Blümel geht als Wiener ÖVP-Chef: Türkise Trauer, schwarze Hoffnung
„Es war mir eine Ehre.“ Mit diesen Worten endet das rund sechsminütige Facebook-Video, in dem Gernot Blümel, Finanzminister und Wiener ÖVP-Chef, gestern am späteren Abend seinen Rücktritt von allen Ämter bekannt gibt.
Seine letzte war eine der emotionalsten Reden, die der 40-Jährige in seiner Amtszeit abgeliefert hat. Jeder Tag im Amt sei „ein Privileg“ gewesen, sagt er. Dann spricht Blümel über die Morddrohungen gegen seine Frau, über seinen „Nachdenkprozess“ – und seine Entscheidung, zeitgleich mit Bundesparteichef Sebastian Kurz der Politik den Rücken zu kehren.
In der Wiener ÖVP wurde die Entscheidung Blümels – ob es tatsächlich seine eigene war, darüber gehen die Meinungen auseinander – ebenso emotional aufgenommen. Aus unterschiedlichen Gründen.
Die Wiener Landespartei ist die letzte, die tatsächlich noch als „türkis“ und nicht als schwarz gilt. Hier sitzen Vertrauensmänner (und -frauen) aus dem Umfeld von Sebastian Kurz. So mancher von ihnen hat nun Angst, im Sog der türkisen Rücktritte selbst am Karriereende angekommen zu sein.
„Mancher hier ist erst in der Neuen Volkspartei sozialisiert und hat zur alten ÖVP gar keinen Bezug“, sagt ein Parteiinsider. Diese Kollegen stünden „unter Schock“. Prominente Beispiele: Mandatar Peter L. Eppinger, einst ORF-Moderator, ist unter Kurz zur ÖVP gestoßen und zur „Stimme der Bewegung“ geworden. Auch Markus Gstöttner, früher Kabinettsmitarbeiter von Kurz, sitzt im Gemeinderat.
Auch die zweite Führungsebene ist türkis – mit Landesgeschäftsführerin Bernadette Arnoldner und Klubobmann Markus Wölbitsch. (Vor allem Wölbtisch hat sich zuletzt zunehmend profiliert, beide bleiben vorerst im Amt.)
Aufbruchstimmung
Bei den Schwarzen macht sich hinter den Kulissen Aufbruchstimmung breit: Die Türkisen hätten nicht mehr genug Macht , um jemanden aus dem Dunstkreis von Blümel – etwa Wölbitsch oder die junge Hardlinerin Laura Sachslehner – als Chef zu installieren, ohne dass es vorher einen offenen Diskurs gibt.
„Wenn jetzt kein demokratischer Prozess eingeleitet wird, zerbröselt die ganze Landespartei“, sagt ein Funktionär zum KURIER.
Zudem hofft man auf „ein Comeback der Sozialpartnerkräfte“, also die rot-schwarze Achse aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern, auf die auch Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) schwört. Gerade die vergangenen Tage – das Aus des Lobautunnels – hätten gezeigt, dass man eine „starke gemeinsame Stimme braucht.“
Ministerposten gefordert
Klar ist für die Schwarzen, dass ein neuer Landeschef im Bund eine gewichtige Rolle spielen müsse – etwa als Nachfolger von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, die angeblich ebenfalls zurücktritt.
Wer diese Rolle übernehmen könnte, ist bei den Wiener Schwarzen noch unklar: „Bei uns hat jedenfalls noch keiner angerufen.“
Blümel kam 2015 nach einem Wahldebakel an die Parteispitze, 2020 wurde man zur größten Oppositionspartei. Ab heute übernimmt Karl Mahrer als geschäftsführender Parteichef. Der 66-Jährige ist Polit-Quereinsteiger.
Seine erste Karriere als Polizist hatte ihn bis zur Funktion des Landespolizeivizepräsidenten gebracht, ehe er 2017 für die ÖVP in den Nationalratswahlkampf zog. Heute ist er ÖVP-Sicherheitssprecher im Nationalrat.
In dieser Funktion forderte er eine Videoüberwachung für den Karlsplatz oder geißelte angesichts von Silvester-Krawallen in Favoriten die Integrationspolitik der Stadtregierung. Bei Asyl und Abschiebungen trug er den Law&Order-Kurs der türkisen Parteispitze mit.
Nach der Wien-Wahl war Mahrer sowohl als Stadtrat im Falle einer türkisen Regierungsbeteiligung als auch als nicht amtsführender Stadtrat im Gespräch.
Wer wird Wiener Parteichef?
Heute am Abend wird Mahrer von Präsidium und Landesvorstand bestellt. Dauerhaft wird er nicht an der Spitze bleiben.
Wer könnte Blümel nachfolgen? Für manche gilt Alexander Biach als heißer Kandidat. Er ist ein enger Vertrauter von Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck und wäre ein Signal in Richtung SPÖ. Biach bringt Expertise in den Bereichen Wirtschaft, Verkehr und Gesundheit mit und war Chef des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger.
Geheimtipps: Der machtaffine City-Bezirkschef Markus Figl. Die einstige Zukunftshoffnung Veronika Mickel-Göttfert aus der Josefstadt. Erzkonservativ, umstritten – aber mit Machtbasis: Gudrun Kugler.
Immer wieder genannt wird auch Nico Marchetti, liberal gesinnter Nationalrat und früherer JVP-Landeschef.
Bis die Entscheidung fällt, wird es dauern. Ein Landesparteitag in Pandemiezeiten sei schwierig, heißt es.