Chronik/Wien

Ludwig schickt Hebein aufs Abstellgleis und angelt sich die Neos

Was der KURIER bereits kurz zuvor erfahren hatte, wurde von Bürgermeister Michael Ludwig Dienstagmittag im Rahmen einer Pressekonferenz bestätigt: Die Wiener SPÖ wird mit den Neos in Koalitionsverhandlungen eintreten, damit ist Rot-Grün in Wien nach zehn Jahren wohl am Ende.

Die Sondierungen in der vergangenen Woche seien mit allen drei Parteien - Grünen, Neos und ÖVP - in einer "sehr guten Atmosphäre verlaufen", berichtete Ludwig in seinem Statement nach dem Erweiterten Landesparteivorstand. Dennoch sei "relativ bald" klar gewesen, "mit welcher der Parteien es leichter sein wird, eine Übereinkunft zu finden".

Deutliche Rückendeckung

Man habe sich nicht gegen, sondern für eine Partei entschieden, sagte Ludwig weiter: "Wir öffnen die Türe für eine Fortschrittskoalition." Das Präsidium habe sich einstimmig für Verhandlungen mit den Neos entschieden, der Vorstand "mit überwältigender Mehrheit" (konkret: zwei Gegenstimmen).

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Die Verhandlungen über Österreichs erste sozial-liberale Koalition sollen noch heute mit den Gesprächen "über das Prozedere" beginnen, kündigte Ludwig weiter an. Man wolle "sehr schnell verhandeln", um Mitte November fertig zu sein. Für den 24. November ist die konstituierende Sitzung des Gemeinderats anberaumt, bei der auch die Regierungsmitglieder angelobt werden sollen.

Offizieller Start

Und tatsächlich ließen Rot und Pink keine Zeit verstreichen: Schon um 17 Uhr trafen sich Vertreter der beiden Parteien in Ludwigs Büro, um die weitere Verhandlungsstruktur - also etwa, welche Untergruppen sich mit welchen Themen beschäftigen werden - und den Zeitplan festzulegen.

Schon zu Mittag hatte Ludwig klargemacht, dass es nur ein "Abkommen mit deutlich sozialdemokratischer Handschrift" und "Anteilen" liberaler Inhalte geben könne. Schließlich sei die SPÖ "sechs Mal so stark wie die Neos", das werde sich auch in einem eventuellen Koalitionsvertrag zeigen müssen.

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Über Rot-Grün sagte Ludwig, die Koalition habe "zehn Jahre gut funktioniert", vieles sei gelungen. Aber jetzt scheine "die Zeit reif zu sein, etwas Neues zu versuchen". Das berge auch ein Risiko, schließlich hätten die Neos "noch nicht viel Regierungserfahrung". Aber er sei "überzeugt", sagte der Bürgermeister, dass sich die Neos und Landessprecher Christoph Wiederkehr "sehr ernsthaft" beteiligen möchten. Darum werde die SPÖ nun "offenen Herzens" an die Koalitionsverhandlungen herantreten.

Wiederkehr: "Historischer Tag"

Wiederkehr freute sich in einer ersten Stellungnahme über einen "historischen Tag" für die Neos: Nicht nur wegen der Koalitionsverhandlungen, sondern auch, weil die Partei vor genau acht Jahren "mit dem Anspruch, Österreich zu verbessern" gegründet wurde. Seit damals habe man nicht nur in der Opposition bewiesen, dass man eine Kontrollaufgabe übernehmen könne, sondern in Salzburg auch, "dass wir in einer Regierung viel voranbringen können".

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Wien brauche eine Reformkoalition, die auch daran denke, "was braucht es für 2025 und darüber hinaus", sagte Wiederkehr. Besonders Reformen im Bildungsbereich müssten schnell angegangen werden. Dass Ludwig sich nun dafür entschieden habe, "mit uns etwas Neues zu wagen", sei ein Zeichen für bessere Schulen, eine belebtere Wirtschaft, mehr Transparenz und Klimaschutz.

Bürgermeister mit Handschlagqualität

Den Bürgermeister habe er als jemanden mit Handschlagqualität kennengelernt, auf den man sich verlassen könne, streute Wiederkehr seinem möglichen künftigen Koalitionspartner Rosen. Natürlich stimme es, dass die Neos der deutlich kleinere Partner seien, doch man könne sich auch als kleiner Koalitionspartner dafür einsetzen, die eigenen Anliegen voranzubringen.

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Bereits während der Sondierungen habe sich gezeigt, dass SPÖ und Neos "gute Kompromisse" schließen könnten. Nun gehe es darum, sich in den Verhandlungen "anzunähern und gemeinsame Visionen zu entwickeln".

Hebein: "Unsere Türen bleiben offen"

Noch-Vizebürgermeisterin Birgit Hebein wirkte in einer Pressekonferenz beinahe geschockt von der Entscheidung Ludwigs. Rot-Grün habe in den vergangenen zehn Jahren "vieles erreicht und vor allem gut zusammengearbeitet", sagte die Grünen-Chefin - die sich auch skeptisch zeigte, ob SPÖ und Neos in den anstehenden Verhandlungen auch tatsächlich zusammenfinden werden. "Unsere Türen bleiben offen für mögliche Verhandlungen", betonte Hebein ein ums andere Mal.

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Mit den Neos müsste Ludwig künftig vielleicht darüber streiten, "ob nicht doch mehr Spitalsbetten abgebaut werden sollen", während zwischen SPÖ und Grüne in der Gesellschafts-, Sozial- und Gesundheitspolitik "kein Blatt Papier" passen würde. Zwischen SPÖ und Neos lägen hingegen "ganze Papierfabriken", ergänzte die Vizebürgermeisterin. Zudem drohten "fünf Jahre Stillstand für den Klimaschutz" und Diskussionen über die Einschränkung von Mieter-Rechten.

"Vermeintliche Befindlichkeiten"

Hebein äußerte auch Unverständnis für eine "gravierende Entscheidung", die Ludwig aufgrund "vermeintlicher Befindlichkeiten und falsch transportierter Stimmungsbilder" getroffen habe. Die Grüne Grundhaltung, konstruktiv zu arbeiten, bleibe dessen ungeachtet dieselbe - auch, wenn die Entscheidung des Bürgermeisters natürlich "keine erfreuliche" sei.

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SPÖ und Grüne hätten "eine konstruktive Ebene, auf der wir beide überzeugt sind, dass wir aufrichtig für diese Stadt arbeiten wollen", sagte Hebein. Die Grünen hätten in Wien das beste Ergebnis ihrer Geschichte erreicht, seien "gestärkt" aus der Wahl hervorgegangen und hätten "klargestellt, dass wir einen Neubeginn von Rot-Grün für gut und wichtig halten würden".

Drei Wahlsieger

Die SPÖ hat die Wahl am 11. Oktober klar gewonnen. Sie konnte zwei Mandate zulegen und hält nun bei 46 - zu wenig für eine Alleinregierung, die ab 51 von 100 Abgeordneten möglich wäre. Deshalb braucht sie auch diesmal einen Regierungspartner.

Mit den Grünen, die seit 2010 mit der SPÖ zusammen arbeiten und nun von 10 auf 16 Mandate zulegen konnten, hätte die Koalition eine satte Mehrheit von 62 Abgeordneten gehabt. Mit den Neos, die sich von fünf auf acht Sitze verbessern konnten, wären es 54 Mandate - und damit genauso viel, wie Rot-Grün zuletzt hatte.