Acht tödliche Attacken: Rumänien hat eine Bärenplage
Von Michael Hammerl
Man könnte gar von einem Problembären-Problem sprechen: Derzeit ist es wahrscheinlicher, in Rumänien von einem Braunbären getötet zu werden als weltweit von einem Hai. Laut rumänischen Medienberichten gab es 2019 bereits acht tödliche Bärenattacken (mehr dazu hier) – alle in der historischen Region Siebenbürgen, auch bekannt als Transsilvanien. So gefährlich waren Haie zuletzt 2013 (zehn Tote).
Längst hat der Streit begonnen, wer dafür verantwortlich ist. Rumäniens Jäger sind sich einig: Seit die Trophäenjagd auf Braunbären 2016 verboten worden sei, wachse die Bärenpopulation unentwegt. Es brauche wieder eine Abschussquote.
In der Gemeinde Neaua sei die Lage besonders kritisch: „Wohin ich auch gehe, die Menschen erzählen mir, dass es zu viele Bären gibt, dass sie keine Ernte mehr einfahren. Die Menschen sind gezwungen ihre Felder und ihr Land zu vernachlässigen – sie haben Angst die Dörfer zu verlassen“, sagte Jagdaufseher Karoly Pal Ende November der BBC.
"Bären bleiben scheu"
Der rumänische Braunbären-Experte Csaba Domokos von der Naturschutz-NGO Milvus Group widerspricht im KURIER den Jägern: „Es gab keine zuverlässigen Zahlen zu Rumäniens Bärenpopulation, bevor das Jagen verboten wurde, und es gibt sie auch jetzt nicht.“
In Rumänien sollen etwa 6.000 Braunbären leben. In Europa weist nur die Slowakei eine höhere Bärendichte auf. Doch nicht nur Berichte über zunehmende Bärenattacken werden häufiger. Bären stoßen laut Medien auch immer öfter mit Autos zusammen.
„Menschen müssen seit Kurzem die Notrufnummer wählen, wenn sie einen Bären angefahren haben. Mehr Fotos gehen an Medien, Jäger instrumentalisieren das Thema“, behauptet Domokos. Die rumänische Regierung denkt bereits nach, die saisonale Bärenjagd wieder zu erlauben. Und das, obwohl der Braunbär in Rumänien auf der Liste der geschützten Tiere steht.
Unter der Annahme, dass die Anzahl der Tiere nicht gestiegen ist – welche Erklärung gibt es dann für die Zunahme der Zwischenfälle? Zum Vergleich: Zwischen 2000 und 2015 gab es „nur“ elf Bären-Todesopfer in Rumänien. Seit 2016 soll sich laut Jägern die Zahl der Attacken verdoppelt haben.
Werden die Tiere weniger scheu? Domokos verneint: „Wir überwachen eine gewisse Anzahl von Bären seit dem Jagdverbot 2016 über GPS-Senderhalsbänder, die sie alle 60 Minuten orten. Aus unseren Daten kann ich nicht ablesen, dass sich diese Bären anders oder seltsam verhalten. Sie meiden Leute noch immer, so gut sie können.“
Abholzung wohl kein größeres Problem
Auch die Abholzung von Urwäldern hat offenbar keinen signifikanten Einfluss auf das Verhalten der Tiere. Zwei Drittel des europäischen Urwalds liegt in Rumänien, umgerechnet etwa 200.000 Hektar. In den vergangenen zwei Jahrzehnten soll Urwald im Ausmaß des Burgenlandes abgeholzt worden sein. Für Bären offenbar kein Problem: „Die Urwald-Abholzung vergrößert ihren Lebensraum eher. In vom Menschen gepflegten Wäldern finden die Bären mehr Essen und besseren Unterschlupf“, meint Domokos.
Illegale Rodung ist ein akutes Thema in Rumänien, wo Probleme mit der sogenannten „Holzmafia“ – die Urwald abholzt und die Ware an internationale Konzerne weiterverkauft – an der Tagesordnung stehen. Im Herbst soll sie zwei Förster ermordet haben. An den Bärenattacken ist die Mafia aber eher nicht schuld.
Experte ist ratlos
Domokos bejaht jedenfalls, dass sich der rumänische Braunbär mittlerweile wieder in Gebieten aufhält, in denen er länger nicht heimisch war. Das könnte daran liegen, dass neu gebaute Straßen und Gebäude die Habitate der Bären verändern. Domokos meint, die Bevölkerung könne damit nicht allerorts umgehen: „Ich denke, dass Informationskampagnen helfen würden.“
Bären können zwar bis zu 40 Kilometer pro Tag zurücklegen, doch dass sie in vormals bärenfreie Gebiete vordringen, spricht auch für eine Zunahme der Population – und die Argumente der Jäger. Domokos ist ratlos: „Um ehrlich zu sein: Ich habe keine Idee, warum es heuer so viele tödliche Attacken gegeben hat.“