Katerstimmung nach Kirtag-Absagen: "Tradition muss weiterleben"
Monika Hirsch war 17 Jahre jung, als sie ins Schaustellergeschäft einstieg. „Sonst hätte ich meinen Mann kaum zu Gesicht bekommen“, schildert die Unternehmerin aus dem mittelburgenländischen Deutschkreutz. Wolfgang Hirsch hatte das Geschäft selbst von seinem Vater übernommen und war – vor allem an den Wochenenden – immer unterwegs.
43 Jahre lief der Betrieb im wahrsten Sinne des Wortes rund, doch die Pandemie habe die Branche ausgebremst. „Eine Veranstaltung nach der anderen wird abgesagt.“ Lediglich im Nachbarort Nikitsch habe es im August einen Kirtag im kleinen Rahmen gegeben, bei dem Familie Hirsch mit ihren Fahrgeschäften Kinderherzen höherschlagen lassen durfte.
Ausgebremst
Jetzt sind Ringelspiel & Co in Hallen geparkt. Wann sie wieder zum Einsatz kommen, ist ungewiss. Nicht nur im Burgenland sei das so. Auch der Kirtag in Villach oder der Wiesenmarkt in Bleiburg seien „der Pandemie zum Opfer gefallen“. „Trotz der Absagen bleiben die Fixkosten. Bei etlichen Kollegen in ganz Österreich geht es ums Überleben“, sagt Hirsch. Sie habe zwar im Vorjahr Entschädigungen erhalten, heuer sei aber kaum Unterstützung gekommen. Die Chance, die ungenutzten Fahrgeschäfte zu verkaufen, liege bei null. „Wer würde die jetzt erwerben wollen?“
Seit 1978 ist die 60-Jährige nachmittags beim Kinderkarussell und nächtens beim Autodrom an der Kassa gesessen. „Es ist eine Freude, die leuchtenden Kinderaugen zu sehen, wenn sich das Ringelspiel in Bewegung setzt.“ Das Geschäft mit dem Fahrgeschäft erfordere auch viel Fingerspitzengefühl, vor allem zu fortgeschrittener Stunde, wenn der eine oder andere Kirtags- oder Festbesucher schon tief ins Glas geschaut hat. „Wir hatten eine gute Zeit. Aber für jene, die in den Betrieb hunderttausende Euro investiert haben, wird es jetzt aufgrund der Absagen und der Unsicherheit eng.“ Dabei, so Hirsch, würde man ohnehin alle Hygienemaßnahmen umsetzen und auf das Abstandhalten und Desinfizieren der Geräte achten.
Etwa 50 Schausteller mit entsprechender Lizenz gibt es im Burgenland, etwa 400 sind es österreichweit. Während die Regelungen für Wochen- und Monatsmärkte klar definiert seien, gebe es etwa bei Kirtagen eine „großen rechtlichen Spielraum“, heißt es von der Wirtschaftskammer.
400 Schausteller gibt es etwa in Österreich, im Burgenland gibt es 50 Lizenzen.Bundesweit gibt es mehr als 2.000 Marktfahrer
Zur Abhaltung einer marktähnlichen Veranstaltung („Quasimarkt“) aus einem besonderen Anlass heraus (z. B. ein Kirtag) ist von der örtlich zuständigen Gemeinde eine behördliche Bewilligung für den jeweiligen Veranstalter notwendig
Risiko und Aufwand zu hoch
Die Abhaltung einer marktähnlichen Veranstaltung, dem sogenannten „Quasimarkt“ – zu dem unter anderem der Kirtag sowie andere Volksfeste zählen – bedarf einer behördlichen Bewilligung der zuständigen Gemeinde. Sind neben den Marktständen auch Schausteller oder Gastronomen vor Ort, muss das Gelände eingezäunt werden.
Zutritt ist nur mittels 3-G-Regel möglich, was entsprechende Kontrollen erforderlich mache. Manchmal sei eine Einzäunung aber auch nicht möglich, weil die Anrainer damit nicht einverstanden wären.Den meisten Veranstaltern seien das Risiko sowie der Aufwand zu groß. Jüngstes Beispiel sei der Kirtag in Loretto. Aber auch das Golser Volksfest und der Vergnügungspark bei der Oberwarter Messe Inform konnten aus den genannten Gründen nicht über die Bühne gehen.
"Wenige Möglichkeiten"
Laut Franz Perner, Geschäftsführer der Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft in der Wirtschaftskammer Burgenland, gehe es den Schaustellern ob der Entwicklung „sehr, sehr schlecht“. „Es gibt ganz wenige Möglichkeiten, aufzustellen, alle großen Veranstaltungen sind gefallen“, so Perner. Die Hoffnung auf eine Lockerung der Verordnung ist dahin. Am Donnerstag wurden die bestehenden Regeln verlängert. Fast alle der 250 bis 500 Veranstaltungen, wie Kirtage, die jedes Jahr im Burgenland stattfinden, wurden abgesagt.
Verzweiflung macht sich auch bei Familie Gager aus Deutschkreutz breit. Sie haben die gleichen Ahnen wie Familie Hirsch und sind seit mehreren Generationen in der Branche tätig. „Wir haben heute erst den zweiten Kirtag in diesem Jahr, wo wir mit unserem Autodrom und den Schaukeln stehen“, sagt Verena Gager. Die 59-Jährige ist seit 1988 im Unternehmen. „Uns ist das Geschäft schon die zweite Saison weggebrochen.“
Verständnis für die „vielen Vorschriften“ habe sie keine: „Die Nachtgastronomie und Kulturveranstaltungen im Freien dürfen stattfinden, aber der Kirtag nicht.“
Sowohl Gager als auch Hirsch sind Familienbetriebe, da wolle man jetzt zusammenhalten, damit sich das Karussell weiterdreht, sagt Monika Hirsch: „Der Kirtag, das ist eine jahrhundertealte Tradition, die muss einfach weiterleben.“