Kultur/Medien

"Man sollte den Aktivismus selbst nicht verunglimpfen"

KURIER: Was geben Sie eigentlich als Berufsbezeichnung an?

Wolfgang Blau: Ich berate einige der größten Unternehmen der Welt, Universitäten und Stiftungen in Fragen der Klimastrategie.

Warum verengt sich jemand wie Sie auf nur eine Nische?

Das ist eine Nische, die sich auf jede Industrie und jedes Land dieser Welt ausdehnt. Das ist das Interessante, aber auch das Drängende in der Klimafrage. Viele Fragen sind aufgeworfen: Wie wirtschaften wir, wie bauen wir unsere Häuser, wie heizen und kühlen wir, wie transportieren wir Güter, wie ernähren wir uns, ohne Treibhausgase auszustoßen, welche allmählich unsere heutige Art zu leben zerstören werden.

Ist der Begriff Klimajournalismus nicht problematisch, weil es Aktivismus und "Haltungsjournalismus" impliziert, den die Leserschaft zu Recht immer mehr ablehnt?

Es gibt im Journalismus immer wieder Aktivismus zu beobachten, und ich halte das nicht für gut. Langfristig kann es das Vertrauen in die Publikation oder in die Person unterhöhlen. Eine wichtige Aufgabe der Journalisten ist auch, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Wobei man den Aktivismus selbst nicht verunglimpfen sollte. Auch unsere heutige Pressefreiheit ist dem Einsatz von Aktivisten früherer Generationen zu verdanken.

Befürworten Sie denn die Aktionen der Klimakleber?

Auch beim Frauenwahlrecht waren die Suffragetten (Vorkämpferinnen für das Frauenwahlrecht vor 100 Jahren) nicht beliebt. Sie wurden verunglimpft.

Wolfgang Blau war US-Korrespondent, Zeit Online-Chefredakteur, Digital-Strategie-Chef beim britischen Guardian und Auslandschef bei Conde Nast, einem der größten Verlage der Welt. Er war Gastforscher am Reuters-Journalismus-Institut und hat das Oxford Climate Journalism Network mitbegründet. 

Sie glauben, es löst Verständnis aus, wenn alle im Stau stehen oder eine Theatervorführung unterbrochen wird?

Es zwingt uns, uns mit einem Thema auseinanderzusetzen, mit dem wir uns eigentlich nicht beschäftigen wollen, weil es so unglaublich unbequem ist.

Die Leser sind aber auch der vielen schlechten Nachrichten müde und vermeiden sie daher immer häufiger. Dazu zählt auch das Thema Klimakrise.

Diese "News avoidance" ist tatsächlich in vielen Ländern zu beobachten, sogar unter sehr gebildeten Lesern. Es kann auch durch ein Ohnmachtsgefühl entstehen. Das müsste bei Klimathemen nicht sein, weil es  so viele erstaunliche Erfolge zu vermelden gibt: Energiewende, Ausbau der Erneuerbaren, der dramatisch schnelle Preisverfall bei Batterietechnik....

Das ist nicht nur eine positive Nachricht: Da übernehmen die Chinesen den Markt, heimische Betriebe haben das Nachsehen.

Das stimmt. Das hat die Biden-Administration in den USA auch erkannt und versucht es umzudrehen, weil sie weiß: Batterie- und Solartechnik ist das neue Öl.

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Sind die EU-Länder Vorreiter, der Profit bleibt aber bei anderen Ländern?

Es ist ja das Ziel der EU, mehr technologische Kompetenz aufzubauen. Die USA haben die Energiewende, aber auch andere neue Technologien zu ihrem Spielfeld gemacht, auf dem die weltweite Konkurrenz stattfindet. Um Teil dieses Innovationszentrums zu sein, verlagern viele interessante Firmen und Start-ups  ihren Standort in die USA, wie einst  im Silicon Valley. Tragischerweise wird die Stellung jener, die schon in der Digitalökonomie führend waren, nun noch weiter gestärkt. Aber selbst wenn die USA oder China das Rennen um die Technologie-Hoheit bei erneuerbaren Energien  gewinnen, ist es noch immer besser, als wenn es niemand gewinnt. Das Leid und die Schäden würden dramatisch zunehmen.

Nehmen wir das E-Auto: Es  ist in Wahrheit nicht so viel ökologischer als  das Verbrennerauto.

Die Emissionen sind niedriger. Der Umbau unserer Wirtschaft, um den Klimawandel zu stoppen, besteht aber aus mehr als nur vom Verbrenner- als auf ein E-Auto umzusteigen oder von Ölheizung auf Wärmepumpe.

Gibt es einen Mainstream in der Wissenschaft, weswegen sich Forscher mit anderslautenden Meinungen zur Klimawende nicht mehr laut zu äußern wagen?

Es ist das Wesen der Wissenschaft, von Zweifeln durchzogen zu sein. Ich glaube, es ist zum Beispiel noch nicht geklärt, ob die zunehmende Wolkenbildung eher kühlend oder eher erwärmend wirkt. Aber nach Zahl der veröffentlichten Studien herrscht bei keinem anderen Thema unserer Zeit größerer Konsens, als über die mehrheitlich menschengemachte Erderwärmung, die wir seit der Industrialisierung beobachten. Die Tatsache des menschengemachten Klimawandels immer noch zu hinterfragen ist natürlich von der Meinungsfreiheit gedeckt, inhaltlich aber so falsch wie die Aussage zwei plus zwei sei drei. Dass zwei plus zwei vier ist, ist also nicht nur "Mainstream", sondern die faktisch korrekte Antwort.

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Kriegen wir die Klimakrise in den Griff?

Ich glaube, es wird uns gelingen, die weitere zunehmende Erderwärmung wieder anzuhalten. Aber es wird länger dauern, als wir es uns wünschen und von unnötig viel Leid begleitet sein.

Themenwechsel zum Journalismus. Sie waren lange im Onlinebereich tätig. Wie gelingt es besser, mit Online-Journalismus Geld zu verdienen? Der Guardian, für den Sie gearbeitet haben, hat keine Paywall, sondern bittet um Spenden. Weil mehr Reichweite mehr Werbeeinnahmen bedeutet. Doch die Hälfte der Onlinewerbung geht an US-Giganten wie Facebook. Ist das Match für den Journalismus als Geschäftsmodell verloren?

Für mich ist der Journalismus inzwischen mit ein paar wenigen Ausnahmen zum Non-Profit-Sektor geworden. Am erfolgreichsten sind in der Regel Angebote, die mehrheitlich von Unternehmen abonniert werden, wie etwa das Wall Street Journal, Bloomberg und die Financial Times.

Conde Nast hat Titel wie die Vogue. Anachronistisch? Wie geht es dem Magazin?

Der Vogue geht es erstaunlich gut – auch in Print, weil sie die schönen Anzeigen haben.

Internationale Marken tun sich leichter.

Ja, aber es gibt auch Phänomene wie die „Zeit“, der es auch sehr gut geht. Es gibt in jedem Land zwei, drei Marken, die zum Kulturgut zählen.

Das heißt, Journalismus wird von Mäzenatentum abhängig?

Was ja mehrheitlich die Geschichte des Journalismus war.

Warum haben Sie Ihren Namen von Harrer auf Blau geändert?

Ich hatte damals vor, in den USA zu bleiben. Die Leute konnten ihn nicht nur nicht aussprechen, sondern haben ihn sogar stur falsch geschrieben.