Chronik/Österreich

Österreich: Groß angelegte Abschiebungs-Aktion läuft

In seiner Antrittsrede hatte Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) angekündigt, im großen Stil für Abschiebungen sorgen zu wollen. Während in Frankreich nun per höchstrichterlichem Entscheid die Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt wurden, passiert in Österreich derzeit das genaue Gegenteil. Im großen Stil wurden offenbar in den vergangenen Tagen Asylwerber, deren Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen sind, von der Polizei festgenommen.

In sozialen Medien und hinter vorgehaltener Hand ist von angeblich bis zu 400 Festnahmeanträgen alleine gegen diese Bevölkerungsgruppe die Rede. Das wäre die bisher größte Abschiebungswelle, die es in Österreich jemals gegeben hat.

Mehrere vom KURIER befragte NGOs bestätigen, dass derzeit vor allem zahlreiche Afghanen von Mitarbeitern des Bundesasylamts (BFA) abgeführt werden. Laut „Connect Mödling“ gab es sogar zu Ostern Razzien in Mödling (Niederösterreich). In Oberösterreich wurde am Mittwoch ein Afghane sogar aus einer Berufsschule geholt und abgeführt. In Graz ist von mehreren Personen – vor allem syrische Familien, auch mit Kindern – die Rede.

Innenministeriumssprecher Alexander Marakovits bestreitet, dass es überhaupt eine Aktion „scharf“ gibt. Vor einigen Wochen hatte Kickl allerdings eine Steigerung bei den Abschiebeflügen angekündigt.

Am gestrigen Donnerstag startete ein Abschiebeflug in den Kosovo, rund um den 20. April sollen zahlreiche Afrikaner nach Nigeria gebracht werden. Wie eine hohe Zahl von Afghanen abgeschoben werden könnte, ist unklar. Bisher konnte Österreich nur auf Restplätze in bewachten schwedischen Charter-Maschinen zurückgreifen, wenn Flüge nach Kabul geplant waren. Meist gab es in diesen Fällen aber nur rund 20 bis 30 Einzelplätze. Am Montag soll KURIER-Informationen zufolge ein weiterer Abschiebeflug nach Kabul starten. Kickl sprach zuletzt von einer Ausweitung der Flüge.

45.700 Afghanen

Insgesamt leben in Österreich laut Statistik Austria rund 45.700 Afghanen. Die Zahl der Asylanträge ist mittlerweile auf einem normalen Niveau wie vor der Flüchtlingswelle – knapp 3700 Anträge gab es im Vorjahr, 2015 waren es noch 25.600 gewesen. Etwas mehr als die Hälfte davon werden derzeit abgewiesen. Nur Personen aus Syrien, Iran und Somalia haben höhere Chancen auf Gewährung des Asyls als Afghanen.

Auf Facebook kursieren jedenfalls aktuell Warnungen an die Asylwerber, viel belebte Plätze mit Polizeikontrollen (wie den Wiener Praterstern oder den Westbahnhof) zu meiden, um einer – rechtmäßigen – Festnahme zu entgehen.

Die Abschiebungen nach Afghanistan sind in Europa umstritten, die Sicherheitslage wird unterschiedlich bewertet. Das Außenministerium in Wien schreibt in den Reiseinformationen zu Afghanistan: „Reisewarnung (Sicherheitsstufe 6) für das ganze Land!  Vor allen Reisen wird gewarnt! Im ganzen Land besteht das Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen und kriminellen Übergriffen einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle. Den in Afghanistan lebenden Auslandsösterreichern sowie Österreichern, die sich aus anderen Gründen in Afghanistan aufhalten, wird dringend angeraten das Land zu verlassen.“

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Österreich schiebt derzeit nur nach Kabul ab und nimmt den Standpunkt ein, dass die Lage dort ausreichend sicher sei. Im Vorjahr gab es jedenfalls rund 6900 zwangsweise Außerlandesbringungen, so viele wie noch nie zuvor. Dafür wurden 83 Charterflüge benötigt, da nur ein Teil davon auf dem Flugweg abgeschoben wurde.

Die meisten Asylanträge 2017 stammten von Syrern, gefolgt von Afghanen, Pakistani, Iraker und Nigerianer. Nigeria nahm allerdings den ersten Platz bei den Außerlandesbringungen ein, Afghanistan ist vierter. Das könnte sich heuer ändern.

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Betroffener: „Rechne damit, dass  die Polizei zu mir kommt“

Angst ist Alis (Name geändert) ständiger Begleiter. Wenn er einen Polizisten sieht oder in seiner Wohnung. „Es ist sehr schwer“, sagt er. Schon einmal kam die Fremdenpolizei um drei Uhr Früh in seine WG. Sie suchten einen Freund. Ali schlief in seinem Bett, als plötzlich Beamte in seinem Zimmer standen. Das prägt. „Das kann mir nun auch passieren“, sagt er leise.

Seit drei Jahren lebt der 19-jährige Afghane in NÖ.  Geflohen war er aus dem Iran. Ein Familienmitglied war dort umgebracht worden. Afghanistan hat seine Familie verlassen, als Ali sechs Jahre alt war. Der 19-Jährige hat sich integriert. „Ich liebe Österreich“, sagt er. Im Herbst begann er an einer HTL die Ausbildung zum Innenarchitekten. Doch Ali hat Ende März in 2. Instanz einen negativen Asylbescheid erhalten – gegen den er Einspruch einlegen will.  „Ich kann nicht in Afghanistan leben, ich habe dort niemanden.“ Untertauchen will er nicht. „Ich kann nirgend wo hin“, erklärt er.

Angst begleitet auch die Unterstützer, die sich  um die jungen Flüchtlinge bemühen. Angst, dass die Polizei an die Tür klopft und Angst, dass ihren Schützlingen etwas passiert. Einige sind sogar so weit, dass sie den Flüchtlingen helfen, sich zu verstecken. Eine Unterstützerin  erklärt gegenüber dem KURIER, dass sie sich vielfach an die Situation im Zweiten Weltkrieg erinnert fühlt. „Viele schauen weg, andere sind verhetzt und dann gibt es die verzweifelten Helfer“, sagt sie. Am Praterstern empfinde sie die Polizisten mittlerweile bedrohlicher, als die Gruppen junger Migranten.

„Meine Familie, unbescholtene Bürger, fragt sich, was sie tun soll, wenn die Polizei kommt“, erzählt Peter M., der seinen echten Namen nicht preis geben will. Zu groß ist seine Sorge ins Visier der Behörden zu geraten. Sein Patenkind ist abgetaucht, als der Afghane  den negativen Bescheid in 2. Instanz erhielt. Wohin, weiß M. nicht. Fayez (Name geändert) fürchtet um sein Leben, denn er  ist vor einem Jahr zum christlichen Glauben übergetreten und am Ostersonntag  getauft worden. In seinem Verfahren war das unerheblich. Zwei Mal suchten die Behörden schon nach ihm. Zuletzt durchsuchte die Polizei am Ostersamstag seine WG und seine ehemalige Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge. „Ich rechne damit, dass bald auch bei mir die Polizei steht“, sagt M.