Chronik/Welt

Mega-Schiffstunnel ermöglicht eine Kreuzfahrt durch den Berg

Die gute Nachricht vorweg: Die „Ever Given“ wird nie durch das derzeit prestigeträchtigste Bauprojekt der internationalen Schifffahrt schippern. Der 58,8 Meter breite Pannen-Frachter, der es zuletzt durch die Blockade des Suezkanals weltweit in die Schlagzeilen geschafft hat, ist schlicht zu groß für den Stad-Schiffstunnel an der Westküste Norwegens.

Beachtlich und einmalig ist das Bauvorhaben rund um den 36 Meter breiten, 49 Meter hohen und 1,7 Kilometer langen Tunnel, der weltweit erste dieser Größenordnung, dennoch. Denn er erlaubt Passagier- und sogar mittleren Frachtschiffen die Durchfahrt. Die Zeitersparnis von mehreren Stunden ist nicht der einzige Grund für das 330 Millionen Euro schwere Infrastrukturprojekt, das nun von der norwegischen Regierung abgesegnet und freigegeben wurde.

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Die Hustadvika-Gewässer zählen zu den gefährlichsten Seegebieten im Nordmeer. Schon die Wikinger, nicht gerade das ängstlichste Volk der Weltgeschichte, sollen die berüchtigten Stellen mit ihren Felsen und Untiefen entlang der norwegischen Westküste gemieden haben.

Aber auch moderne Schiffe kleinerer und mittlerer Größe gerieten an Ort und Stelle immer wieder in Seenot. In den jüngsten 75 Jahren kamen auf der Route, wo pro Jahr gut 100 Sturm-Tage gezählt werden, 46 Schiffe als Wrack zum Erliegen. 33 Menschen verloren dabei ihr Leben.

Statt um die Halbinsel Stadlandet soll der neue Seeweg in milderen Gewässern durch das Land führen. Dem Projekt im Weg steht derzeit noch ein rund 300 Meter hohes Küstenmassiv. Um es passierbar zu machen, muss nicht nur jede Menge Schotter um Milliarden norwegischer Kronen bewegt werden, sondern auch 7,5 Millionen Tonnen Felsgestein. Die Baufirmen werden dabei unbekanntes Terrain betreten. Die Gesamthöhe von 49 Metern lässt sich mit einem derzeit üblichen Tunnelbohrer nicht in einem Arbeitsprozess schaffen.

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Ambitioniert ist auch der Zeitplan. Spätestens Anfang 2022 soll der Bau beginnen, nur vier Jahre später ist die Einweihung geplant. Damit während der Bauphase kein Wasser eindringt, werden sogenannte „Schwellen“ an beiden Tunnelenden errichtet.

Weichen müssen für das Megaprojekt neben einigen Bootsanlagen und Scheunen auch vier Wohnhäuser an der Küste. Klagen der Betroffenen sind kaum zu vernehmen. Ein Mann, der sein Haus verliert, sieht den Bau positiv. Endlich investiere die Regierung auch in die Küste, nicht nur in die Hauptstadt Oslo, wird er im norwegischen Rundfunk NRK zitiert.

Ökonomie vs. Ökologie

Der Widerstand hält sich generell in Grenzen. „Wir haben in Norwegen viele Aktivitäten von Umweltschützern bei allen möglichen Vorhaben, aber gegen den Stad-Tunnel gibt es bisher keine Proteste“, sagt der Meeresbiologe Alv Arne Lyse.

Statt ökologischer Kritik gibt es ökonomische Bedenken. Weil unklar ist, wer den Tunnel überhaupt benutzen wird. So erklärte erst im Dezember die Reederei Hurtigruten, Anbieter der gleichnamigen Postschiffreisen zu den Fjorden, den Tunnel nicht zu verwenden. Die großen Expeditionsschiffe hätten kaum Probleme auf der herkömmlichen Route.