Wissen/Gesundheit

Warum Krankheiten bei Frauen vier Jahre später erkannt werden

Verschließt sich eines der großen Herzkranzgefäße, sind heftige Schmerzen in der Brust bei Frauen seltener als bei Männern: ein bekannter Unterschied beim Infarkt. „Wir stoßen aber auf immer mehr Verschiedenheiten“, sagt Alexandra Kautzky-Willer, Diabetologin und Professorin für Gendermedizin (geschlechterspezifische Medizin) an der MedUni Wien. Sie ist auch Präsidentin der Internationalen Gesellschaft für Gendermedizin. Diese hielt einen großen Kongress in Wien ab.

KURIER: Welche neuen Erkenntnisse gibt es?

Alexandra Kautzky-Willer: Ein Beispiel ist die Herzschwäche. Bei der klassischen Form mit reduzierter Auswurfleistung des Herzes sind die Empfehlungen für die Medikamentendosis (z. B. Betablocker, ACE-Hemmer) für die Männer angepasst – je näher sie an die Zielwerte herankommen, desto besser ihr Krankheitsverlauf. Frauen hingegen haben die niedrigste Sterberate und die wenigsten Spitalsaufnahmen, wenn sie nur 40 bis 60 % der in den Leitlinien empfohlenen Dosis bekommen.

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Wie erklärt sich das?

Viele medizinische Leitlinien sind nach wie vor auf den "Prototyp Mann" ausgerichtet. Wenn in Medikamentenstudien 80 % der Teilnehmer Männer, aber nur 20 % Frauen sind, werden solche Unterschiede oft nicht entdeckt. Bei der Herzschwäche gab es schon einmal so einen Fall: Da hat man bei einem Fingerhut-Präparat erst nach der Zulassung entdeckt, dass Frauen nach der Einnahme häufiger starben als Männer. Auch hier war die Dosis für sie zu hoch. Und bei einer Form der Herzschwäche, an der vor allem ältere Frauen leiden – hier füllt sich das Herz schlecht mit Blut –, gibt es bis heute keine optimalen Therapieempfehlungen – das scheint nicht so wichtig.

Gibt es ein Umdenken?

Es bewegt sich etwas, aber langsam. In Studien zur Wirkung neuer Diabetesmedikamente auf das Herz-Kreislauf-System sind meist schon 25 bis 35 Prozent Frauen eingeschlossen – auf über 40 Prozent kommt aber nur eine. Jetzt zeigt sich, dass diese Medikamentenklassen bei Männern Herz-Kreislauf-Probleme signifikant reduzieren, bei Frauen dieser positive Effekt aber weniger deutlich ausfällt. Das heißt nicht, dass die Medikamente bei Frauen schlechter wirken: Aber wahrscheinlich müsste man mehr Frauen länger in die Studien einschließen, um die Daten vergleichen zu können.

Werden Krankheiten bei Frauen später entdeckt?

Laut einer Studie im Fachmagazin Nature Communications sind bei der Diagnose der meisten Krankheiten Frauen im Schnitt vier Jahre älter als Männer. Natürlich spielt da teilweise ihr hormoneller Östrogenschutz bis zur Menopause (Wechseljahre) eine Rolle. Dass sich der Befund aber durch alle Erkrankungen zieht, spricht schon dafür, dass ihre Erkennung doch auch verschleppt wird, Frauen vielleicht auch nicht so genau untersucht werden.

Andererseits machen sie oft auch weniger deutlich auf ihre Symptome aufmerksam, weil sie zwar auf ihr Umfeld, aber weniger auf sich selbst schauen. Frauen absolvieren nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall auch seltener einen Reha-Aufenthalt – weil sie das Gefühl haben, sie können nicht so lange von zu Hause wegbleiben. Das ist aber ganz schlecht: Der Krankheitsverlauf nach einem Infarkt ist bei ihnen ohnehin oft schon schwerer als bei Männern.

Werden geschlechterspezifische Unterschiede in der Medizin noch wichtiger?

Ganz sicher. Unser Kongress stand unter dem Motto „personalisierte Medizin“. In der Krebsmedizin orientiert sich die Auswahl neuer Medikamente zunehmend an genetischen Eigenschaften des Tumors. Aber auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Manche der neuen Präparate sprechen bei Frauen besser an, andere bei Männern.

Deshalb ist es wichtig, dass es auch Zentren speziell für Frauengesundheit gibt: Im Frauengesundheitsresort La Pura im Waldviertel etwa vergleichen wir in einer Studie unterschiedliche Diätformen miteinander – kombiniert mit Bewegung und teilweise auch psychologischer Betreuung zur Stressbewältigung. Erste Daten zeigen nämlich, dass kohlenhydratreduzierte Diäten für Frauen günstiger sind. Für sie ist abnehmen deutlich schwieriger als für Männer – neue Erkenntnisse durch die Forschung wären eine willkommene Hilfe.

 

„Ich habe zwei Gesichter“, schreibt Markus Margreiter: Stellt er sich in einer Runde als Urologe vor, „dann sieht man das Entsetzen in den Augen der Männer. Urologe. Aha“. Ganz anders, wenn er sich als Facharzt vorstellt, der ein Zentrum für Männergesundheit leitet: „Hey! Männergesundheit, total interessant.“ Margreiter ist Facharzt für Urologie und Andrologie und hat seine Ordination in der Privatklinik Confraternität in Wien. Mit seinem neuen Buch „Mann 2020“ möchte er „Männergesundheit in den richtigen Fokus stellen.

Ich möchte motivieren, Angst nehmen und Mut machen“. Er zeigt in einzelnen Kapiteln den aktuellen Stand der Medizin in allen wichtigen Gebieten auf (z. B. „Die Prostata“, „Die Sexualität“, „Erektionsstörungen“, „Die Fruchtbarkeit“). Unter anderem stellt er neue Behandlungsmethoden vor, wie die „Prostata-Arterien-Embolisation“ bei einer gutartig vergrößerten Prostata. Über einen schonenden, minimalinvasiven Eingriff werden Prostatagefäße verschlossen, die Vergrößerung bildet sich zurück.

Oder ein neuer Ansatz gegen Erektionsstörungen: Wie bei einem Herzinfarkt werden auch im Penis Gefäße gedehnt und mit winzigen Stents (weniger als 2 mm Durchmesser) gestützt. Margreiter will „Aufklärung leisten. Neues zeigen. Und Hoffnung geben“.

Markus Margreiter: Mann 2020, edition a, 272 Seiten, 22 Euro