Geheimnisvolles Seoul: Zu Besuch bei Schamanen
Wer in Europa zur Schule gegangen ist, weiß wenig über Südkorea – abgesehen vom Krieg mit Nordkorea. Das letzte Mal, als Neuigkeiten aus Seoul die Zeitungen füllten, war während der Olympischen Spiele im Jahr 1988, danach gelangten wenige Nachrichten aus Seoul bis Europa. Die Diktatur im Norden hat der südkoreanischen Hauptstadt in der Berichterstattung die Show gestohlen.
Das geht uns durch den Kopf, wenn wir nachts mit dem Taxi die Stadt von Südwesten nach Nordosten durchqueren. Die Wolkenkratzer nehmen kein Ende, nicht einmal nach anderthalb Stunden Fahrt. Wenig überrascht, auch weil wir vor der Reise einige koreanische Fernsehserien angeschaut haben, sind wir von dem hohen technologischen Niveau von „Brain Engineering“ bis hin zu Robotern, die das Haus säubern: die Putz-Roboter sind allgegenwärtig, sie tauchen auf, während wir in unserer Selbstversorger-Wohnung das Frühstück zubereiten und reinigen den halben Quadratmeter zwischen unseren Füßen. Apropos Frühstück, das Essen überrascht, wir waren auf eine Variante der chinesischen Küche, möglichst mit Meeresfrüchten, eingestellt, doch stattdessen herrscht japanischer Einfluss auf den Tellern in Seoul. Uns als Gemüsefans irritiert, dass die Koreaner den Begriff „Beilage“ nicht zu kennen scheinen, Fleisch dominiert.
Niemand kann uns erklären, warum das Gemüse in winzigen Probierschalen serviert wird, wenn es überhaupt gelingt, welches zu bestellen. Fast niemand spricht Englisch, vor allem nicht in traditionellen koreanischen Restaurants. Gut, dass wir uns bereits organisiert haben, um englischsprachige Einheimische in Seoul zu treffen. Sprachaustauschveranstaltungen finden täglich in trendigen Bars statt. Im schicken Luxusviertel Gangnam, dem Zentrum von Seoul, finden wir uns in der GSM Terrace ein. GSM bedeutet Global Seoul Mates, genialer Name, im Lokal treffen sich Reisende aus dem Westen mit gut situierten Einheimischen. GSM wird unser Basislager, hier können wir uns entspannen, uns in einer vertrauten Sprache verständigen, zwischen unseren unbeholfenen Versuchen, ein paar Sätze auf Koreanisch auf den Stadtstreifzügen anzubringen.
Nie hätten wir gedacht, dass wir gerade im GSM eine Spur zu den Seouler Schamanen finden würden. „Wenn wir Momente der Lebenskrisen haben“, erzählt eine koreanische Sprachpartnerin, „dann gehen wir zu Wahrsagern und Schamanen, so wie die Europäer zu Psychologen gehen, einen Beruf, den es in Korea so gut wie nicht gibt.“
Die Wahrsagerinnen findet man in sogenannten Saju-Cafés, manche nennen sie philosophische Cafés, es sind einfache Bars, in denen es zwei Menüs gibt: die Getränkekarte und die der Wahrsager.
Schamanen als Retter
Wir besuchen indes den Berg Inwang, im Westen von Seoul, der als ein spirituelles Reiseziel gilt. Hier gibt es ein Dorf, wo Buddhismus und Schamanismus nebeneinander existieren. In der koreanischen Geschichte retteten die Buddhisten immer wieder verfolgte Schamanen, erfahren wir. Zuerst ist es der Konfuzianismus der Joseon-Dynastie, dann sind es die japanischen Besetzer, die gegen die Schamanen vorgehen, und natürlich sind es auch Katholiken und Protestanten, die den Schamanen zu Leibe rücken. Heute jedoch gelten die Schamanen als der Inbegriff der koreanischen spirituellen Tradition. Die Buddhisten mögen sich mit den Schamanen arrangiert haben, aber nicht mit uns, denn im Guksadang Tempel schließt uns der Mönch die Tür vor der Nase, nachdem er uns grotesk „Annyeyong haseyo! Mudang?“ sagen hört, was so viel heißt wie „Guten Morgen! Schamane?“
Also begeben wir uns in ein Saju-Café in einer der dynamischsten Gegenden von Seoul, in Hongdae. Das Viertel punktet mit Dorfatmosphäre, es ist bevölkert von Studenten der nahe gelegenen Hongik Universität. Unzählige kleine Lokale haben bis spätnachts geöffnet. Im Saju-Café in Hongdae finden wir eine Wahrsagerin, die gut Englisch spricht. Die Wartezeit, um mit ihr zu sprechen, beträgt drei bis fünf Stunden. Wenigstens ist die Couch so bequem, dass wir den ganzen Tag dort verbringen könnten. Mit uns warten Mädchen, die auf der Suche nach einem Partner sind, und Paare, die von der Wahrsagerin wissen wollen, ob sie zusammenpassen.
Wahrsager gehen von Tisch zu Tisch und schwenken Rasseln, wir erkennen sie sofort: Solche Rasseln werden in schamanischen Ritualen verwendet. Ab und zu winken die Wahrsager auch mit bunten Fächern, und sie konsultieren Ordner voller wer weiß wie wertvoller Informationen.
Eine Kellnerin kommt, um die Bestellung aufzunehmen: Wir wählen eine einfache Weissagung, mittels Reiskörnern und antiker Münzen. Kostenpunkt 30.000 Won – rund 23 Euro. Dann kommt Saapin, unsere Wahrsagerin. „Heute ist alles nicht mehr so wie früher, wir haben die Qual der Wahl. Entscheidungen zu treffen ist schwer.“ Wir haben das gleichförmige Geräusch der Rasseln seit dreieinhalb Stunden in den Ohren. Es stört uns nicht, sondern versetzt uns eher in eine besonders aufnahmefähige Stimmung. Sind wir in Trance? Wir fragen Saapin, ob es in der Bar auch Schamanen gebe, und sie antwortet: „Natürlich, ich bin Schamanin,“ und es sind noch weitere Schamanen in der Bar. Vier der sieben Wahrsagerinnen sind Schamaninnen. Hier also wird das Geheimnis des Underground-Seoul gelüftet.
Apropos rituelle Utensilien, die gleichen Rassel haben wir in einem Antiquitätenladen am Flohmarkt von Insadong gesehen: 700.000 Won für eine echte antike schamanische Rassel, 530 Euro. Aber eigentlich ist sie identisch mit den neuen Rasseln, die in allen Geschenkartikelläden verkauft werden, wo es auch die Fächer gibt, mit denen im Saju-Café gewinkt wird, und die durchbohrten Münzen, die für die Weissagung verwendet werden. Ein paar Abende zuvor haben wir auch eine der vielen traditionellen schamanischen Tanzaufführungen miterlebt, und bemerkt, dass die Tänzerin in ihren wirbelnden Bewegungen, eine kleine Handtrommel verwendet, die Sogo, die wir auch in Insadong in einem Instrumentengeschäft gefunden haben.
Vom Orakel ins Women-Spa
Um unsere „ethnomusikalisch-spirituellen“ Einkäufe zu vervollständigen, kaufen wir noch neun Talismane aus Hanji, koreanischem Büttenpapier. Wir wählen sie sorgfältig aus Dutzenden aus, jeder einzelne ist mit einem bestimmten Thema verbunden: Familie, Arbeit, Liebe und so weiter. Es gibt einen Talisman für alles, sogar dafür, eine Prüfung zu bestehen. Nun sind wir wirklich für unsere Zukunft gerüstet. Saapin sagt uns, dass wir in zwei Jahren ein großes Vermögen angehäuft haben werden, und in zehn Jahren werden wir ein stabiles Leben führen. Wer weiß. Jetzt kann uns ein bisschen Entspannung guttun, nach den tagelangen Erkundungsstreifzügen durch die Stadt. Da sind ein paar Stunden im Spa Lei, einem Spa im Herzen der Stadt, goldrichtig. Das Spa ist nur für Frauen und ein obligatorischer Voll-Nackt-Akt. Drei Etagen mit Spas für jeden Geschmack, Peelings, gefolgt von eimerweise lauwarmem Wasser und Kopfhautmassage mit duftenden Shampoos, ein Restaurant und eine Bar gibt es hier, sowie Hotelzimmer. Wenn wir das vorher gewusst hätten, wäre es eine tolle Alternative zu unserer Selbstverpflegungswohnung gewesen. Inzwischen sind wir lang genug in Seoul, um uns in den meist recht versteckten Restaurants zurechtzufinden, wo vegane Versionen der traditionellen Küche angeboten werden. Nun können wir wirklich zufrieden sagen: Veggiefood, im Herzen von Insadong, ja, das gibt es, und es kommen traditionelle koreanische Gerichte ohne jedes tierische Eiweiß auf die Teller.
Unser Fazit der Reise in den spirituellen Untergrund von Seoul: Wahrsager und Schamanen werden hier sehr wohl konsultiert, aber immer im Geheimen, vor allem, wenn es sich bei den Ratsuchenden um Politiker oder andere bekannte Persönlichkeiten handelt. Das schillernde, moderne Seoul will nicht zugeben, dass es auch der Welt des Nicht-Sichtbaren Aufmerksamkeit schenkt. Doch auch hier gilt die Marktlogik: Angebot folgt Nachfrage. In einer Stadt, wo Konkurrenzfähigkeit ungeschriebenes Gesetz ist, und die so hohe Ansprüche an sich selbst stellt, werden sich immer Warteschlangen vor den Bars der Schamanen und Wahrsager bilden.
Anreise
Direktflüge ab Wien bietet Korean Air auf koreanair.com. Die CO2-Kompensation für Hin- und Rückflug beträgt via climateaustria.at 55,58 €
Adressen
– Das Global Seoul Mates (GSM) befindet sich in Terrace 3 floor, 164, Nonhyeon-dong, Gangnam-gu, hilokal.com
– Fun Saju Cafe: 24 Wausan-ro 21-gil, Seogyo-dong, Mapo-gu
– Spa Lei: Nur für Frauen, 06524 5 Gangnam-daero 107-gil, Seocho-gu
Festivals
Das Gurye Sansuyu Festival im März im Viertel Sandong-myeon findet in der Hot Springs-Area des Jirisan Berges statt und ist der beste Ort für die gelbe Sansuyu- Blüte. Unbedingt auch das Essen an den lokalen Ständen versuchen!
Auch das Jeju Feuer Fest (ebenfalls im März) läutet den Frühling ein. Es erinnert an die Tradition des Abbrennens der Felder zu Saisonbeginn. Infos zu beiden Festen auf: english.visitkorea.or.kr
Info
Tourveranstalter Hanatour Europe Ltd. ist ein Spezialist für Südkorea: hanatour.eu