Kultur

Warum es heuer weniger Rockfestivals gibt und wie es weitergeht

Rammstein, Placebo, Marilyn Manson, Iggy Pop, Nine Inch Nails, Die Toten Hosen und Die Ärzte – sie alle hatten im Festivalzelt von Wiesen umjubelte Auftritte und prägten den Ruf des kultigen Geländes in der burgenländischen Gemeinde.

Heuer wird auf der Website der Wiesen-Festivals ein kleinerer, roter Star angekündigt: „Alles Erdbeere“ ist für 9. und 10. Juni angekündigt. Im August folgt Weltmusik.

Anno 2018 will man sich in Wiesen umorientieren: „Unser Fokus ist jetzt auf Veranstaltungen für Familien und Genuss“, sagt Juliane Bogner, die Programmverantwortliche und Tochter des Firmengründers Franz Bogner. „Sie sollen mit Workshops partizipativ sein. Allen voran aber sind uns die Wiesen-Werte wichtig: Respekt für einander, Respekt für unterschiedliche Kulturen und Völkerverständigung. Das war auch schon meinem Vater sehr wichtig, als er das Gelände aufbaute.“

Unfreiwillig

Freiwillig kommt diese Umorientierung nicht. 2015 kündigte die Familie Bogner dem langjährigen Partner Ewald Tatar, dem Veranstalter des „Nova Rock“, den Vertrag. Er hatte in Wiesen das „Forestglade“-Festival etabliert, dafür die namhaftesten Acts der Rock- und Alternative-Szene engagiert. Tatar sei vertragsbrüchig geworden, hieß es damals von Seiten der Wiesener. Wie genau, will Frau Bogner auch jetzt im KURIER-Interview nicht darlegen: „Das ist viel zu lange her!“

Tatars Nachfolger, die Konzertagentur Arcadia, stellte dann für 2016, ein Programm mit sieben neuen Festivals für Wiesen zusammen, musste aber zwei davon wegen mangelnder Ticketverkäufe ganz absagen. Die anderen waren schlecht besucht. 2017 organisierte Arcadia in Wiesen weniger Festivals, war beim den Drum-n’-Bass-Sounds gewidmeten „Nu Forms“, aber auch bei „Out Of The Woods“ mit Feist, Phoenix und Alt-J gut besucht. Trotzdem beendeten Familie Bogner und Arcadia den auf fünf Jahre anberaumten Vertag nach nur zwei Saisonen „einvernehmlich“. „Wir wollten weg von den Exklusiv-Verträgen, wo nur ein einziger Veranstalter das Gelände bespielen darf“, erklärt Bogner. „Wir wollen an verschiedene Veranstalter vermieten und auch selbst wieder mehr machen. Arcadia hat nichts falsch gemacht. Deren Programm war Spitze. Warum es nicht funktioniert hat? Keine Ahnung!“

 

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„Sehr, sehr viel Zeit“ sagt Filip , Geschäftsführer von Arcadia, habe auch er damit verbracht, zu analysieren, warum der Plan nicht aufgegangen ist und 2016 auf dem für 8000 Besucher geeigneten Gelände oft nur 1000 bis 1500 Leute bei seinen Festivals waren – von denen, wie er ehrlich zugibt, viele eingeladen waren.

„Wir wollten viel umsetzen, denn es war unsere erste Saison und noch dazu das 40-jährige Wiesenjubiläum“, sagt er. „Vielleicht war der Plan zu ambitioniert. Aber es war auch das Jahr, in dem Österreich seit Langem wieder einmal bei der Fußball-WM qualifiziert war. Am Tag des geplanten Jazzfests Wiesen spielte Österreich gegen Portugal. Wir mussten absagen – obwohl wir The Roots als Headliner hatten, die in Österreich ewig nicht zu sehen waren.“ Weitere Gründe sieht Potocki im Präsidentschaftswahlkampf. „Da wurde in den sozialen Medien nur Links gegen Rechts diskutiert. Das war ein heißeres Thema als: ,Hast du schon gehört, dass The Roots nach Wiesen kommen?‘“

Es hätte aber gerade hohe Publikums-Aufmerksamkeit gebraucht, um neue Festivalmarken zu etablieren. Beispiel „Summerville“: Ein Festival für Familien mit Kindern, mit Angeboten und Betreuung für die Kleinen und Musik von Zaz oder Damien Rice für die Großen. Aber zu wenige konnten sich darunter etwas vorstellen, zu wenige kamen. Und das, obwohl Arcadia in Wiesen einen Komfort-Campingplatz mit Hütten mit Betten, Strom, WLAN und eigenem Duschbereich installierten.

Abgebaut

Die Hütten sind jetzt wieder abgebaut, bei Arcadia für eine spätere Verwendung eingelagert. Ein weiterer Grund für das, was Potocki heute als „unsere Seuchen-Saison“ bezeichnet, war, dass Wiesen den jungen Leuten kein Begriff mehr ist: „Es gab tatsächlich Leute, die bei der Ortsangabe an die Wiener Wiesn gedacht haben. Und welche, die beim ,Hip-Hop-Open‘ vor der Ottakringer Brauerei standen, weil das Wiesengelände Ottakringer Arena heißt.“ Der wichtigste Grund war aber das Überangebot in diesem Jahr. Denn Tatar stellte seine etablierten Festivals natürlich nicht ein, sondern verlegte sie nach Eisenstadt oder Wien.

Und schon 2015 war mit „Rock In Vienna“ ein weiteres großes Festival dazugekommen. Die deutsche Firma DEAG holte damals Metallica, Kiss und Muse auf die Donauinsel. Genau am Wochenende vor dem „ Nova Rock“.

So warnte Tatar schon vor der Saison 2016 im KURIER-Interview, das sei alles zu viel für den österreichischen Markt. Irgendwann werde es einen großen Knall geben.

 

Den gab es jetzt – nicht nur in Wiesen. Nach dem das „Rock In “ 2016 okay lief, holten die DEAG 2017 viele Hip-Hop-Acts in das Programm. Zu viele für den Geschmack des auf Rock eingestellten Publikums. Es blieb aus, die DEAG zog sich dem Österreichgeschäft zurück und „Rock In Vienna“ ist nach drei Jahre auch schon wieder Geschichte.

Der große Gewinner nach dem großen Knall ist Tatar. Eine Genugtuung? „Nein, das nicht“, sagt er. „Es ist eine Erleichterung, weil der Markt lockerer wird und man besser kalkulieren kann. Denn natürlich werden die Gagen in die Höhe getrieben, je mehr Bieter sich um einen Act reißen. Andererseits gilt das ja längst nicht mehr nur österreichweit: An dem ,Nova Rock‘-Wochenende gibt es jetzt auch ein Festival in Italien, eines in Frankreich und eines in Holland. Sie alle wollen die paar Acts haben, die gerade in Europa auf Tour sind und auch Headliner spielen können. Im Schlaraffenland sind wir immer noch nicht.“

Optimistisch

Klar, sagt Tatar, merke er, dass das Vorverkaufsverhalten für das „Nova Rock“ ohne die Konkurrenz von „Rock In Vienna“ besser ist. Aber nicht nur er blickt nach der Szenebereinigung optimistisch in die Zukunft. Potocki überlegt, ein paar seiner Festivalmarken – „Out Of The Woods“ oder „Hip-Hop-Open“ – später wiederzubeleben. Für heuer ging sich das noch nicht aus. Denn: „Ein neues Festivalgelände, bei dem Anfahrtswege, Flair und alles andere passt, schüttelt man nicht aus dem Ärmel.“

Auch Juliane Bogner kann sich gut vorstellen, wieder große Musik-Acts in Wiesen zu Gast zu haben. Allerdings fallen ihr mit Tatar und Arcadia die potentesten Veranstalter Österreichs jetzt weg. Aber: „Wir haben auch selbst immer noch guten Beziehungen zu den internationalen Konzert-Agenturen, bekommen ihre Mails. Und wir bekommen auch immer wieder Anfragen von heimischen Veranstaltern, die bei uns etwas machen wollen. Das braucht halt Zeit. Aber wir sind für alles offen und verschließen uns vor nichts.“

Keine Rückkehr von Tatar

"Wiesen ist für mich abgeschlossen", sagt Ewald Tatar. "In den zwei Jahren, in denen Arcadia dort war, ist ein anders System von Festivalmarken entstanden. Ich will jetzt nicht mehr die Energie aufbringen, das alles wieder neu zu erfinden, neue Festivals zu etablieren – weder vom Arbeits- noch vom finanziellen Aufwand her. Das „Lovely Days“ und die „Nova Jazz & Blues Night“ sind von Wiesen nach Eisenstadt gewandert und dort von Anfang an super bei den Leuten angekommen. Ich habe also genug Festivals, die ich erhalten will. Ich habe da keine Wünsche mehr offen."

Das heurige Angebot an Festivals

  • Nova Rock: 14. bis 17. Juni, Nickelsdorf/Pannonia Fields. Mit u .a. Die Toten Hosen, Seiler und Speer, The Prodigy, Rise Against, Body Count feat. Ice-T, Dame, und Iron Maiden
  • Ö3-Popzirkus am See:22. & 23. Juni: Pörtschach/Open Air Arena. Mit Cro, Revolverheld, Max Giesinger, SDP, Julian Le Play und anderen.
  • Donauinselfest: 22. bis 24. Juni, Wien/Donauinsel. Mit Antilopen Gang, Portugal. The Man, Gert Steinbäcker, Konstantin Wecker, Best Of I Am From Austria u. a.
  • Jazz Fest Wien: 15. Juni bis 10. Juli, Wien/diverse Clubs und Säle. Mit Melody Gardot, Caro Emerald, Till Brönner, Cee-Lo Green u. a.
  • Nova Jazz & Blues Night: 29. Juni, Eisenstadt/Schlosspark Esterházy. Mit Parov Stelar, Gregory Porter, Jestofunk, The Cat Empire, Freak Power, Hot Pants Road Club
  • Clam Rock: 29. Juni, Klam/Burg Clam. Mit Status Quo, Jimmy Cliff, Eric Burdon, Gary Clark Jr. und Ten Years After.
  • Lovely Days: 30. Juni, Eisenstadt/Schlosspark Esterházy. Mit u. a. Status Quo, Jimmy Cliff, Eric Burdon, Manfred Mann’s Earthband-
  • Electric Love: 5. bis 7. Juli, Salzburg/Salzburgring. Mit Are Legend (Dimitri Vegas, Like Mike und Steve Aoki), Marshmello, Ofenbach u. a.
  • Poolbar: 6. Juli bis 14. August, Feldkirch/Altes Hallenbad im Reichenfeld. Mit Eels, Ziggy Marley, Shout Out Louds, Joan As Police Woman, Fink, White Lies, Seasick Steve
  • Ahoi! The Full Hit Of Summer: 11. Juli, Linz/Donaupark. Mit The National, Chvrches, Moses Sumney, Deap Vally/ Dream Wife.
  • In To It: 23. Juli, Wien/Arena. Mit Fink, Charlie Winston, Seasick Steve, Bruno Major.
  • Popfest Wien: 26. bis 29. Juli, Wien/Karlsplatz.
  • Szene Openair: 2. bis 4. August, Lustenau/Am Alten Rhein. Mit Bilderbuch, Kraftklub, Käptn Peng & die Tentakel von Delphi, Beatsteaks.
  • Sunny Vibrations: 3. und 4. August Wiesen/Festivalzelt. Worldmusic Wochenende mit Mamadou Diabate, Kinderprogramm und Workshops.
  • Picture On: 10. & 11. August, Bildein/Festivalgelände. Freitag, 10. 8.: Sepultura, Ten Years After, Voodoo Jürgens, Samstag, 11. 8.: Calexico, The Darkness, Naked Lunch, Eskimo Callboy
  • FM4 Frequency: 16. bis 19. August, St. Pölten Green ParkMit: Gorillaz, Imagine Dragons, Macklemore, Kygo, Die Antwoord, Casper, Yung Hurn, Feine Sahne Fischfilet, Ofenbach, Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi u. a.
  • WavesVienna: 27. bis 29. September, Wien/diverse Clubs im und rund um das WUK.