Chronik/Wien

Wiener SPÖ blockiert gerechteres Wahlrecht

Wir haben uns geeinigt, dass wir uns in diesem Punkt nicht geeinigt haben." So gaben am Freitag SPÖ-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler und der grüne Klubobmann David Ellensohn offiziell bekannt, was seit Donnerstag klar war: Trotz ewigem Gezerre wird es keine gemeinsame umfassende Reform des Wiener Wahlrechts geben. Jahrelang hatten die Grünen darauf gedrängt, das bisherige System, das die stimmenstärkste Partei bei der Mandatsverteilung massiv bevorzugt, zu ändern.

Letztlich konnte man sich nur darauf einigen, die verfassungsrechtlich notwendigen Reparaturen beim Wahlrecht für Strafgefangene und bei der Briefwahl gemeinsam zu beschließen. Hätte man darauf verzichtet, würde eine Anfechtung der kommenden Wahl drohen.

Die strittige Frage Mandatsverteilung wird hingegen im koalitionsfreien Raum entschieden. Bei der nächsten Landtagssitzung am 27. März werden die Grünen einen entsprechenden Antrag einbringen. "Er soll der Regelung entsprechen, die auch bei den Nationalratswahlen zur Anwendung kommt", sagt Ellensohn. Damit würden die Grünen auch dem Notariatsakt Genüge tun, den die jetzige Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou gemeinsam mit FPÖ und ÖVP im Jahr 2010 unterzeichnet hat. Damals hatten sich die drei Parteien verpflichtet, für ein gerechteres Wahlrecht zu sorgen, nach dem jede Stimme möglichst gleich viel wert ist.

Theoretisch könnten die Grünen jetzt gemeinsam mit der Opposition ein Wahlrecht beschließen, das der SPÖ noch mehr Mandate kostet als das letzte Kompromiss-Angebot der Grünen in den Verhandlungen mit der SPÖ.

Juristische Tricks

Auf den ersten Blick steht damit die SPÖ als großer Verlierer im Wahlrechts-Poker da. Allerdings hat sie noch einige Trümpfe in der Hinterhand, um die Reform doch noch zu verhindern. Bringen die Grünen etwa einen Initiativantrag ein, könnte dieser vom SPÖ-Landtagspräsidenten umgehend an den zuständigen Ausschuss verwiesen werden. Und dort hat die SPÖ die absolute Mandatsmehrheit und könnte damit die Reform weiter blockieren. "Warum sollen die gleichen Abgeordneten, die im Landtag dagegen stimmen, im Ausschuss dafür stimmen?", lässt SPÖ-Chefverhandler Niedermühlbichler keine Zweifel.

Die zweite Variante wäre ein sogenannter Abänderungsantrag mit der Auflage, nicht im Ausschuss, sondern direkt im Plenum abzustimmen. Allerdings hat der Landtagspräsident die Möglichkeit, diesen Antrag erst gar nicht zuzulassen.

"Futtertrog"

"Hier wird die Strategie von Bürgermeister Michael Häupl klar: Man stiftet Verwirrung und bleibt letztlich doch am Futtertrog", wettert ÖVP-Chef Manfred Juraczka. Einem grünen Abänderungsantrag, der rein den gemeinsamen Notariatsakt von 2010 zum Inhalt hat, werde die ÖVP aber trotzdem zustimmen, betont der Parteiobmann.

Das kündigt auch die FPÖ an. Gleichzeitig fordert Parteichef Heinz-Christian Strache angesichts der rot-grünen "Komödie rund um das Wahlrecht" ehebaldige Neuwahlen.

Diese dürften nun allerdings doch nicht so rasch kommen. Nachdem das Gezerre um das Wahlrecht zuletzt zu einer öffentlich ausgetragenen Schlammschlacht zwischen SPÖ und Grünen mutierte, beteuerte man am Freitag zumindest nach außen koalitionäre Harmonie: "Eine Partnerschaft muss aushalten, wenn man sich hin und wieder nicht einig ist", betonte Niedermühlbichler. "Ich werde mit David weiterhin auf ein Bier gehen." Ellensohn sieht ebenfalls keinen Grund, die Regierung vorzeitig aufzukündigen. Immerhin habe man 99 Prozent des Koalitionspakts gemeinsam abgearbeitet.

Unbeschädigt werden aber beide Parteien nicht aus dem Wahlrecht-Streit hervorgehen, ist sich Politologe Peter Filzmaier sich: "So ein Konflikt hilft immer der Opposition."

Für den Experten könnte der Schaden für die Grünen sogar noch größer sein: "Ihre Chancen, nach der Wahl wieder der Koalitionspartner für die SPÖ zu werden, sind deutlich gesunken."

Der verhängnisvolle Notariatsakt

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Die Wiener SPÖ zieht alle Register, um ihre bröckelnde Macht zu halten. Denn auch wenn die Grünen gemeinsam mit FPÖ und ÖVP einen Antrag für ein neues Wahlrecht einbringen – die SPÖ wird diesen blockieren.

Damit werden vor allem jene Genossen befriedigt, die ihren Platz im Gemeinderat schon verloren sahen. Dass man dabei eine demokratisch gewählte Mehrheit ignoriert, nimmt Bürgermeister Michael Häupl in Kauf. Bemerkenswert: Noch vor Kurzem sagte Häupl, dass man nicht auf eine Blockade in den Ausschüssen zurückgreifen werde.

Nun ist alles anders. Das rote Kalkül: Das Wahlrecht ist so sperrig, dass es die Wähler kaum interessiert – im Gegensatz zu Arbeitsplätzen oder günstigen Wohnungen.
Die Chance für eine Neuauflage von Rot-Grün ist freilich gesunken. Denn wie viel ist eine Koalition wert, wenn der Partner mit FPÖ und ÖVP fremdgeht.

Das Eingeständnis des Scheiterns der Verhandlungen setzte den Schlusspunkt hinter eine mehr als vierjährige Debatte. Zeigte man sich im Regierungspakt noch optimistisch, ein neues Verhältniswahlrecht bis Ende 2012 auszuarbeiten, wuchs sich die Causa zuletzt zur veritablen Koalitionskrise aus. Die Chronik eines langwierigen Scheiterns:

MAI 2010: Fünf Monate vor der Wien-Wahl verpflichten sich die Chefs der drei Oppositionsparteien, Christine Marek (ÖVP), Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Maria Vassilakou (Grüne) per Notariatsakt, nach dem Urnengang im Falle einer Regierungsbeteiligung mit der SPÖ für eine Reform des mehrheitsfördernden Wahlrechts zu kämpfen. Ziel ist, dass künftig die Mandatszahl einer Fraktion möglichst genau ihrem prozentuellen Stimmenanteil entspricht. Damit soll es nicht mehr möglich sein, dass die SPÖ mit unter 50 Prozent an Stimmen die absolute Mandatsmehrheit erreichen kann.

NOVEMBER 2010: Die neue rot-grüne Stadtregierung verpflichtet sich im Koalitionspakt, bis längstens Ende 2012 ein neues "faires Verhältniswahlrecht" zu erarbeiten und in Gesetzesform zu gießen. Um den beidseitigen guten Willen mit Nachdruck zu demonstrieren, beschließen die beiden Fraktionen in der konstituierenden Sitzung des Gemeinderats zudem einen entsprechenden Antrag. Ein ÖVP-FPÖ-Antrag, der dem Wortlaut des Notariatsakt entspricht, wird indes abgelehnt - womit der oppositionelle Vorwurf des "grünen Umfallers" geboren ist.

MÄRZ 2011: Der grüne Klubchef David Ellensohn kündigt an, dass das Reformpapier schon 2011 fertig verhandelt werden könnte. Im Lauf des Jahres wird klar, dass sich dieses ambitioniertes Ziel nicht ausgehen wird.

FEBRUAR 2012: Die Koalitionspartner kehren zur ursprünglichen Deadline zurück und visieren eine Einigung bis 2012 an. Als zentraler Hauptknackpunkt gilt inzwischen der künftige Verteilungsschlüssel für Mandate.

AUGUST 2012: SPÖ-Klubchef Rudolf Schicker verkündet im APA-Interview, dass man sich mit den Grünen "weitestgehend" einig sei. Bereits paktiert sei neben einer Stärkung der Persönlichkeitswahl u.a. die Einführung einer Fünf-Prozent-Hürde auch auf Bezirksebene. Die Grünen widersprechen postwendend. Der Plan wird schließlich wieder fallen gelassen, an einer Einigung bis zum Jahresende allerdings festgehalten.

DEZEMBER 2012: Die letzte Landtagssitzung des Jahres verstreicht ohne Wahlrechtsbeschluss.

DEZEMBER 2013: Nachdem es monatelang still um das koalitionsinterne Tauziehen geworden ist, zeigt sich SPÖ-Klubchef Schicker überzeugt, dass das neue Wahlrecht im Jahr 2014 aber nun wirklich kommen wird. ÖVP und FPÖ glauben nur noch an ein "Reförmchen".

SEPTEMBER 2014: Ellensohn setzt die nächste Frist. Bis 27. November soll die Reform stehen - ansonsten "wird es Zeit für einen Plan B". Wie ein solcher ausschauen kann und soll, verschweigt der grüne Klubchef allerdings.

NOVEMBER 2014: Rot-Grün räumt ein, dass es 2014 keine Reform mehr geben wird. Von einem "Plan B" ist keine Rede mehr.

DEZEMBER 2014: Die Grünen wollen den Druck erhöhen und machen ihr Kompromissangebot in Sachen Mandatsverteilung öffentlich. Sie wollen sich "in der Mitte treffen" und schlagen eine Halbierung des mehrheitsfördernden Faktors vor. Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) ist merklich verstimmt, lässt wissen, dass die Roten nur zu einer Reduktion um ein Viertel bereit sind und beruft ein rot-grünes Krisentreffen - einen der seltenen Koalitionsausschüsse - ein. Nach Sitzungsende legt das Stadtoberhaupt fest, dass die Wahlrechtsreform bis zur dritten Jännerwoche stehen soll. Spekulationen, wonach der nicht endenwollende Zwist zum Regierungsbruch führen könnte, weisen Häupl und Vassilakou zurück.

JÄNNER 2015: Mitte des Monats beruft die FPÖ einen Sonderlandtag ein. Die Opposition drängt die Grünen, gemeinsam gegen die SPÖ ein neues Wahlrecht zu beschließen. Diese winken freilich ab und betonen, dass ein derartiges Vorgehen formal gar nicht möglich sei, da die Roten im zuständigen Ausschuss nach wie vor die absolute Mehrheit hätten und einen entsprechenden Antrag blockieren könnten. Den Ablauf seiner selbst gesetzten Deadline sieht Häupl gelassen. Man habe ja auch die im Koalitionspakt festgeschriebene Frist, 2012, "irgendwie verpasst", eine Reform wolle er "nicht übers Knie brechen".

5. FEBRUAR 2015: Die Grünen bestätigen auf Twitter aufgetauchte Gerüchte, wonach sich Häupl und Vassilakou auf eine Lösung geeinigt hätten und diese nun nur noch durch die Parteigremien müsse. Demnach werde der mehrheitsfördernde Faktor bei der heurigen Wien-Wahl von 1 auf 0,6 und ab dem Urnengang 2020 auf 0,5 gesenkt. Das Problem: Die SPÖ dementiert die Einigung umgehend, es gebe auch keine Gremiensitzung.

10. FEBRUAR 2015: Häupl reagiert merkbar verärgert auf das "momentane Verhalten der Grünen". Er sei "not amused" über den Bruch des Stillhalteabkommens. Vassilakou kontert, dass die Verhandlungen definitiv abgeschlossen seien und sie nun "den Sack zumachen" wolle.

11. FEBRUAR 2015: Die grüne Frontfrau geht aufs Ganze und stellt der SPÖ ein Ultimatum. Sie wolle bis zum Ende der Woche eine Entscheidung, ein "Nein" der Roten hätte "weitreichende Konsequenzen". Häupl lässt die grüne Frist kalt. Er spricht von einer "einseitigen Beendigung" der Verhandlungen und stellt klar: "Es wird weitergeredet."

13. FEBRUAR 2015: Die Koalitionsparteien gestehen ihr Scheitern im Hinblick auf die Wahlrechtsreform endgültig ein. SPÖ-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler und der grüne Klubobmann David Ellensohn geben in einer gemeinsamen Pressekonferenz bekannt, dass man sich nur über die verfassungsrechtlich notwendigen Reparaturen wie etwa Änderungen bei der Briefwahl und dem Wahlrecht für Strafgefangene einig geworden ist. Über den Knackpunkt mehrheitsförderndes Wahlrecht wird stattdessen im koalitionsfreien Raum abgestimmt. Ellensohn kündigt an, dass die Grünen im nächsten Landtag Ende März einen dem Notariatspakt entsprechenden Antrag einbringen werden. Unsicherheitsfaktor bleibt die SPÖ, die den Beschluss theoretisch auch bei einer Mehrheit im Plenum noch blockieren könnte.