Kultur

30 Jahre ARTE: Hals über Kopf in die Kultur

Dass ARTE eine Neigung zum Unkonventionellen hat, ist bereits am Vorplatz der Zentrale in Straßburg erkennbar: Da gibt es eine männliche, auf einem Hocker stehende Figur in Hose und Hemd, aus dem anstelle eines menschlichen Kopfes Hals und Schädel einer Giraffe ragen. Stephan Balkenhols Hybrid-Wesen vereint höchst Unterschiedliches, gibt Rätsel auf und wirkt dabei trotzdem friedvoll – das passt zu ARTE, das am 30. Mai 30 Jahre alt wird.

Eine französisch-deutsche Gründung wohlgemerkt – worüber sich die sehr schräge ARTE-Sendung „Karambolage“ eben sehr lustig machte, weil „deutsch“ und „französisch“ eigentlich nicht zusammengeht. Schon der Sendernamen wird jeweils unterschiedlich ausgesprochen. Und dass der etwas mit Kunst und Kultur zu tun hätte, quasi eine Variation von „Art“, ist schlicht ein Irrtum in deutschsprachigen Landen (das Kürzel steht für „Zusammenschluss bezüglich des europäischen Fernsehens“).

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Über Grenzen hinweg

Aber das nationalstaatliche Denken hat sich hier ohnehin überlebt. „ARTE wurde aus dem Willen geboren, Europäer durch Kultur einander näher zu bringen“, erinnerte Bruno Patino, turnusmäßig französischer Präsident des Senders, bei einer Pressekonferenz. Und sein deutscher Vize Peter Weber meinte, man biete Programme, „die die nationale Perspektive verlassen und verlassen sollen. Wir versuchen, Zusammenhänge über Grenzen hinweg einzuordnen.“ Das erklärte Ziel laut Patino: „Wir wollen ein europäisches Kultur-Label in vielen Sprachen werden, damit jeder in seiner Sprache ARTE verfolgen kann.“

Mit Untertiteln in Englisch, Spanisch, Polnisch und italienisch erreicht man mit digitalen Angeboten schon 70 Prozent der Menschen in Europa. Als nächstes denkt man an baltische Sprachen. Und wegen des Krieges Russlands gegen die Ukraine hat man kurzfristig und zusätzlich digitale Angebote in den Sprachen beider Länder aufgenommen. Das zeige, ARTE sei „kein bloßes Nice-to-have“, betont Weber.

Das Jubiläum begeht ARTE  mit ausgesuchtem Programm: Der Geburtstag bringt die Erstausstrahlung des oscarnominierten Animations-Doku-Films „Flee“ (Montag, 20.15) von Jonas Poher Rasmussen – eine wahre wie intime Lebensbeichte über Exil, Vertrauen und die Schwierigkeit des Wurzelschlagens.

Mit „Leto“ (21.40) des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikow taucht man ins Milieu der Untergrund-Rockszene der frühen 80er ab. Das Konzert von Sting im Panthéon beschließt den Jahrestag (23.45).

Im Netz (arte.tv) live ab 19.30 Uhr  zu erleben ist ein Konzert von der griechischen Museumsinsel Delos, das auf die Klimakrise aufmerksam machen soll: Das European Union Youth Orchestra (EUYO) interpretiert gemeinsam mit der ukrainischen Violinistin Diana Tishchenko Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ und bringt zudem die Neukomposition „Floating Autumn“ von Carmen Fizzarotti.

Darüber hinaus bietet die Mediathek die Kollektion ARTE Vol. 30 mit weiteren Highlights des Senders, die fortlaufend aktualisiert wird.  

Neben TV gehören u. a. die Mediathek (arte.tv) mit viel Online-Only-Content und der dortige Channel ARTE Concerts (mit Events von Klassik bis Pop) zum Sender. Intensiv bespielt werden YouTube und nun auch Twitch. Stolz ist man, dass man sich als erster Sender Europas ins Metaversum gewagt hat, mit einem Live-Konzert auf horizon world. Denn – auch wenn Quote nicht das erste Ziel ist – man sucht das Publikum und will weg vom Image des viel gelobten, wenig gesehenen Senders. In Frankreich kam man 2021 immerhin auf einen Marktanteil von 2,9 Prozent – in Deutschland war es nicht einmal die Hälfte und in Österreich im April 2022 gar nur ein Prozent.

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Zu anspruchsvoll

Vielen ist offenbar dieses TV-Programm, zu dem der ORF als Partnersender seines beisteuert, zu anspruchsvoll: Mehr als die Hälfte sind Dokus, ein Fünftel Kino- und TV-Filme, 15 Prozent Nachrichten und Magazine, fünf Prozent Konzerte und Bühnenaufführungen.

Zwei Drittel aller Sendungen sind Erstausstrahlungen. Das auch deshalb, weil ARTE – gut finanziert aus deutscher Haushaltsabgabe und noch durch französische Gebühren, die abgeschafft werden sollen – ein wichtiger Co-Produzent geworden ist. Auch von „Triangle of Sadness“, dem frisch gekürten Cannes-Gewinner, oder „Corsage“ der Österreicherin Marie Kreutzer. Beeindruckend die Auszeichnungen, die ARTE so inzwischen für sich reklamieren kann: sechs Oscars, sieben Goldene Bären, zwölf Goldene Palmen, drei Löwen u. v. m.