Architektentraum: Leben mit Loos
Von Barbara Beer
Im Grunde, sagt Johannes Holländer, sei das hier ein Niedrigenergiehaus. Dabei stammt es aus einer Zeit, in der das Wort „Nachhaltigkeit“ noch nicht erfunden war. Die Rede ist von der Villa Scheu in Wien-Hietzing, 1912 von Adolf Loos erbaut und seit zehn Jahren von der Familie Holländer bewohnt: „Es ist ein sehr aktuelles Haus. Bei jeder Gasrechnung stellen wir fest, dass wir erstaunlich wenig Energie verbrauchen. Wenn man es heute neu bauen würde, würde man es wieder so machen. Das ist doch bemerkenswert“, sagt Holländer. So seien etwa die Original-Kastenfenster aus Holz, mit Ölfarbe gestrichen, viel effektiver als heutige Kunststofffenster. „Insgesamt ist das ein sehr angenehm zu bewohnendes Haus. Loos hat eben für die Bewohner gebaut und nicht für die Architekten.“
Außerdem hatte Adolf Loos, der als Mitbegründer der Wiener Moderne gilt, wohl einen recht pragmatischen Zugang zum Thema Wohnen: Die Terrassen könne man gerne zubauen, wenn die Familie größer werde, ließ er ausrichten. Dabei war die Villa Scheu das erste Terrassen-Haus Mitteleuropas, ausgestattet mit einer Abdicht-Technik, die Loos aus den USA importiert hatte und die seit mehr als hundert Jahren klaglos funktioniert. „Das Haus war immer dicht – nicht gerade typisch für moderne Terrassen“, sagt Holländer.
Wohnen wie damals
Errichtet wurde das Haus einst für Gustav und Helene Scheu, er Rechtsanwalt und sozialdemokratischer Stadtrat in Wien (1919–1920), sie Journalistin. Helene Scheu führte hier einen Salon, in dem Künstler wie Arnold Schönberg, Oskar Kokoschka und Hilde Spiel verkehrten. Heute lebt hier das Künstler- und Unternehmerpaar Holländer in einem Ambiente, in dem die Atmosphäre von damals gut vorstellbar ist. So gut wie jedes Möbelstück stammt von Adolf Loos, viele Textilien von seinem Architektenkollegen Josef Frank. Luster, die Loos ursprünglich für dieses Haus konzipiert hatte, wurden liebevoll restauriert. Scheinbar simple Dinge, bis ins letzte Detail ausgetüftelt. Alle Möbel sind original – bis auf die Hundepölster. Trotz Tradition lebt man hier unkompliziert. „Loos argumentierte gegen die Garnitur und für verschiedene Sitzgelegenheiten, denn man will ja nicht immer gleich sitzen“, erklärt Holländer sein Wohnzimmer.
Für seine Kundschaft war Loos wie ein Guru: Sie gehorchte ihm aufs Wort. „Fürchtet euch nicht, dass eure Wohnung geschmacklos ausfallen könnte. Über Geschmackssachen lässt sich streiten. Wer kann entscheiden, wer recht hat?“, ließ Loos wissen. Einerseits tolerant, gab er andererseits liebend gerne Anleitungen, wie man zu leben habe und teilte in pointierten Schriften, bei denen ihm zweifellos sein Freund Karl Kraus unter die Arme griff, Tipps zu Mode, Wohnen und Ernährung mit. Riet zu Haferflocken zum Frühstück, befürwortete Salzstreuer statt Salzfass und philosophierte darüber, dass die Proportionen eines Sitzmöbels den Gang einer Konversation bestimmen: „Auf kleinen, kapriziösen Sitzmöbeln plaudert sich’s leichter als im Großvaterstuhl.“ Ideal für eine gesellige Runde war also auch jener Hocker, den Loos nach dem Vorbild der Londoner Firma Liberty's entwarf – ebenfalls Teil des Wohnzimmers der Villa Scheu.
Auch das ist Nachhaltigkeit: Vorhandenes nutzen und neu deuten: „Loos’ Devise war: Wir müssen nichts Neues erfinden, alles ist schon da. Es gilt, im Sinne der Moderne zu wählen“, erklärt Rainald Franz, der gemeinsam mit dem Architekturexperten Markus Kristan die Loos-Ausstellung im MAK gestaltet. Auch das unterscheide ihn von Secessionisten wie Josef Hoffmann, gegen deren Ornament-Verliebtheit Loos ausgiebig wetterte – legendär seine Streitschrift „Ornament und Verbrechen“.
Von kurzer Dauer
Während Hoffmann, ebenfalls vor 150 Jahren geboren, hauptsächlich für Betuchte baute, kümmerte sich Loos auch um Mittelstand und Unterschicht. Über die Vermittlung von Gustav Scheu wurde Adolf Loos, der sich sein Lebtag keiner Anstellung, ja, nicht einmal der Mitgliedschaft eines Vereins unterwerfen wollte, Leiter des Siedlungsamtes der Gemeinde Wien. Das Engagement war von kurzer Dauer. Unter anderem, weil Loos der Idee der Wohnpaläste des Roten Wien wenig abgewinnen konnte. In dieser Zeit plante und verwirklichte Loos die Siedlung Heuberg in Wien-Hernals: Billige, zweistöckige Reihenhäuser nach amerikanischem Vorbild. So konstruiert, dass jeweils die Feuermauer eines Hauses zur tragenden Außenmauer des angeschlossenen Nachbarhauses wurde.
Die Siedlung Heuberg war damals richtungsweisend, der Lokalaugenschein heute zeigt: Die meisten Häuser wurden stark verändert, mit dem architektonischen Erbe kann nicht jeder, der hier wohnt, etwas anfangen.
Das trifft nur bedingt auf die Werkbundsiedlung in Hietzing zu, einer 1932 eröffneten Musterhaussiedlung, an der Architekten wie Josef Hoffmann oder Richard Neutra beteiligt waren. Der damals schon recht betagte Loos entwarf mithilfe seines Mitarbeiters Heinrich Kulka zwei Häuser. Eine Bewohnerin erzählt, dass sie sich mit ihrem Loos-Haus einen Traum erfüllt hat: „Mein Mann und ich kennen diese Häuser seit unserem Architekturstudium. Nun selbst hier zu wohnen, ist manchmal noch unwirklich“, schwärmt sie. Trotz der Kleinheit sei der Maßstab richtig: Bei einer verbauten Fläche von nur 47 Quadratmetern pro Haus ist es den Architekten gelungen, auf einem Minimum an Raum ein Maximum an Wohnfläche – 93 Quadratmeter – zu schaffen. Aus Klein mach Groß: Auch hier war Adolf Loos Meister der Nachhaltigkeit – und das, obwohl er das Wort vermutlich nicht kannte.