Eine Tour mit den Extrembergsteigern der Imagination im Museum Gugging
Von Michael Huber
Seltsamerweise findet sich Leopold Strobl in keinem der bisher veröffentlichten Jahres-Rankings des Kunstbetriebs - dabei hatte der 1960 geborene Poysdorfer 2024 einen Erfolgslauf wie kaum ein heimischer Künstler sonst: Als erster Vertreter jener Künstlerriege, die mit dem Art Brut-Center in Gugging verbunden sind, wurde er in die Hauptausstellung der Venedig-Biennale geladen, das Museum of Modern Art in New York kaufte fünf seiner Arbeiten an, und seine feinen, kleinformatigen Fotoübermalungen kursierten im Kunsthandel ebenso wie in Ausstellungen.
Das Art Brut-Center Gugging, in dessen Atelier Strobl seit 2002 regelmäßig arbeitet, freut sich schon das ganze Jahr über die Lorbeeren seines Schützlings - nun aber sind seine Werke die Lokomotive einer Sonderausstellung, die über die einzelne Person hinausweist.
„Fantastische Orte.!“ - die seltsame Interpunktion ist kein Fehler, mehr dazu gleich - versammelt noch drei weitere Gugginger Künstler, die sich im weitesten Sinn dem Genre der Landschaftsdarstellung widmen. Wobei es oft imaginäre, innere Landschaften sind, die in den Bildern zum Vorschein kommen, aufgeladen mit Obsessionen, selbst gestrickten Mythen und Geschichten.
Strobl, der ab 2014 zu seiner Praxis fand, Zeitungsbilder zu übermalen, ist da noch fast der konventionellste Landschaftskünstler: Seine Orte bleiben stets klar erkennbar und sind nur insofern transformiert, als gewisse Motive mit monolithisch schwarzen Flächen Platz tauschen - Menschen werden etwa meist aus den Bildern getilgt. Die entstandenen Blöcke halten Leerstellen für Interpretationen frei, sind zugleich aber Gravitationszentren innerhalb des Bildes und laden die Motive mit Energie auf.
Sexuelle Idealfantasien
Energie sexueller Natur bahnte sich wiederum bei dem im Mai dieses Jahres verstorbenen Karl Vondal, einem Gugginger „Veteranen“, ihren Weg ins Bild. Seine dicht bezeichneten Blätter kreisen oft um Fantasien, die (nach Gasthausbesuch und Schnitzelverzehr) in Sexualakten mit idealisierten „Amazonen“ mündeten. Sie waren aber letztlich doch Ausdrücke des Begehrens nach einem normalen Leben, die der Niederösterreicher, der mit 19 Jahren erstmals in die damals noch als „Heil- und Pflegeanstalt“ firmierende Einrichtung in Gugging kam, so nie führen konnte. Dass er eine völlig eigene Ausdrucksform entwickelte, konterkariert die Stereotypie der Vorstellungen.
Überhaupt ist ein Besuch in Gugging immer wieder ein Aufruf dazu, die Originalität bildnerischer Ideen getrennt von der Biografie ihrer Schöpfer wertzuschätzen. Das Werk von August Walla, der im „Haus der Künstler“ eine völlig ausufernde Privatmythologie - und eine Privat-Orthografie mit den erwähnten „.!“ - Zeichen - entwickelte, hört dabei nicht auf, zu faszinieren.
Neben Gemälden und bis dato selten gezeigten Fotografien demonstrieren in der Schau auch Möbel, Badewannen und Flusssteine, wie Walla die reale Welt in sein allumfassendes Gesamtkunstwerk integrierte. Wallas Zeichen- und Symbolsprache ist extrem komplex, visuell aber so durchschlagend und kraftvoll, dass sich Grafikdesigner hier einiges abschauen können (nicht zufällig verwendet das Museum selbst eine von Walla inspirierte Typografie).
Als jüngsten Zugang der Künstlerriege stellt die Schau schließlich den 1982 geborenen Leonhard Fink vor. Er ist eine Art „Kartograf“, der real existierende Gegenden in sehr individuelle, akribische Zeichnungen übersetzt. Auch hier beeindruckt die Dichte und Dynamik, die die Werke auf eine Ebene jenseits des bloß Obsessiven katapultiert. Eine Karte von Venedig ist nicht Teil der Schau, wiewohl sich das Gassen- und Kanalgewirr der Stadt für Finks Kartierung anbieten würde. Wir warten mal die nächste Biennale ab.
"Fantastische Orte.!" ist bis 16. 3. 2025 im Museum Gugging zu sehen. 2025 folgt dort ab April eine Schau der uruguayischen Künstlerin Magalí Herrera, im September zeigt das Haus die Zeichnungen des südafrikanischen Fotografen und Multimedia-Künstlers Roger Ballen, der gerade auch mit einer Schau in der Leica-Galerie Wien präsent ist (bis 22. 2. 2025).
Werke von Leopold Strobl sind auch in der Galerie Gugging sowie bis 11. 1. 2025 im "Kunst und Schnittlauch Klubhaus" (Währinger Straße 79/13, Di, Mi & Do. 15- - 19 Uhr) zu sehen (und käuflich zu erwerben). Bis 31. 1. 2025 zeigt auch das Weingut Taubenschuss in Strobls Heimatort Poysdorf Arbeiten des Künstlers.