Chronik/Wien

Dolmetscher sollen bildungsferne Eltern unterstützen

Nicht alle Schüler in Österreich haben dieselben Bildungschancen. Faktoren wie Wohnort, im Alltag gesprochene Sprache oder Bildungsniveau der Eltern haben Einfluss auf den schulischen Erfolg der Kinder. Das belegt (einmal mehr) eine Studie, die von September bis Dezember 2020 im Auftrag der Wiener MA17 (Integration und Diversität) durchgeführt wurde.

Eine Möglichkeit gegenzusteuern, wäre, Schulen mit besonderen Herausforderungen mit zusätzlichen Mitteln auszustatten. In Wien will man zudem nun die Eltern stärker in die Pflicht nehmen. Ein Maßnahmenpaket, das bundesweit Schule machen könnte, soll dabei helfen. Damit es auch angenommen wird, begegnet man den Eltern auf Augenhöhe – und in deren Muttersprache.

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Die Ausgangslage

„In Österreich gibt es eine Reihe von Faktoren, die Einfluss auf ungleiche Bildungschancen haben“, sagt Soziologin Friederike Weber von „prospect research & solution“, die die Studie durchgeführt hat.

Das beginne schon bei der Demografie des Wohnbezirks und bei der Frage, welchem Schulsprengel ein Kind zugeteilt wird. Sogenannte Brennpunktschulen stünden nicht in Villenvierteln, sondern in erschwinglichen Stadtteilen, wo Menschen mit niedrigen sozioökonomischen Ressourcen und in vielen Fällen mit Migrationshintergrund leben.

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Entsprechend beeinflusst auch die im Alltag gesprochene Sprache die Bildungschancen. „In Wien wechseln 71 Prozent der Kinder mit deutscher Alltagssprache nach der Volksschule in die AHS, aber nur 41 Prozent der Kinder mit nicht-deutscher Alltagssprache“, erklärt Weber dazu. Ihre Conclusio: „Mehrsprachigkeit wird zu wenig gefördert.“

Und auch der Bildungsweg der Eltern sei ein Faktor. So lebe mehr als ein Drittel der Wiener Kinder unter 15 Jahren in Haushalten, in denen beide Elternteile keine eigenen Erfahrungen mit dem österreichischen Schulsystem haben. Bei 55 Prozent treffe das auf einen Elternteil zu.

Eltern sind zum Teil überfordert

Dazu komme, dass bestehende Angebote für Eltern ausgerechnet „von jenen nicht ausreichend angenommen würden, bei denen es wichtig wäre“, führt die Studienautorin aus. Das habe ganz unterschiedliche und meist miteinander verwobene Gründe: Ängste oder Überforderung der Eltern; sprachliche Barrieren; kulturell unterschiedliche Einstellungen zum Thema Bildung oder auch Unvereinbarkeit mit den Arbeitszeiten.

Zwei Annahmen seien aber falsch, betont Weber: Zum einen dürfe man nicht davon ausgehen, dass Eltern am Schulerfolg ihrer Kinder desinteressiert wären – das sei nicht der Fall. Und zum anderen dürfe die Problematik mit den schwer erreichbaren Eltern nicht auf Menschen mit Migrationshintergrund reduziert werden.

Der spiele zwar eine große Rolle, zumal er oft mit geringeren sozioökonomischen Ressourcen einhergehe. Personen ausländischer Herkunft (oder mit ausländischen Wurzeln) seien aber „keine homogene Gruppe, die man über einen Kamm scheren“ dürfe, so die Soziologin. Ein niedriges Bildungsniveau, das zu schlecht bezahlter Beschäftigung mit allen Folgeerscheinungen führe, finde man auch bei „waschechten“ Österreichern.

Workshops auf Türkisch

Basierend auf der Studie sieht man die Einbindung der Eltern in Wien nun als „Hebel, um die Chancengerechtigkeit für Schüler zu verbessern“, sagt Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos). „Auf Augenhöhe“ und mit Respekt vor der kulturellen Vielfalt wolle man schwer erreichbaren Eltern zusätzliche und vor allem mehrsprachige Angebote machen.

Wie groß diese Gruppe ist, weiß man trotz Studie nicht genau. Wiederkehr spricht von „mehreren tausend Personen“.

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Um sie ins Boot zu holen sind kurzfristig drei Maßnahmen geplant. Zum einen soll es an Schulen, in Kindergärten und in Bildungsgrätzeln (wo Betreuungs- und Bildungseinrichtungen mit außer-schulischen Einrichtungen dauerhaft zusammenarbeiten, Anm) Workshops und Seminare für Eltern geben, die die Orientierung im Schulsystem erleichtern. Auf Deutsch, bei Bedarf aber auch in den Muttersprachen der Eltern. Das könne auf Türkisch sein oder auch auf Somali, umfasse das Infoangebot der Stadt doch 24 Sprachen.

Weiters setzt die rot-pinke Stadtregierung auf Niederschwelligkeit in der Elternarbeit. Eltern müssen dafür also nicht zwangsweise in die Schule kommen. Ein adäquates Hilfsmittel könne hier der Videodolmetscher sein, der im Rahmen eines Pilotversuchs erst einmal im Bildungsgrätzel Brigittenau getestet werde, erklärt Wiederkehr.

Und auch rein finanziell setzt die Stadt den Hebel an: Mit 250.000 Euro Fördervolumen, das an Projekte ausgeschüttet werde, die die Effizienz der Elternarbeit erhöhen. Ein entsprechender öffentlicher Aufruf ist bereits erfolgt.

Kein verpflichtender Elternsprechtag

Eine Maßnahme vermisst man in der Aufzählung allerdings. Der verpflichtende Elternsprechtag inklusive Geldstrafe für renitente Eltern, den Wiederkehr noch vor Kurzem im KURIER-Interview in Aussicht stellte, ist vom Tisch.

Der sei „akut kein Thema“, erklärt der Stadtrat. Man forciere andere Maßnahmen und biete Eltern partnerschaftliche Alternativen an. Ein Weg, den zuletzt auch der SPÖ-nahe Bildungsdirektor Heinrich Himmer bevorzugt hatte.