arten, und die Ansprüche der vielen unterschiedlichen Primeln variieren stark.

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Weshalb man für den richtigen Umgang wissen muss, welche Art man in Händen hält. Da aber fast nur Hybriden angeboten werden (Züchtungen), weiß man das wie oft in der modernen Pflanzenmarktindustrie eh nie genau.

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Also muss man sich hindenken: Schlüsselblumen und Aurikel brauchen viel Sonne und relativ trockenen Boden, alle anderen Arten stehen gerne halbschattig bis sonnig in eher fetten Böden und eher feucht (aber ohne Staunässe!). Viele der Arten kommen ursprünglich aus dem Gebirge, kaum eine Art ist heikel (es ist daher besonders schändlich, dass sich Primeln bei uns zu Wegwerfblumen entwickelt haben). Sie sind mehrjährig und winterhart (eh klar: Nordhalbkugel und Gebirge) und passen sich dem Lebensraum gut an. Übrigens: Gelbe Arten kommen aus dem Flachen (Bestäubung durch Bienen), andere aus der Höhe (Falter).

Auch im Wuchs sind die Wunderwuzzis sehr vielfältig, manche wirken wie Bodendecker, andere werden bis zu 50 Zentimeter hoch. Weil die Ansprüche aber oft sehr ähnlich sind, lassen sich aus den unterschiedlich hohen Arten gute Arrangements im Topf machen – flach bis hoch, alle Farben, ein Primeleintopf.

An dieser Stelle muss man über die Blätter reden. Was ja bei Blühwundern oft nur als nötiges Beiwerk erachtet wird (Zwiebelblumen etwa), gibt der Primel erst den Rahmen, den die Blüte braucht. Die tiefgrünen, leicht sukkulenten (wasserspeichernden) Blätter zeigen auch gut an, ob die Pflanze den jeweiligen Standort mag.

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So lange es noch friert, muss man die „Erste“ übrigens ein bisschen im Auge haben. Die jetzt angebotenen Primeln sind Kälte noch nicht gewohnt. Bei stabilen Temperaturen gehört sie aber dauerhaft hinaus, die Primel ist als Zimmerpflanze unglücklich (wobei es manche Sorten sehr gut in eher dunklen Räumen schaffen, den Wurzelballen nie austrocknen lassen!).

Eines noch: Obwohl der Primel heilende oder zumindest lindernde Kräfte bei Husten nachgesagt werden (hoher Saponingehalt, verflüssigt den Schleim bei chronischer Bronchitis), gab es auch schon Berichte über Vergiftungserscheinungen nach Primel-Verzehr. Aber wie sagt der Lateiner? Sola dosis facit venenum (Nur die Dosis macht das Gift).

axel.halbhuber@kurier.at