Der Alsergrund: Eine Stadt in der Stadt
Von Bernhard Ichner
Was ist typisch für den Alsergrund? Das Chill-out-Feeling auf der Summerstage am grünen Donaukanal? Das von Bobos geschätzte Servitenviertel, wo ein Brunch am Samstagvormittag schon einmal bis zur Sperrstunde dauert? Der Sigmund-Freud-Park vor der Votivkirche, in dem sich junges Publikum in der Sonne rekelt und DJs auflegen, bevor Obdachlose am Abend ihr Quartier aufschlagen? Oder die Gemeindebauten von Lichtental?
Eigentlich alles davon.
Der Alsergrund ist ein Bezirk der Gegensätze: Dicht besiedeltes Gebiet schließt an große Grünflächen an. Wohlhabendes Publikum trifft auf Menschen mit geringem Einkommen. Migrantische auf nicht-migrantische Bevölkerung: 32,6 Prozent der Bewohner sind keine Österreicher und fast jeder zweite hat Migrationshintergrund.
So wie Bezirkschefin Saya Ahmad (SPÖ), die im Irak geboren wurde und 1991 im Zuge des Golfkriegs mit ihrer Familie nach Österreich flüchtete. Wobei: Die größte Migrantengruppe am Alsergrund sind Deutsche. Einer der bekanntesten Vertreter ist Schauspieler und Kinderbuchautor Erich Schleyer, der gern im Sigmund-Freud-Park entspannt und ins Kolin Essen geht.
Das Besondere am Bezirk sei, „dass diese Gegensätze gut miteinander leben können“, meint Ahmad. „Wir sind eine Stadt in der Stadt.“ Eine ziemlich komprimierte übrigens: Mit 41.884 Bewohnern (Stand: 1.1.2020) wohnen im 9. Bezirk gerade einmal 2,2 Prozent der Wiener Gesamtbevölkerung. Wobei Größe bekanntlich nicht das Maß aller Dinge ist. Für Bewohner und lokale Unternehmer gibt es keinen besseren Bezirk.
„Coole Identität“
Andreas Schwirtz ist beides. Als Anrainer der Währinger Straße liebt er die kurze Distanz ins Stadtzentrum sowie zu den Heurigen am Stadtrand.
Und als Wirt weiß er sein bunt gemischtes Publikum zu schätzen: Die grau melierten Besucher der Volksoper, die vor und nach den Vorstellungen auf Schmalzbrot und Winzerfleck im „Wein & Brot“ in der Währinger Straße 76 vorbeischauen. Die Jungen, die vor einem Konzert im WUK mit einer günstigen Flasche Hauswein vorglühen (der Grüne Veltliner vom Waldhauser Sepp aus Großriedenthal kostet im Achterl 2,10, in der Literflasche 14 Euro). Sowie die gut betuchten Banker, die in Schwirtz’ zweiter Weinbar, im „Onkel Franz“ am Frankhplatz, kaum drauf achten, was der Wein kostet.
Jedes Grätzel am Alsergrund habe seine eigene coole Identität, meint Schwirtz – das oben bei der Volksoper genauso wie das beim Frankhplatz (wo unter dem Hosenträgerhaus die vorläufige U5-Endstation entsteht - was den Eigentümern aus Sorge um die denkmalgeschützte Otto-Wagner-Fassade, wie berichtet, Kopfzerbrechen macht) oder das Servitenviertel. Nur das beim Franz-Josefs-Bahnhof sei seltsam.
Umstrittenes Althan-Quartier
Das könnte sich in absehbarer Zeit aber ändern. Denn dort entsteht das „Althan Quartier“ des Immobilienentwicklers 6B47 – ein Mix aus Eigentumswohnungen, Geschäften, Büros, Gastro und Hotel.
Dass im Zuge dessen auch die Treppen am Julius-Tandler-Platz weggerissen werden, erachtet Bezirkschefin Ahmad als Chance für eine Aufwertung des öffentlichen Raums.
Zumindest will man im Bezirk mittels Bürgerbeteiligungsprozesses die Aufenthaltsqualität am Vorplatz erhöhen, wenn man beim Bauträger mit dem Wunsch nach leistbarem Wohnen schon auf Granit gebissen hat.
Handlungsbedarf sieht die Bezirksvertretung auch punkto Verkehrsberuhigung. Die Grünen wollen Nussdorfer Straße und Alserbachstraße, Julius-Tandler-Platz, Währinger Straße sowie Liechtensteinstraße vom Durchzugsverkehr befreien. Andreas Schwirtz würde das begrüßen. Damit wäre sein cooles Grätzel bei der Volksoper noch cooler.