Chronik/Niederösterreich

Justizopfer klagt Republik auf hohe Entschädigung

Franz Ambrosi hat Justizgeschichte geschrieben. Der 2007 wegen des Mordversuchs an seiner Ehefrau zu zwölf Jahren Haft verurteilte Mann aus Niederösterreich hat 711 Tage unschuldig im Gefängnis gesessen. Nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens wurde er von den Geschworenen am Landesgericht Wiener Neustadt im Mai 2012 einstimmig freigesprochen.

Wer meint, Ambrosi sei seither der glücklichste Mensch, irrt gewaltig. „Ich bin am Ende, mir wurde alles genommen“, sagt der gelernte Elektriker. Jetzt ziert sich sogar die Republik, dem 45-Jährigen Haftentschädigung auszuzahlen.

Bei einem außergerichtlichen Vergleich wurden knapp über 100.000 Euro angeboten. „Die Ansprüche sind allerdings ein Vielfaches“, schildert Ambrosis Anwältin, Karin Prutsch. Die Grazer Rechtsanwältin hat nach der Verurteilung eine Wiederaufnahme erwirkt.

Schmerzengeld

Nun fordert sie für ihren Mandanten zur Haftentschädigung zusätzlich Verdienstentgang und Schmerzengeld und hat Klage eingereicht. Der erste Verhandlungstermin ist Anfang des kommenden Jahres. „Die Finanzprokuratur will im Verfahren sogar einen Verjährungseinwand erheben. Ansprüche verjähren nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz jedoch erst drei Jahre nach dem Freispruch“, so Prutsch.

Enteignung

Ambrosi hat in der Haft tatenlos mitansehen müssen, wie er sein gesamtes Hab und Gut an seine Frau verlor. „Ich wurde ja wegen des Mordversuchs schuldig geschieden und ihr wurde alles zugesprochen. Diese Entscheidung ist aber nach dem Freispruch nicht mehr aufgehoben worden“, schildert der 45-Jährige im Gespräch mit dem KURIER.

Die 130 m² große Eigentumswohnung in Mödling ist weg, auch das gemeinsam Ersparte, einige Wertpapiere, die Möbel und vieles mehr. Der Selbsthilfe-Verein BBSV hat Ambrosi über Interventionen seinen alten Job als Betriebselektriker im Landesklinikum Mödling wieder beschafft.

Doch die 13 Jahre, die er dort zuvor Dienst versah, waren nichts mehr wert. „Ich musste einen neuen Dienstvertrag unterzeichnen und bekomme fast 400 Euro weniger“, sagt Ambrosi.

Der böse Mörder

Seit Mai ist er nicht mehr in der Lage zu arbeiten. „Ich habe Panikattacken und schlucke Medikamente wie andere Popcorn. Für viele Kollegen bin ich immer noch der böse Mörder“.

Psychisch so schwer angeschlagen, muss er sich Anfang des kommenden Jahres einer stationären Therapie unterziehen. Die Haftentschädigung braucht Ambrosi so dringend wie einen Bissen Brot. Durch das Verfahren haben sich 130.000 Euro Schulden angehäuft.

Für seine 18-jährige Tochter, die sich von ihrem Vater abgewendet hat, zahlt der 45-Jährige monatlich Hunderte Euro Alimente. „Mir bleibt nichts zum Leben. Und der Staat tritt einen noch mit Füßen“, sagt der gebrochene Mann. Ambrosi hofft nun, dass er finanziell endlich das bekommt, was ihm auch zustehe.

Stichkanäle brachten die Wende

Der Fall von Franz Ambrosi schrieb Justizgeschichte. Der heute 45-Jährige wurde Ende 2007 am Landesgericht Wiener Neustadt wegen Mordversuchs an seiner Frau zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Er soll versuchte haben seine Frau im Juni 2007 in der gemeinsamen Wohnung in Mödling mit dem Seil einer Kinderschaukel zu erdrosseln. Der Angeklagte beteuerte stets, sich nur gegen eine Messerattacke seiner wütenden Frau gewehrt zu haben.

Anwältin Karin Prutsch erreichte nach 711 Tagen Haft eine Wiederaufnahme des Verfahrens, Ambrosi wurde im Mai 2009 überraschend enthaftet. Die Grazer Juristin hatte ein brisantes Privatgutachten vorgelegt. Dieses ließ Zweifel an der Tatversion der Ehefrau aufkommen. Laut Expertise des Gutachters verliefen die Stichkanäle in Ambrosis Körper in die entgegengesetzte Richtung, als von seiner Frau geschildert.

Bei der Neuaustragung des Prozesses wurde der 45-Jährige einstimmig freigesprochen.