Kultur

ORF-Moderatorin Claudia Reiterer über Kurz, Krokodile und ihre Zukunft

Mit einer Reichweite von im Schnitt 454.000 Zusehern (Marktanteil: 21%) ist "Im Zentrum" die Nummer eins der wöchentlichen Diskussionsformate. Heute (15.12.) wird zum letzten Mal diskutiert. Ehe Moderatorin Claudia Reiterer in ihrer Derniere mit Philosoph Richard David Precht, Intendant Milo Rau, Grünen-Politkerin Meri Dissoski und Journalistin Ingrid Brodnig zu "Dürfen wir WIRKLICH nichts mehr sagen? - Reden wird darüber" befragt (15.12.2024, ORF 2, 22h10) - gibt sie dem KURIER Antwort. 

KURIER: Sie beenden „Im Zentrum“ stets mit dem Satz „Reden Sie darüber“. Reden wir darüber, warum heute die letzte Sendung ist, denn die Quoten sind gut und am Alter kann es ja nicht liegen?

Claudia Reiterer: Ich habe immer gesagt, dass die Gleichberechtigung erst dann erreicht ist, wenn eine Frau im ORF genau so lange moderieren darf wie Paul Lendvai. Er hat heuer mit 94 Jahren Abschied genommen. Das werde ich wohl nicht schaffen.

Einige erinnern sich an Sie als Dancing Star, andere als konkret-Moderatorin oder Reporterin vom Grubenunglück in Lassing. Wann waren Sie zum ersten Mal im Fernsehen?

Das erste Mal am Schirm war ich 1995 im Privatfernsehen "Kabel TV Eichfeld“ in einem Mini-Studio, das die Anmutung eines Wohnzimmers hatte mit Bügeltisch und allem, was damals dazugehörte. 

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Die gebürtige Wienerin (Jahrgang 1968) moderiert von 2017 bis 2024 die Diskussionssendung "Im Zentrum". Zuvor ist sie für die Servicesendung "konkret" als Moderatorin tätig, zudem für die ORF-Sendungen "Report", "Pressestunde" und "Hohes Haus". 2017 und 2019 führt sie anlässlich der Nationalratswahl mit Armin Wolf respektive Tarek Leitner die TV-Konfrontationen der Spitzenkandidaten .

Reiterer ist ausgebildete Diplomkrankenschwester und hat zudem eine abgeschlossene Journalistenausbildung sowie ein Pädagogik-Studium (in Kombination mit Psychologie und Sozialmedizin) absolviert. Reiterer ist geschieden und Mutter eines Sohnes.

Sie sind seit acht Jahren am Sonntag quasi im Wohnzimmer der Republik. Wann beginnt normalerweise Ihre Sendungsplanung?

Idealerweise legen wir am Dienstag ein Thema fest, stecken die möglichen Positionen ab und beginnen mit der Gästeauswahl. Ich vergleiche das gerne mit dem Sport. Bei Marcel Hirscher kommt auch niemand auf die Idee, es könnte reichen, dass er trainiert und dann die Ski anschnallt. Wir komponieren jede Sendung wie ein Musikstück, versuchen eine Dramaturgie aufzubauen, mit den Gästen alle Seiten eines Themas beleuchten zu können, fragen alle an – beginnend bei den Kardinälen und enden oft bei den Ministranten. 

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Wer ist wir?

Mein Team besteht aus zwei Redakteurinnen, einem Redakteur und einem Praktikanten.

Zurück zu den Absagen - wie viele gibt es pro Sendung?

Es gab Wochen mit bis zu 32 Absagen.

Die  Diskussionsrunde geht am 15.April 2007 erstmals unter diesem Titel "Im Zentrum" auf Sendung. 654 Sendungen zählt der ORF von 2007 bis 2024. 

Zu den fixen Gastgebern zählen Gabriele Waldner-Pammesberger, Peter Pelinka, Elmar Oberhauser, Ingrid Thurnher und Claudia Reiterer.

Seit acht Jahren moderiert Claudia Reiterer "Im Zentrum“ mit im Schnitt 454.000 Reichweite und einem Marktanteil von 21 Prozent ist die Sendung laut ORF die unangefochtene Nummer eins unter den wöchentlichen politischen Diskussionssendungen in Österreich. 

Den Topwert erreicht die Sendung am 19. Mai 2019 mit durchschnittlich 1,102 Millionen Zusehern. ORF-Generaldirektor Roland Weißmann: „Acht Jahre lang Woche für Woche politisch aufgeladene Diskussionsrunden zu hosten und dabei stets im Fokus der öffentlichen Meinungsmacher zu stehen, ist eine der schwierigsten Herausforderungen im TV-Journalismus. Claudia Reiterer hat sich dem furchtlos und kämpferisch gestellt und gleichsam als Anwältin des Publikums diesem die Möglichkeit geben sich eine eigene Meinung zu bilden. Wichtigeres kann Journalismus nicht leisten. Dafür möchte ich ihr im Namen der Zuseher:innen aber auch in jenem des ORF danke sagen.“

 Ab 12. Jänner 2025 wird Susanne Schnabl zu einer neu adaptierten Talksendung am Sonntagabend einladen. Der Name der Sendung ist noch nicht publik.

Das kann an der Themen- oder an der Gästeauswahl liegen…

…es liegt eher daran, dass „Im Zentrum“ keine Wohlfühlsendung ist. Es geht zumeist um eine Krise oder brisante Entwicklungen und darum, dass Menschen dort ihre prononcierte Meinung sagen. Viele wollen nicht mehr diskutieren, weil sie nach der Sendung speziell auf Social Media-Kanälen mit Beschimpfungen und Shitstorms konfrontiert sind, denen sie sich nicht aussetzen wollen. Die Diskurs-Verweigerung ist in den letzten zwei Jahren jedenfalls stärker geworden.

Meinen Sie damit speziell die heimische Spitzenpolitik, die eher selten "Im Zentrum“ ist.

Vor den Wahlen erklären die Politikerinnen und Politiker gerne, was sie vorhaben, aber mittlerweile meiden sie die Möglichkeit, sich live zu erklären, Dialogfähigkeit zu demonstrieren. Das liegt wohl auch daran, dass man jederzeit etwas Falsches sagen kann und wir in Zeiten leben, in denen alles auf die Goldwaage gelegt wird. Dabei ist es eine vergebene Chance, seine Haltung dem Publikum und potenziellen Wählern nicht darzulegen.

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Wie kurzfristig können Sie Thema und Sendung ändern?

In meinem ersten Jahr (29.1.2017) haben wir eine Sendung am Sonntag um 17h30 umgeschmissen. Es war die „Nacht der langen Messer“, die Regierung Kern-Mitterlehner stand auf der Kippe und wir mussten Gäste wie den damaligen Außenminister Sebastian Kurz zum Thema „Radikalisierter Islam“ ausladen.

Früher hieß es, in einer guten Diskussionssendung gibt es immer einen, der den Kasperl gibt, einen, der das Krokodil mimt. Trifft das heute noch zu?

Nein, abgesehen davon: Die Zuschauer bestimmen, wer aus Ihrer Sicht Kasperl oder Krokodil ist. 

Ihre Zuschauer wie Kritiker haben sich oft kein Blatt vor den Mund genommen.  Sie schrieben in einem Artikel für "Die Zeit" über den "digitalen Scheiterhaufen“, dem Sie ausgesetzt waren oder sind. Sind die Begegnungen im Supermarkt oder auf der Straße anders?

Auf der Straße ist es zumeist respektvoll und wertschätzend – auch, wenn es um Kritik geht. Im Netz ist es wie im Mittelalter, da wird immer noch ein Holzstück auf den Scheiterhaufen geworfen – nach dem Motto: "Brenn‘, brenn‘ lichterloh!“ Ich habe vor vier Jahren aus Selbstschutz begonnen, 24 Stunden vor und 48 Stunden nach einer Sendung keine Social Media-Kanäle anzusehen. 

Vor vier Jahren gab es einen spezifischen Anlass?

Ja, es war die Sendung anlässlich „ein Jahr Ibiza-Video“ mit Heinz-Christian Strache, Irmgard Griss, Wolfgang Peschorn und Peter Filzmaier. Der Shitstorm, dem ich damals ausgesetzt war, war der bis dato schlimmste. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Das möchte ich nicht. Nur so viel: Frauen werden speziell im Netz kritisiert, indem sie sexuell angegriffen werden bis hin zu Vergewaltigungsfantasien. Inhaltliche Kritik ist nicht nur zulässig, sondern unbedingt erwünscht. Die DNA der Sendung ist ja gerade die Kontroverse. 

Gab und gibt es Solidarität in diesen Belangen innerhalb der Branche?

Solidarität ist keine Kategorie.

Wen hätten Sie gerne zu Gast gehabt?

Michael Häupl, Erwin Pröll und Brigitte Bierlein.

Mär oder Fakt, dass es im Fernsehen relativ egal ist, was man sagt, viel wichtiger ist, wie man aussieht?

Natürlich ist der Inhalt wichtiger, aber es sollen Aussehen, Mimik und Gestik nicht zu sehr davon ablenken.

Das heißt, es gibt ein modisches No-Go?

Ich habe immer darauf geachtet, dass ich keine Farbe trage, die der Partei eines Gastes zuzuordnen ist. 

Wie geht es nach der letzten Sendung für Sie weiter?

Meine berufliche Zukunft ist offen. Ich habe mich in meinem Leben einige Male neu erfunden. Ich bin diplomierte Krankenschwester, habe eine Journalistenausbildung und ein Hochschulstudium der Pädagogik, Psychologie und Sozialmedizin, war im Privatradio und -Fernsehen und bin seit 1998 beim ORF. 

Was werden Sie vermissen?

Das Adrenalin und die Politik. Es ist die Kombination aus beidem, die mich schon als Schülerin fasziniert hat. Das, was man Politik nennt, hat Einfluss auf alles im Leben – beginnend bei der Bildung. 

Die Frage drängt sich jetzt auf: Schließen Sie aus, selbst in die Politik zu gehen?

Wenn ich etwas in meinem Leben gelernt habe: Ich schließe gar nichts aus.