Lobautunnel-Aus: Ludwig will mit Juristen prüfen, Grüne und Neos jubeln
Der Stopp des Lobautunnels durch Umweltministerin Leonore Gewessler bedeutet ein Polit-Erdbeben auf Wiener Ebene. Ist doch die regierende SPÖ seit 20 Jahren vehement für den Tunnel eingetreten.
Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hatte zuletzt mit Klagen gedroht, sollte die Ministerin einen Baustopp verhängen, schließlich sei das Projekt bereits genauestens rechtlich geprüft worden.
In einer ersten Stellungnahme sieht Ludwig einen "Schlag gegen die Lebensqualität der Stadt". Die Unterlagen sollen jetzt gemeinsam mit Juristen geprüft werden. Die Präsentation der Ministerin bezeichnet Ludwig "schon fast als Pflanzerei". Es sei einfach ein "Nein" gegen das Projekt, aber es seien keine Alternativen angeboten worden."
Niederösterreichs Mobilitätslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP) kündigte bereits via Aussendung an, dass das Land Niederösterreich mögliche rechtliche Schritte der Stadt Wien in Sachen S1 unterstützen werde.
Neos zufrieden
Erfreut über den Baustopp zeigt sich ausgerechnet der pinke Koalitionspartner: Von einer „erwartbaren und richtigen Entscheidung“ spricht Klubobfrau Bettina Emmerling: „Das Wichtigste ist: Jetzt herrscht Klarheit. Wir Neos begrüßen die Entscheidung und fordern alle Beteiligten auf, jetzt rasch zu handeln, statt nachhaltige Lösungen durch Rechtsstreitigkeiten über Jahre zu verzögern."
Bund, Wien und Niederösterreich müssen die frei gewordenen Mittel umleiten und einen Öffi-Turbo für die Ostregion zünden, betont Emmerling. "Besonders braucht es jetzt attraktive, die Stadtgrenze überquerende Alternativen für Pendler und eine Aufwertung der S-Bahn Verbindungen in die Stadt."
Junge Rote nicht aut Ludwig-Linie
Und auch die SPÖ-Parteijugend begrüßt die Entscheidung der Ministerin: Sie sei "ein Erfolg der monatelangen Proteste von vielen jungen Menschen", betont SJ-Wien-Vorsitzende Rihab Toumi: "Wir sagen: Ein Baustopp alleine ist viel zu wenig. Es braucht jetzt klare, klimafreundliche Alternativen, um die Verkehrsprobleme in der Donaustadt zu lösen.“
Grüne jubeln
Groß ist die Begeisterung naturgemäß bei den Wiener Grünen, die seit jeher - auch in ihrer Zeit in der Stadtregierung - gegen das Projekt waren: „Heute ist ein Jubeltag für den Klimaschutz und die gesamte Klimabewegung. Die Entscheidung gegen den Lobautunnel ist richtig und vernünftig. Sie bestätigt all jene, die sich für echten Klimaschutz und eine Verkehrswende in Wien einsetzen. Ein Festhalten an diesem uralten fossilen Großprojekt ist mit Erreichung der Klimaziele einfach nicht mehr vereinbar“, sagen die beiden Parteivorsitzenden Judith Pühringer und Peter Kraus.
ÖVP empört
In seltener Einigkeit mit der SPÖ zeigt sich indes die Wiener ÖVP: „Die heutige Entscheidung von Verkehrsministerin Gewessler ist völlig unverständlich, zeugt von kompletter Verantwortungslosigkeit und ist geradezu ein Schlag ins Gesicht der Wienerinnen und Wiener. Dieser Entscheidung muss entschieden entgegengetreten werden“, so Klubobmann Markus Wölbitsch und Verkehrssprecher Gemeinderat Wolfgang Kieslich.
Es stehe zweifelsfrei fest, dass der S1-Lückenschluss samt Lobautunnel in puncto Verkehrsentlastung völlig alternativlos ist. „Es geht nicht nur um die Entlastung der Donaustadt, sondern von ganz Wien und der gesamten Ostregion. Jeder kleine Ort hat mittlerweile eine Umfahrung, warum sollte dies nicht endlich auch in der Bundeshauptstadt möglich sein?“, so Kieslich.
"Gänsehaut" bei Aktivisten
Die Aktivisten im Protestcamp in der Lobau haben sich Gemeinschaftlich Pressekonferenz angeschaut - und sind naturgemäß mit dem Ergebnis zufrieden. "Gänsehaut" wird als Fazit getwittert.
Wirtschaftskammer Wien: "Letztes Wort noch nicht gesprochen"
Wirtschaftskammer Wien-Präsident Walter Ruck geht mit den Plänen hart ins Gericht: „Dass nun der Rechtsstaat durch eine einsame - um nicht zu sagen willkürliche – Entscheidung ausgehebelt wird, ist mehr als bedenklich. Wir leben in Wien im 21. Jahrhundert und nicht im antiken Rom, wo über Existenzen per Daumenstellung entschieden wurde“, sagt er. Es müsse klar sein, dass eine Stadt wie Wien eine leistungsfähige Infrastruktur braucht, um im internationalen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte bestehen zu können.“
Für den in der Wirtschaftskammer Wien angesiedelten Standortanwalt Alexander Biach sind außerdem jetzt "mehr Fragen offen als jemals zuvor". Eine wirkliche Alternative sehe er nicht, das die Genehmigung einer neuen Straße zehn bis 20 Jahre dauern würde.
Gleichzeitig kreidet er die Intransparenz der Evaluierung an. "Es müssen sich alle an einen Tisch setzen", sagt Biach. "Hier geht es nicht um die Wirtschaft gegen die anderen, sondern darum echte Lösungen für alle zu finden." Aus seiner Sicht wäre das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Grüner Wirtschaftskammer-Vize gegen rechtliche Schritte
Hans Arsenovic, grüner Gemeinderat und Vizepräsident der Wiener Wirtschaftskammer, ist hingegen voll des Lobes für Ministerin Gewessler: „Ich bin dankbar, dass sie ihre Job-Description als Klimaschutzministerin erfüllt.“ Nach ihrer Entscheidung sei man nun gefordert, Alternativen zu entwicklen, um das Mobilitätsbedürfnis der Menschen zu befriedigen. „Nun ist Innovationskraft gefragt“. Angesprochen auf die drohende Klage der Wirtschaftskammer plädiert Arsenovic für Gespräche: „Ich bin dafür, dass sich die Ministerin und Vertreter der Kammer und zusammensetzen – aber nicht im Gerichtssaal.“ Er werde sich für derartige Gespräche einsetzen.