85.000 Delikte: Gewalt auf dem laut Kriminalstatistik auf dem Vormarsch
Wurde vergangenes Jahr ein unbedachtes „Ich bring’ dich um“ unter pubertierenden Jugendlichen via WhatsApp verschickt und von besorgten Lehrern oder Eltern zur Anzeige gebracht, so flossen diese oft unbedacht gewählten Worte in die Kriminalstatistik ein. Und sorgten – zumindest anteilsmäßig – dafür, dass die Jugendkriminalität 2023 fast doppelt so hoch war wie noch vor zehn Jahren (siehe unten).
„Mit der Digitalisierung unserer Gesellschaft nehmen wir eine Virtualisierung aller Deliktsbereiche wahr“, sagte Franz Ruf, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, am Montag bei der Präsentation der Kriminalstatistik für das abgelaufene Jahr.
Gewaltdelikte wurden im Vorjahr 85.374-mal angezeigt. Ein Plus von 8,3 Prozent. „Gefährliche Drohungen oder Erpressungen, die früher physisch begangen worden sind, finden jetzt online statt“, erklärte der Direktor des Bundeskriminalamts (BK) Andreas Holzer.
Dass Gewalt bzw. deren Anstieg sich aber nicht auf den digitalen Raum beschränkt, zeigt die jüngste Debatte rund um ein Waffenverbot im öffentlichen Raum. Davon betroffen sollen vor allem spezielle Messer sein. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) kündigte diesbezüglich am Montag konkrete Vorschläge bis Ende Juni an.
Schlepperei halbiert
Im langjährigen Vergleich erkennt man grundsätzlich, dass die Kriminalität nun wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor Corona ist. Über alle Verbrechensformen hinweg gab es 2023 um acht Prozent mehr Anzeigen als im Vorjahr. Das entspricht in Summe 528.010 Delikten oder auch 1.447 Anzeigen pro Tag. „Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. 2023 hat die Polizei auch um 8,2 Prozent mehr Fälle aufgeklärt“, betonte Karner. Mehr als jeder zweite Fall wurde damit aufgeklärt.
Der Innenminister, der in der Vergangenheit wiederholt auf Terrorismus, Schlepperei und Cybercrime als besondere Gefahren für Österreich hingewiesen hat, betonte den deutlichen Rückgang bei der Schlepperei: Mit 4.704 Anzeigen wegen Schlepperei halbierte sich die Zahl 2023 im Vergleich zu den 9.186 Anzeigen im Jahr 2022 beinahe.
Dieser rückläufige Trend hält bisher auch 2024 an und ist laut Innenministerium (BMI) neben verstärken Kontrollen auf eine länderübergreifende Zusammenarbeit gegen die Schlepperkriminalität zurückzuführen.
Im Jahr 2013 wurden rund 4.800 Zehn- bis 14-Jährige gemeldet, 2023 knapp 10.000
Jugendkriminalität. Vergewaltigungen, Messerstechereien, schwere Körperverletzungen – Straftaten von Jugendlichen dominierten zuletzt wieder die Schlagzeilen. Geht es nach der Kriminalstatistik des Innenministeriums (BMI), ist die Jugendkriminalität im Vergleich zu den vergangenen Jahren nahezu explodiert.
Wurden im Jahr 2013 noch 4.800 Zehn- bis 14-Jährige wegen Straftaten angezeigt, waren es 2023 schon fast 10.000. Auch die Zahl der wegen Straftaten angezeigten 14- bis 18-Jährigen erhöhte sich von 24.800 im Jahr 2013 auf jeweils rund 34.000 in den vergangenen zwei Jahren. „Es ist selbstverständlich erschütternd, wenn schwere Fälle von Jugendkriminalität passieren. Man muss diese Zahlen aber im Kontext betrachten“, sagt Christine Winkler-Kirchberger, Leiterin der Kinder- und Jugendanwaltschaft Oberösterreich.
Mehr Anzeigen deuten nicht zwangsläufig auf einen Anstieg der Jugendkriminalität hin. „Eine Anzeige führt nicht immer zu einem Strafverfahren, und ein Strafverfahren endet nicht automatisch in einer Verurteilung“, sagt Winkler-Kirchberger. Von 2013 bis 2022 ist die Zahl der rechtskräftigen Verurteilungen von Jugendlichen bis 18 von 2.248 auf 1.679 gesunken. Die Statistik des BMI zeigt demnach nur, wie viele Delikte gemeldet werden. „Dazu kommt, dass die Anzeigebereitschaft in der Gesellschaft steigt“, so die Expertin der Kinder- und Jugendanwaltschaft.
Neue Phänomene
Während früher typische Formen der Jugendkriminalität wie Sachbeschädigung rückläufig sind, kristallisieren sich neue Phänomene heraus. Ein Problem ist etwa die pornografische Darstellung Minderjähriger, wenn sich Jugendliche Nacktbilder zuschicken und diese dann verbreitet werden. In der Debatte rund um Jugendkriminalität brachte Karner einmal mehr eine Senkung der Strafmündigkeit ins Spiel. Konkrete Vorschläge dazu sowie ein derzeit diskutiertes flächendeckendes Waffenverbot sollen bis spätestens Ende Juni präsentiert werden.
Kinder- und Jugendhilfseinrichtungen sprechen sich hingegen für mehr Geld zur Prävention von Jugendkriminalität statt einer Senkung des Strafmündigkeitsalters aus. „An erster Stelle sollte die Wiedereingliederung in die Gesellschaft stehen“, sagt Winkler-Kirchberger.
Die„Big 5“
Besonders auf die Probe gestellt wird die Exekutive in fünf Bereichen, wie ein Blick in die Statistik zeigt. Dabei handelt es sich um jene Deliktsfelder, auf die der Großteil der Gesamtkriminalität zurückzuführen ist.
2023 waren das die Eigentumskriminalität (162.242 Delikte), die Wirtschaftskriminalität (103.330 Delikte), die Gewaltkriminalität (85.374 Delikte), die Internetkriminalität (65.864 Delikte) sowie die Organisierte Kriminalität (40.333 Delikte). In Sachen Eigentumskriminalität verwies BK-Direktor Holzer auf reisende Tätergruppen, „die nach der Pandemie zurückgekehrt sind und noch professioneller vorgehen“. Er sprach in diesem Zusammenhang von etwa „70 Fällen pro Tag“.
Zugenommen hat 2023 aber auch die Internetkriminalität auf 65.864 angezeigte Delikte. Etwa 12,5 Prozent aller Delikte geschehen somit mittlerweile online. Vergleichsweise neue Kriminalitätsformen, wie der Diebstahl von Bankomatkarten, die das kontaktlose Bezahlen ganz ohne Geheimzahl ermöglichen, sind laut Innenminister Karner so ein Phänomen.
Maßnahmenpaket
Als Antwort auf die sogenannten großen Fünf präsentierte Karner ein aus ebenfalls fünf Punkten bestehendes Maßnahmenpaket. Der erste Punkt betrifft die konsequente Umsetzung der Kriminaldienstreform mit dem Schwerpunkt Cybercrime. Bei Punkt zwei wolle man dafür sorgen, dass Schlepper „weiter einen Bogen um Österreich machen“.
Der dritte Punkt betrifft Jugendbanden. Außerdem will man gegen Einbrecher in Zukunft verstärkt mit Schwerpunkteinsätzen vorgehen und die Ausländerkriminalität – etwa durch konsequente Abschiebungen – eindämmen.