Wimmersdorf: 270 Schläge auf die Fußsohlen

Das Heim Wimmersdorf besteht seit 1924 und ist bis zur Schließung 1981 in Händen der Familie Stellbogen gewesen. Die gesamte Heimleitung war bei der NSDAP
Ein Kinderheim-Zögling berichtet über die Nazi-Erziehung und findet Prügel richtig.

Seine Erinnerungen an das Kinderheim in Wimmersdorf (NÖ) seien nur positiv, erzählt der ehemalige Zögling Otto M. im Gespräch mit dem KURIER. Er war die gesamte Nazi-Zeit dort untergebracht. „Das Heim, die dortige Schule, die Erziehung hat ja das aus mir gemacht, was ich heute bin“, sagt der pensionierte TV-Kameramann.

Das widerspricht nur im ersten Moment jenen Schilderungen von ehemaligen Zöglingen aus den 1960er- und 1970er-Jahren, die über brutale Erziehungsmethoden und sexuellen Missbrauch in diesem Heim erzählen (der KURIER berichtete).

Alles sei großartig gewesen, Prügel seien in der Erziehung notwendig und seine Strafen habe er verdient, erklärt M. Erschütternde Erinnerungen, die der Mann positiv sieht – im Gegensatz zu jenen ehemaligen Heimkindern, die Jahrzehnte später in Wimmersdorf (1981 geschlossen, bis zuletzt in Händen der Familie Stellbogen) ähnliche Erfahrungen gemacht haben sollen.

Wimmersdorf: 270 Schläge auf die Fußsohlen
Otto Mang, Wien, Stegersbach, Kameramann, ehemaliger Zögling Kinderheim Wimmersdorf, 1938 bis 1945.

KURIER: Sie waren von 1938 bis 1945 in Wimmersdorf?
Otto M.: Ja, ich bin mit sieben, acht Jahren dort hingekommen und war bis Kriegsende dort.

Sie sagten, es habe Ihnen in Wimmersdorf gefallen?
Ich bin froh, dass ich im Kinderheim Wimmersdorf war. Dort hab ich Schulbildung bekommen und die Köchin wäre heutzutage eine Gourmet-Köchin.

Zeitzeugen aus den 1960er- und 1970er-Jahren sprechen von grausigem Essen.
Zu meiner Zeit nicht. Der Heimdirektor Stellbogen war Nazi-Bürgermeister und Träger des goldenen Parteiabzeichens. Der hat von den Bauern aus der Umgebung alles bekommen, was er für die Kinder gebraucht hat. Wir haben noch zu Kriegsende so viel Fettes zu essen bekommen, dass wir die Scheißerei gekriegt haben.

Können Sie sich an militärischen Drill erinnern?
Das stimmt so nicht. Also Ordnung war im Heim schon wichtig. Wir sind halt mit den Händen am Rücken in Zweierreihen durchs Heim gegangen. Oder in den Wald Kräuter sammeln.

Wie sind die Erzieherinnen mit den Kindern umgegangen?
Die Erziehung war streng und ich war sicher keiner der Bravsten. Wenn jemand etwas angestellt hat und keiner hat sich gemeldet, sind immer der J. oder ich drangekommen. Manchmal zu Recht, manchmal zu Unrecht.

Dann wurden Sie bestraft ...
Es gibt keine antiautoritäre Erziehung. Genauso wie bei Tieren, die im Zirkus dressiert werden. Wenn ein Kind etwas angestellt hat und man stellt es ins Winkerl, lacht es einen ja aus. Eine gute Dätsch’n oder Dachtel hat noch niemandem geschadet.

Kinder zu schlagen, ist in Ihren Augen richtig?
Ich bin ja oft geprügelt worden. Da gab es Bastonnaden von der Tante Christl (Erzieherin, Anm.) auf die Fußsohlen – 100 auf die eine, 170 auf die andere Fußsohle. Oder die eine Lehrerin, die immer Schläge mit dem Bartwisch auf die Handfläche oder die Fingerspitzen verteilt hat. Oder es gab 200, 300, 500 Kniebeugen als Strafe.

Hat auch Direktor Stellbogen zugeschlagen?
Der Herr Direktor war ja eigentlich ein feiner Kerl. Ab und zu hat er mit der Hundspeitsch’n zugeschlagen. Ich mein, ich hatte es ja verdient. Wenn man schlimm war, sind einem die Haare abgeschert worden. Und ich hab’ der Erzieherin die Schermaschine aus der Hand gerissen und im 2. Stock aus dem Fenster gehaut. Klar, dass ich meine Hieb’ bekommen hab.

Sie finden das alles richtig?
Heute übertreibt man mit vielen Sachen... Glauben Sie, die Polizei prügelt heute nicht, wenn’s jemanden verhaftet? Das ist halt so. Man muss die Sachen ehrlich sehen. Ich bin ja gegen Prügeln, aber es gibt keine andere Erziehungsmethode. Ich könnte mich jetzt auch hinstellen und sagen, ich hol mir Geld für die Schläge. Das ist ja idiotisch.

Noch eine Frage: Gab es eine Psychiatrie oder können Sie sich an Tötung von Kindern in dem Heim erinnern?
Nein, das hat es nicht gegeben. Keine Tötungen und keine Psychiatrie.

"Verwahrlosung, rückständige Intelligenz. Überstellung ins Kinderheim Wimmersdorf“, hieß es 1941 in einem Spiegelgrund-Gutachten über Franz P., 10. Dies lasse „nicht unbedingt den Schluss zu, dass dort Euthanasie durchgeführt wurde“, schrieb der Forscher Karl Cervik im Jahr 2001. Aber es müsse in Wimmersdorf „eine psychiatrische Einrichtung bestanden haben“.

Experten der Euthanasie-Geschichte der Nazis sind vorsichtig. Peter Malina: „Systematische Morde sind in Kinderheimen nicht durchgeführt worden.“ Herwig Czech: „In der Regel wurde am Spiegelgrund psychiatrisch untersucht. Aber Ärzte sind auch in Heime gefahren, um Kinder für die Euthanasie auszuwählen.“ Ob Wimmersdorf dazugehörte ist (noch) nicht bekannt.

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