Ein Spanier schaffte es dank seiner Wanderschuhe bis ins Rathaus
Glühwein war die Rettung für Pablo Ayerbe an jenem bitterkalten Februartag. Der Spanier war schon viele Kilometer durch Wien gewandert, als er sein Etappenziel in der Lobau, dem Erholungsgebiet im Nationalpark Donau-Auen, erreichte. Durchfroren fragte er in der Gaststätte Roter Hiasl nach Kaffee, in Pandemiezeiten zum Mitnehmen, und bekam als Antwort: Das einzige warme Getränk, das noch ausgeschenkt werde, sei heißer Wein.
Das klingt nach einer sehr wienerischen Geschichte. Pablo Ayerbe kann viele davon erzählen, dabei hat er gerade einmal drei Monate in der Stadt gelebt. Der 24-Jährige, der eigentlich aus einem Dorf nahe Madrid kommt, absolvierte von Dezember bis Ende Februar ein Berufspraktikum im Wien-Büro der spanischen Nachrichtenagentur EFE.
Und weil die Pandemie das soziale Leben auf ein Minimum begrenzt, ging der passionierte Wanderer nach Feierabend und an den Wochenenden einfach drauf los. Alleine, stundenlang, bei Schnee oder Wind. Den wenigen Passanten muss er ein bisschen wie Forrest Gump vorgekommen sein – nur eben nicht im Laufschritt.
Erst später wurde der Jung-Journalist darauf aufmerksam gemacht, dass es in Wien offizielle Stadtwanderwege gibt. Von da an hatte Pablo Ayerbe endlich auch ein Ziel, genauer gesagt: sehr viele Ziele.
„Ich wollte etwas machen, woran ich mich immer erinnern werde“, sagt er rückblickend. Das scheint gelungen. Für die 13 Stadtwanderwege benötigte er gerade einmal sieben Tage, dazu kam noch die 120 Kilometer lange „Rundumadum“-Route, die einmal um die gesamte Bundeshauptstadt führt.
1982 wurden die ersten fünf Wiener Stadtwanderwege eingerichtet. Mittlerweile gibt es 13 Routen. Die Ausgangspunkte sind mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.
4.000 Wanderer zählen die Routen allein zu den Hoch-Zeiten im Frühjahr und Herbst.
120 Kilometer lang ist der 2005 angelegte Rundumadum-Wanderweg, der in 24 Etappen entlang den Stadtgrenzen rund um die Bundeshauptstadt führt. Infos im Internet unter www.wandern.wien.at
Als er schließlich hörte, dass die Stadt für das Bewältigen der Wanderwege Wandernadeln in Gold und Silber vergibt, musste er sechs Routen noch einmal beschreiten. Bei seinen ersten Ausflüge hatte der Spanier die Stellen, an denen man sich die für den Nachweis nötigen Stempel holen kann, noch ignoriert. „Der Ehrgeiz war am Ende groß“, sagt Ayerbe und zeigt den Wanderpass mit allen 13 Einträgen. Dabei hätten schon sieben für die goldene Stadtwandernadel genügt.
Gleichgesinnte traf er wenige, was wohl an der Witterung lag. Laut Stadt Wien nehmen pro Jahr Tausende das kostenlose Angebot in Anspruch, im Pandemiejahr 2020 soll sich das Aufkommen fast verdreifacht haben. Auch die Nachfrage nach Wandernadeln hat sich zuletzt auf rund 2.500 Stück mehr als verdoppelt.
Beim „Rundumadum“- Weg ist Ayerbe in exklusiver Gesellschaft. 200 Stück werden pro Jahr ausgegeben, abzuholen sind die Auszeichnungen im Rathaus. „Ich war an Orten, die ich sonst nie gesehen hätte in Wien.“ Am Kagraner „Zwerchäckerweg vor dem Durchlass der Schnellstraße“, so die offizielle Zielbeschreibung zur Stempelstelle, zwischen Deponie Rautenweg und Möbel Ludwig, muss man vielleicht auch nie gewesen sein.
Dann eher schon beim Beethoven-Grab am Zentralfriedhof, wo ein Reh Ayerbes Weg gekreuzt hatte. Den letzten Rest Glühwein hatte er da noch im Becher. Bezahlen musste er den übrigens nicht. Konnte er gar nicht. Bargeld hatte er keines dabei, die Kreditkarte wurde nicht akzeptiert. Ein Gast übernahm die Rechnung. „Ich weiß bis heute nicht ob aus Gastfreundschaft oder Mitleid.“