Chronik/Oberösterreich

Oö. AMS-Chef: "Die nötigen Arbeitskräfte lassen sich nicht finden“

Seit 2016 führt Gerhard Straßer die Geschäfte des Arbeitsmarktservice (AMS) Oberösterreich.

KURIER: Die Omikron-Welle wird langsam brechen und damit wird sich wahrscheinlich auch die Corona-Pandemie abschwächen. Sind wir arbeitsmarktmäßig über dem Berg?

Gerhard Straßer: Wir gehen zwar jetzt in die Normalität über, aber die durch Corona verursachten Ausfälle, die es in den Unternehmen gibt, sind nach wie vor gravierend. Ansonsten haben wir in Oberösterreich eine Situation, die man als außerordentlich bezeichnen kann.

Außerordentlich positiv?

Ja. Weil wir aktuell eine bessere Situation haben als 2019. Die Beschäftigtenzahlen sind massiv gestiegen, wir haben im Bundesländervergleich des Jahres 2021 die niedrigste Arbeitslosenquote und so viele offene Stellenangebote wie noch nie. Das wird sich 2022 fortsetzen. Eine sehr erfreuliche Situation. Zu verdanken haben wir das der Tatsache, dass wir in Oberösterreich viele Industrie-, Handwerks-, Mittelbetriebe und nicht nur Dienstleistungsbetriebe haben. Es stellt sich jedoch das Problem, dass in manchen Branchen Personal nur sehr, sehr schwer zu finden ist.

Welche Rolle spielte die Kurzarbeit?

Wir hatten anteilsmäßig die meiste Kurzarbeit ganz Österreichs. Diese hat uns total gut durch die Krise getragen. Die Menschen sind nicht arbeitslos geworden, wodurch das Konsumverhalten hoch blieb. Aber jetzt ist es so, dass man jene in Kurzarbeit durchaus woanders brauchen könnte. Es ist ein Spagat. Ich gehe davon aus, dass in einem Monat der Betrieb wieder ziemlich normal laufen wird. Die Menschen müssen deshalb jetzt aus der Kurzarbeit. Wenn es Einzelne gibt, die weiterhin ein Problem haben, muss man sich das im Detail anschauen.

Laut einer Prognose des Landes brauchen wir bis 2030 um 129.000 Arbeitskräfte mehr in Oberösterreich.

So viele zusätzliche Arbeitskräfte lassen sich nicht finden.

Ist die Prognose falsch?

Nein, die Prognose kann richtig sein. Ich glaube aber, dass sie zu hoch angesetzt ist. Wächst die Wirtschaft, brauche ich zwar mehr Personal, aber es wird ja auch Rationalisierungen durch Digitalisierung und Roboterisierung geben. Wir werden im Jahr 2030 auch keine 100.000 zusätzliche Arbeitskräfte haben. Man muss daher nach Alternativen suchen und da gibt es ein paar ganz pragmatische Ansätze.

Diese wären?

Erstens: Die Menschen gesund und länger im Dienstverhältnis halten. Dabei braucht es keine Anhebung des Pensionsalters, sondern dass sie tatsächlich bis 65 arbeiten. Ab 2024 wird das Pensionsalter der Frauen schrittweise angepasst. Das wird ein wirksamer Beitrag sein. Das Zweite wäre, bei den Frauen nicht nur die Erwerbsquote zu erhöhen, sondern auch das Stundenausmaß. Wenn jede Frau zwei Stunden mehr arbeiten würde, dann sähe alles ganz anders aus. Dazu brauche ich aber bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten und in der Pflege von Eltern/Großeltern – bei der Frauen meistens die Hauptlast tragen – neue Modelle. Drittens: Menschen, die ein gesundheitliches Problem haben, sollten dennoch nach ihren Möglichkeiten eingesetzt werden. Hinzu kommen noch alle arbeitslosen Menschen, denen man den Einstieg ins Erwerbsleben ermöglichen muss; etwa durch Qualifizierung. Die Arbeitslosenquote bei Personen, die keinen Beruf erlernt haben, liegt bei

17 Prozent, ab der Lehre nur mehr bei 4 Prozent. Es gibt Förderansätze im AMS, die ich genial finde: Zum Beispiel das Arbeitserprobungsmodell. Ist sich ein Betrieb unsicher, ob es der richtige Mitarbeiter für ihn ist, dann sagen wir vom AMS: Schau ihn dir doch drei Tage an. Du brauchst ihn nicht anmelden, weil er beim AMS auf der Payroll bleibt und versichert ist.

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Wie sieht dabei die Erfolgsquote aus?

Im Jahr 2021 hatten wir 3.850 Arbeitserprobungen. 58 Prozent – fast sechs von zehn – sind davon weiterbeschäftigt worden. Das zeigt, man muss nur einmal den Fuß in der Tür haben.

Ökonom Josef Baumgartner vom WIFO hat zum Thema Arbeitskräftemangel kürzlich gesagt, dass der Zustrom aus Osteuropa nachlassen wird. Das ist für Österreich relativ heftig, arbeiten doch viele bei uns im Tourismus oder in der Pflege.

Jetzt sind wir beim nächsten Ansatz, sich den 129.000 zusätzlichen Arbeitskräften anzunähern, nämlich der Migration. Teilweise haben die Länder, aus denen wir traditionell rekrutiert haben, bereits niedrigere Arbeitslosenquoten als wir. Es stimmt also: Da werden nicht mehr viele kommen. Und wir haben etliche Firmen, die uns berichten, dass diese Menschen zurückgehen, weil der Lohnunterschied immer geringer wird, die Lebenshaltungskosten aber dort günstiger sind. Das heißt, sie haben ihren Wohlstand daheim genauso.

Dann haben wir noch die Asylanten und Asylantinnen. Diese müssten schneller integriert werden. Besteht eine hohe Anerkennungswahrscheinlichkeit, sollten sie möglichst rasch einen Deutschkurs erhalten und nicht erst, wenn ihr Verfahren abgeschlossen ist. Und dann gibt es noch das Modell der Rot-Weiß-Rot-Karte für die Länder außerhalb von EU und EWR. Sie soll eine „gesteuerte Zuwanderung“ sicherstellen; die Zahlen sind aber recht überschaubar. Aktuell gibt es große Reformbemühungen, die auch von Landesseite unterstützt werden.

Diese qualifizierten Menschen muss ich aber auch für Oberösterreich begeistern. Die haben ja die Qual der Wahl, wo sie hingehen.

Ich glaube, man muss als Standort attraktiv sein für diese Menschen. Und da gehört ein Kulturangebot, englischsprachige Schulen und Arbeit für den Partner dazu, sollte die Person die Familie mitbringen. Der wichtigste Punkt, um diese Leute aber auch langfristig zu halten, ist eine Willkommenskultur.

Die qualifizierten Zuwanderer müssen das Gefühl haben, dass wir wollen, dass sie da sind und da hat Oberösterreich durchaus Aufholbedarf.

Und trotzdem erreichen wir die 100.000 oder 129.000 Arbeitskräfte mehr bis 2030 nicht. Das heißt?

Es wird einen heftigen Wettbewerb geben unter den Branchen. Auch innerhalb der Branchen wird sich der Wettbewerb um die guten Arbeitskräfte verstärken. Niedriglohnbranchen werden dabei Probleme bekommen. Zudem werden sich jene Betriebe durchsetzen, die nicht nur mit dem Gehalt punkten, sondern wo auch das Arbeitsklima intakt ist und gute Rahmenbedingungen, wie flexible Arbeitszeitmodelle, angeboten werden. Das darf aber nicht überbordend werden. Denn ein funktionierender Wirtschaftsstandort braucht Leistungsträger.

Wenn es so viele offene Stellen geben wird, steuern wir dann einer Zukunft entgegen, in der das AMS arbeitslos wird?

Ganz im Gegenteil (lacht). Unsere Aufgabenstellung wird sich einfach ein wenig verändern.