Streaming-Boom an Österreich vorbei - "Man lässt uns im Kreis laufen"
Das gehört zum guten Ton eines jeden der vielen Koalitionsabkommen der vergangenen Jahre: Filmstandort Österreich forcieren, Fördermodelle evaluieren und, nicht zuletzt, ein Steueranreizmodell für die österreichische Filmwirtschaft schaffen. „Dafür hat es sogar schon einen Ministerratsbeschluss gegeben“, erinnert sich Film-Austria-Präsident Helmut Grasser (Allegro Film) an Mai 2019. Kurz darauf kam Ibiza – und dann wieder Stillstand.
Während nicht zuletzt wegen eines Streaming-Booms, die Konjunktur um Österreich herum brummt, droht der heimischen Filmwirtschaft aufgrund fehlender politischer Entscheidungen in Bezug auf das Förderwesen der Zusammenbruch. Und dabei geht es nicht mehr bloß um höhere Dotierungen.
Höchste Zeit
Superfilm-Chef John Lueftner, Co-Präsident des Produzentenverbandes AAFP: „Unser Problem ist, dass diese Themen ressortübergreifend Kultur, Medien, Wirtschaft und Finanzen betreffen und jedes Gespräch dazu noch das Mascherl bekommt, dass man das auch mit dem Koalitionspartner bereden müsse.“ Grasser: „Man lässt uns im Kreis laufen. Dabei ist es höchste Zeit.“
Nur ein paar Probleme in Österreich: Es passen Netflix und Co. bisher in keines der Fördermodelle auf Bundesebene bzw. nur mit Verrenkungen wie beim Topf des „Filmstandort Österreich“ (FISA) im Fall „Extraction 2“ mit Chris Hemsworth. Dem Fernsehfonds Austria (RTR-Fonds) wird hingegen sein Erfolg zum Verhängnis – zu viele TV-Projekte für das ewig nicht valorisierte Jahresbudget von 13,5 Millionen. Die Treffsicherheit der Förderungen des Österreichischen Filminstituts (ÖFI) beim österreichischen Kino-Publikum könnte kaum schwächer sein. Und die wiederholt von der Filmwirtschaft vorgelegten Vorschläge für Steueranreizmodelle, die in Österreichs Nachbarländern Produktionen anziehen, liegen in Ministerien wechselnden Namens ab.
Und dem Land gehen währenddessen Millionen an Wertschöpfung verloren: Internationale und nationale Projekte aus Kino, Streaming und TV ziehen an Österreich vorbei. Und erfolgreiche TV-Produktionen wandern sogar von hier ab.
So wird die Serie „Vienna Blood“ mit Juergen Maurer und Matthew Beard nun hauptsächlich in Budapest gedreht. „Nicht weil wir dort billiger produzieren können oder weil es lustiger ist. In Ungarn gibt es im Unterschied zu Österreich ein erfolgreiches Steueranreizmodell und der RTR-Fonds kann mit seinem geringen Volumen hier nur begrenzt mitfördern“, erklärt MR-Film-Produzent Oliver Auspitz. „Wir haben deshalb die Drehzeit in Österreich reduziert und arbeiten nun in Ungarn mit einem über 30-prozentigen Steuerrabatt. Sonst wäre eine Fortsetzung gar nicht möglich gewesen.“
Verlässlichkeit fehlt
Ähnliches könnte auch bei den beliebten „Steirerkrimis“ passieren, die Grasser mit der ARD Degeto als Hauptpartner umsetzt. „Das ist natürlich ein Thema. Statt ursprünglich 30 Prozent sind wir beim Fernsehfonds, der ja keine Geschmacksförderung ist, nur mehr bei 14 Prozent. Und weil es auch kein Steueranreizmodell in Österreich gibt, ist das für unsere ausländischen Partner bald nicht mehr attraktiv. Früher oder später wird man ,Steirerkrimis’ als Auftragsproduktion in Bayern machen.“ Und Lueftner kommt zum Schluss: „Uns als unabhängigen Produzenten fehlt hier nach jahrelanger Nichtvalorisierung die Verlässlichkeit.“ Weshalb eine geplante Kafka-Serie der Superfilm wohl auch nicht in Österreich umgesetzt wird.
Aber es ist eben nicht der RTR-Fonds allein. Für Lueftner ist klar: „Wir müssen im internationalen Vergleich bestehen können und nachziehen. Das heißt, es braucht in Österreich ein Steuermodell als Basis-Förderung insgesamt für audiovisuellen Content, der hierzulande entsteht. Das gibt’s bereits in sämtlichen Nachbarländern.“ Ob sie nun Steuerrabatt, Tax Shelter oder Steuerguthaben-System etc. heißen. „Damit kann man auch das Kategorien-Denken bezüglich Kino, Streaming und TV hinter sich lassen. Mittlerweile verschwimmen die Grenzen ohnehin“, meint Auspitz. Auch für die in Wien gewälzten Pläne für neue Filmstudios am Hafen wäre ein Steueranreiz-Modell lebensnotwendig. „Es geht das eine ohne das andere nicht – nirgends.“
ÖFI
Das Österreichische Filminstitut (ÖFI) fördert den Kinofilm als kulturelles Produkt und hat dieses Jahr 21 Millionen Euro zur Verfügung
RTR-Fonds
Der RTR-Fonds (oder Fernsehfonds Austria) fördert Herstellung von TV-Filmen, -dokus, Serien unabhängiger österreichischer Produzenten. Das jährliche Budget: 13,5 Mio. Euro
Film-/Fernsehabkommen
Der ORF ist seit 1981 über dieses Abkommen mit der Filmwirtschaft verbunden. Rund 8 Mio. Euro schießt er jährlich für Kinofilme zu und erwirbt damit gewisse TV-Rechte. Voraussetzung: ÖFI-Förderung. Insgesamt gehen jährlich knapp 100 Millionen in die Branche
Standortförderung
Der Topf des FISA (Filmstandort Austria) ist mit 7,5 Mio. gefüllt, davon 1,5 Mio. für internationale (Kino-)Produktionen. Wien, Steiermark, Tirol fördern zusätzlich. International gesehen ist das wenig. Von Spanien bis Montenegro werden Steuerrabatte zwischen 25 und 40 Prozent auf im Land getätigte Produktionskosten gewährt. Tschechien schüttet so bis zu 30 Mio./Jahr aus, Ungarn sogar ungedeckelt
Ohne Deckelung
Dem Finanzministerium als letztlich zuständige Stelle liegen nun abgestufte Steuermodelle als künftige Basis-Finanzierung für audiovisuelle Inhalte – von Kino bis hin zu Games – zur Entscheidung vor. Um das Maximum für alle Seiten – Filmwirtschaft, Standort, Steuerzahler – herauszuholen, wird ein Steuerrabatt von 30 Prozent plus Green-Producing-Bonus anvisiert – ohne budgetäre Deckelung, aber mit Bedingungen, sodass es kein „silly money“ wird. „Damit kann man im internationalen Vergleich bestehen und es ist letztendlich auch ein gutes Geschäft fürs Bundesbudget“, sind sich die drei Produzenten einig. Darauf aufsetzen könnten die weiteren Förderungen etwa vom ÖFI für Kunstfilm oder der Bundesländer (siehe Infobox oben).
Die Zeit für eine Entscheidung, die auch noch in Brüssel genehmigt werden muss, drängt. Es gibt nun im Mai einen persönlichen Termin mit Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Starten sollte das neue Modell ehestmöglich, am besten mit dem 1. Jänner 2023.
Und wenn es so läuft wie in den vergangenen Jahren? „Dann werden wir Produzenten in Österreich das gar nicht mehr erleben. Selbst wenn es auch nur ein Jahr später kommt. Denn dann hat sich der Markt eben ohne uns weiterentwickelt. Das ist die Konsequenz“, sagt Auspitz.