Wahlbeteiligung, Wahlkarten, neues Wahlrecht: Die Knackpunkte der Wien-Wahl
Von Josef Gebhard
Wenn heute 1,36 Millionen Wiener dazu aufgerufen sind, einen neuen Gemeinderat und Landtag zu wählen, wartet auf sie ein Urnengang voller Rekorde, Premieren und Unabwägbarkeiten. Verantwortlich dafür ist vor allem (aber nicht nur) die aktuelle Corona-Pandemie.
Ihr ist es zu verdanken, dass diesmal so viele Wahlkarten wie noch nie beantragt wurden. Insgesamt waren es 382.214, gab die Wahlbehörde am Freitag bekannt. Das sind 1,8 mal so viele wie 2015 (203.874). 21.651 Wahlkarten gingen an EU-Bürger, die nur auf Bezirksebene mitwählen dürfen.
40 Prozent Briefwahlstimmen
Das bedeutet: Rund 40 Prozent der Gesamtstimmen werden Briefwahlstimmen sein, schätzen die Hochrechner. Mit der Folge, dass sich die Wiener diesmal gedulden müssen, bis ein aussagekräftiges Wahlergebnis vorliegen wird. Denn es werden in den vorläufigen Gesamtergebnissen Sonntagabend erst rund 60 Prozent der Stimmen berücksichtigt sein.
Von einer möglichen Schwankungsbreite von rund 1,5 Prozentpunkten in den Hochrechnungen am Ende des Wahlabends sprach Wahlforscher Christoph Hofinger (SORA) am Freitag in der ZiB2. Weil ein Großteil der Wahlkarten erst am Montag und Dienstag ausgezählt wird, wird es auch wohl so lange dauern, bis verlässliche Daten vorliegen.
Das gilt vor allem für Detailergebnisse, bei denen eine sehr knappe Entscheidung zu erwarten ist. Allen voran bei der Frage, ob das Team HC Strache den Einzug in den Gemeinderat schafft. In den Umfragen lag die Partei stets knapp bei der Fünf-Prozent-Marke, die dafür nötig ist.
Erst am Dienstag könnte zudem feststehen, wer in jenen Bezirken die Nase vorn hat, für die ebenfalls eine enge Entscheidung prognostiziert wird – etwa in Währing, Simmering oder in der Josefstadt.
Erstmals wird es auch gesonderte SORA-Hochrechnungen aus den Bezirken geben.
In den vergangenen Wochen setzten die meisten Parteien sehr viel daran, ihre Anhänger zu überzeugen, mit Wahlkarte zu wählen, um einer möglichen (wenn auch sehr geringen) Ansteckungsgefahr im Wahllokal zu entgehen. So gingen die meisten Spitzenkandidaten mit gutem Beispiel voran und wählen bereits vorab.
Dennoch ist noch nicht sicher, wie diesmal die Wahlbeteiligung aussehen wird. 2015 lag sie bei beachtlichen 75 Prozent. Für diesmal sagen Umfragen einen Rückgang auf rund 70 Prozent voraus. Wem das schadet, ist ebenfalls nicht ganz klar: Verzichten viele ältere Wähler aus Angst vor einer Infektion auf eine Wahl, ist das eher für die SPÖ schlecht, die in dieser Wählerschicht überrepräsentiert ist. Denkbar ist aber auch, dass viele FPÖ-Wähler aus Frust über die Querelen seit der Ibiza-Affäre daheim bleiben, was naturgemäß dem dritten Lager schadet.
Neues Wahlrecht
Eine Premiere feiert diesen Sonntag das neue Wahlrecht, das SPÖ und Grüne nach jahrelangem zähen Ringen 2015 beschlossen haben. Das alte System bevorzugte bei der Mandatsverteilung massiv die größeren Parteien (in der Praxis also vor allem die SPÖ). Mit der Reform wurde dieser Faktor etwas abgeschwächt.
Zur Veranschaulichung: 2015 brachte es die SPÖ mit ihren 39,6 Prozent auf 44 Mandate, mit dem neuen System wären es nur 42 gewesen. Umgekehrt die Situation bei der ÖVP: Sie erreichte 2015 9,2 Prozent und 7 Mandate, mit dem neuen Wahlrecht wäre die Zahl auf 9 gewachsen.
Schafft Ludwig die Absolute?
Immer noch ist es so, dass eine Partei mit deutlich unter 50 Prozent der Stimmen eine Mandatsmehrheit (also 51 von 100 Mandaten) holen kann. Ein Umstand, vor dem im Wahlkampf vor allem die ÖVP in Hinblick auf die Sozialdemokraten warnte.
46,5 Prozent würden der SPÖ für die Mandats-Absolute reichen. Eine Voraussetzung dafür wäre aber, dass das Team Strache relativ knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, zeigt sich in einer Mandatssimulation der ARGE Wahlen.
Schafft es Heinz-Christian Straches Partei knapp über die Fünf-Prozent-Hürde, geht sich die Mandatsabsolute für die SPÖ mit deutlich unter 50 Prozent nicht aus.
Allerdings lag die SPÖ zuletzt in Umfragen bei maximal 42 Prozent. Das würde in dieser Simulation 45 Mandate bedeuten. Damit ginge sich wohl locker eine Koalition mit den Grünen oder der ÖVP aus. Schwieriger wäre ein zuletzt häufig diskutiertes Bündnis mit den Neos. Dieses hätte – wenn überhaupt – nur eine recht knappe Mandatsmehrheit, was Abstimmungen im Gemeinderat mitunter zu einer Zitterpartie machen könnte.