Schmerztherapie: Zu wenig Anlaufstellen für die Patienten
Von Ernst Mauritz
„Es ist ganz normal, nach einer Operation Schmerzen zu haben.“ Diese Ansicht ist in Österreich weit verbreitet – zumindest laut einer Umfrage von Sanofi Österreich: 74 Prozent der 300 Befragten stimmten zu.
Doch so schicksalshaft ist das nicht: „Es sollte nicht normal sein, starke Schmerzen nach einer Operation zu haben“, sagt Waltraud Stromer, Anästhesistin am LKH Horn, NÖ, und Vorsitzende der Sektion Schmerz der Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI). „Doch ein Viertel der Patienten hat am ersten Tag nach der Operation starke Schmerzen.“
Rund 1,2 Millionen chirurgische Eingriffe gibt es jährlich in Österreich. „Bei jedem zehnten operierten Patienten wird der Schmerz chronisch – wegen nicht ausreichender schmerztherapeutischer Maßnahmen.“ Diese müssten wenn möglich vor, aber vor allem während und nach der Operation stattfinden.
„Sehr verzweifelt“
Doch die Schmerzmedizin in Österreich ist stark unterfinanziert. „Die Personen, die zu mir kommen, sind sehr verzweifelt“, sagt Susanne Fiala von der Selbsthilfegruppe Schmerz. „Multimodale Schmerzzentren gibt es eigentlich nicht.“
In solchen werden chronische Schmerzpatienten umfassend betreut – biologische (körperliche) Ursachen ebenso therapiert (medikamentös, physiotherapeutisch) wie psychische (etwa Depressionen, Angstzustände) und soziale (Druck am Arbeitsplatz, Kränkungen, schwierige Familienverhältnisse, etc.).
Schmerzambulanzen in Spitälern seien – wo es sie noch gibt – unterfinanziert, und Kassenverträge für Schmerzspezialisten wie Stromer gibt es keine. „Ich bin nicht Wahlärztin als Schmerzspezialistin geworden, weil ich es mir gemütlich machen wollte. Ich bekomme keinen Kassenvertrag.“
Gleichzeitig verursachen Krankenstandstage wegen unspezifischer Rückenschmerzen (ohne gravierende Ursache) jährlich Kosten von 400 Millionen Euro, sagt Stromer – ein Teil davon könnte durch frühzeitige optimale Therapie vermieden werden. 85 bis 95 Prozent der Rückenschmerzen sind unspezifisch. „Nur bei fünf bis fünfzehn Prozent gibt es eine klare, schwerwiegende Pathologie“, also eine eindeutige Ursache, wie einen Bandscheibenvorfall.“
Zeigen die Anamnese (die Erhebung der Vorgeschichte) und die klinische Untersuchung keinerlei Verdacht auf eine konkrete Ursache, ist zunächst auch kein bildgebendes Verfahren (Röntgen, CT, MRT) notwendig: „Wichtig ist, den Patienten umfassend aufzuklären, zur Bewegung zu motivieren und diese Bewegung durch gezielte Schmerzmittelgabe auch zu ermöglichen.“ Ursachen für Verspannungen – etwa falsche Sitzpositionen am Arbeitsplatz – müssten behoben werden.
Physiotherapie
„Nützt das nichts, sollte man nach zwei bis drei Wochen physikalische Therapie in Anspruch nehmen.“ Erst wenn sich auch nach rund sechs die Symptome nicht gebessert hätten, sei eine Bildgebung sinnvoll. Vielen Patienten helfe auch ein Gespräch mit einer Psychologin, um psychischen Schmerzursachen nachzugehen.
Werde hingegen ohne Warnhinweise (etwa Lähmungssymptome) gleich eine radiologische Untersuchung durchgeführt, könne das auch negative Folgen haben. So habe sich gezeigt, dass es diesen Personen danach oft schlechter gehe als solchen ohne frühe Bildgebung: „Ab einem gewissen Alter sieht man immer etwas in der bildgebenden Diagnostik – ohne zu wissen, ob das auch eine Rolle spielt. Das führt dann oft zu einem Angst-Vermeidungsverhalten: Die Patienten bewegen sich aus Angst weniger und vorsichtiger – so wird der Schmerz aber erst recht chronisch.“
Frauen sind schmerzempfindlicher
Auch hier irrten die Befragten: 69 Prozent stimmten der Aussage „Frauen sind schmerzempfindlicher als Männer“ nicht zu. Dabei sind sie es, wie die Schmerzspezialistin Waltraud Stromer betont. „Bei Frauen sind schmerzhemmende Mechanismen schlechter ausgeprägt.“
Auch hormonelle Ursachen spielen eine Rolle: „Östrogene (weibliche Sexualhormone) fördern die Schmerzintensität, Androgene (männliche Sexualhormone) senken sie. Im Gesicht haben Frauen 34 Schmerzrezeptoren pro Quadratzentimeter Haut, Männer hingegen nur 17. Frauen sind auch häufiger von Schmerz verursachenden Erkrankungen (z. B. Migräne, Spannungskopfschmerz, rheumatoide Arthritis, Fibromyalgie) betroffen.
Der Beobachtung, dass Männer auch bei schwachen Schmerzen theatralisch leiden können, widersprechen die Erkenntnisse von der höheren Schmerzempfindlichkeit von Frauen nicht: „Sie gehen mit Schmerzen anders um und suchen auch eher einen Arzt auf.“
Schmerz-Fakten
1,7 Millionen Menschen leiden in Österreich an chronischen Schmerzen
350-tausend sind von starken chronischen Schmerzen betroffen.
4400 Menschen werden jährlich wegen chronischer Rückenschmerzen frühzeitig pensioniert.
1,4 bis 1,8 Milliarden Euro werden jährlich für die Schmerzbehandlung ausgegeben - oft ineffizient.