Chronik/Österreich

Ungelöster Vermisstenfall: Der Tag, an dem Elisabeth verschwindet

Es ist Nikolaustag, in Wien schneit es. Die 32-jährige Architektin Elisabeth Gaube macht sich am Nachmittag auf den Weg zum Haus ihres Ehemanns Heinrich Gaube im 22. Bezirk in der Nähe der Alten Donau. Die beiden leben getrennt, vor Kurzem ist sie ausgezogen. Sie will an diesem Dienstag noch ein paar Sachen holen. Mit dabei hat sie die gemeinsame, zweijährige Tochter Katharina.

Von da an gehen die Schilderungen auseinander. Ihr Mann sagt: Sie, passionierte Ruderin, sei noch spontan zum Sport gegangen, am nächsten Tag in Begleitung einer unbekannten Person wiedergekommen, um ihre Sache zu holen, und dann in einem dunklen Kombi weggefahren.

Die Staatsanwaltschaft Wien wird später sagen: Im Ruderklub habe sie niemand gesehen, und auch der Unbekannte im dunklen Kombi habe sich nicht belegen lassen.

Fakt ist: In der Nacht auf den 7. Dezember gehen ein paar SMS von Elisabeth Gaubes Handy an ihren Mann. Sie handeln vom Bedauern über eine gescheiterte Beziehung. Und von nicht eingehaltenen Terminen in Bezug auf die Tochter. Danach gibt es nie wieder ein Lebenszeichen von Elisabeth Gaube. Sie verschwindet spurlos.

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Im Wasser

Der Vermisstenfall stellt Ermittler auch 19 Jahre danach vor ein Rätsel: Was ist mit der jungen Frau passiert?

Zunächst gehen Familie, Freunde und die Polizei von Selbstmord aus. Vor ihrem Verschwinden ging es ihr schlecht, sie war abgemagert und hat sich die langen, dunklen Haare abgeschnitten. Und bereits ein Jahr zuvor hatte sie ihren Eltern gegenüber von Selbstmord gesprochen, und davon, „ins Wasser zu gehen“. Der Verdacht lautet, sie habe sich in der Alten Donau oder dem Donaustrom das Leben genommen. Doch wo ist dann ihre Leiche?

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„Durch den biologischen Abbauprozess bilden sich sogenannte Leichengase, die für Auftrieb sorgen“, sagt Feuerwehrtaucher Peter Kroiss. Heißt: Ein toter Körper bleibt nicht für immer unter Wasser. Wie lange der Prozess dauert, hänge von mehreren Faktoren, wie der Außentemperatur, ab.

In der Alten Donau sei die Suche prinzipiell leichter, weil das Wasser steht und maximal fünf Meter tief ist. Im großen Donaustrom hingegen aufgrund der Strömung fast unmöglich. Allerdings bildet hier das Donaukraft Freudenau am Rande von Wien eine künstliche Barriere.

Verdächtiger Einkauf

Und so gerät Ehemann Heinrich Gaube ins Visier der Ermittler. „Es hat sehr viele Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten gegeben“, sagt Nina Bussek, Mediensprecherin der Staatsanwaltschaft Wien. Konkret meint sie: Am Tag nach dem Verschwinden kaufte er im Baumarkt Beton und Baufolie. Wiederum zwei Tage später borgte er sich einen Kleintransporter aus. Bei einer Hausdurchsuchung entdeckte die Spurensicherung einen Blutfleck in der Küche. Und schließlich zeigte die Rufdatenrückerfassung, dass das Handy von Elisabeth Gaube in den drei Tagen nach dem Verschwinden ausschließlich in der Gegend von Heinrich Gaubes Wohnung eingeloggt war. „Insgesamt hat sich so ein dringender Tatverdacht ergeben“, sagt Bussek.

Fall wird zu Cold Case

Trotzdem werden die Ermittlungen gegen ihn zwei Mal eingestellt. Bis die Cold-Case-Abteilung des Bundeskriminalamts den Fall 2020 neu aufrollt und herausfindet, dass der Blutfleck tatsächlich die DNA von Elisabeth und Heinrich Gaube enthält. Im Mai 2022 beginnt am Wiener Landesgericht der Mordprozess gegen den damals 66-jährigen Ex-Mann, der sich in der Zwischenzeit scheiden ließ.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Heinrich Gaube seine Ex-Frau noch am Nachmittag des 6. Dezember getötet und an einem unbekannten Ort abgelegt habe. Die SMS in der Nacht seien von ihm verfasst worden, um eine falsche Fährte zu legen. Das mögliche Motiv: ein Streit um die gemeinsame Tochter und um das Kinderbetreuungsgeld.

Der Staatsanwaltschaft fehlen handfeste Beweise: keine Spuren im Kleintransporter, erfolglose Grabungen, keine Mordwaffe, keine Leiche. Auch der Gerichtspsychiater Peter Hofmann stellt keine groben Auffälligkeiten fest.

Außerdem spielt Heinrich Gaube eine Kontobewegung in die Hände. Am 6. Dezember, um 17.43 Uhr, behob er Geld im nahe gelegenen Donauzentrum. „Wie soll ich in so einer kurzen Zeit, wo die Tochter auch dabei ist, eine menschliche Leiche so verschwinden lassen, dass man sie bis heute nicht findet? Das ist so was von grotesk“, sagt er. Nach vier Verhandlungstagen wird er von den Geschworenen einstimmig freigesprochen.

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Heinrich Gaube streitet das bis heute vehement ab. Und sagt: „Man darf nicht aus einem Vermisstenfall mit Gewalt ein Mordfall machen.“

Elisabeth Gaubes Motorrad sei ihr im Stand auf die Hand gefallen, er habe sie verarztet – daher der Blutfleck in der Küche. Er selbst hatte die Ermittler im Vorfeld der Hausdurchsuchung aufmerksam gemacht.

Den Beton habe er gekauft, weil er einen Mauerdurchbruch in der Wohnung gemacht habe. Mit dem Kleintransporter habe er Gerümpel zum Mistplatz gebracht. Und die auffälligen Handydaten? Die Sendemasten würden ein großes Gebiet abdecken, teilweise auch die Donauufer.

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Für immer verschwunden?

Was bleibt, ist die Frage, was mit Elisabeth Gaube passiert ist. Einen Selbstmord schließt ihre Familie heute aus. „Sie war mir absoluter Sicherheit nicht suizidgefährdet“, sagt ihr Vater Ulrich Lindinger. Sie hätte ihr Kind niemals alleine gelassen. Auch an ein Untertauchen glaubt er nicht. Ihr Pass blieb zurück, sie hat kein Geld mehr vom Konto behoben. Und Fahndungen nach der unbekannten Person im dunklen Kombi blieben laut Staatsanwaltschaft erfolglos.

Stattdessen zweifelt ihr Vater am Urteil der Geschworenen. Aber: „Wenn nicht zufällig ein Hund irgendwo in der Lobau oder in den Donau-Auen einen Knochen hinauszieht, gibt es keine Chance, dass wir sie finden.“