Tote in Italien: Sind Blutdrucksenker schuld?
Warum sterben in Italien so viele Menschen an Covid-19? Laut Dorothee von Laer, Virologin an der Medizinischen Universität Innsbruck, könnte die häufige Verwendung von ACE-Hemmern gegen Bluthochdruck damit zu tun haben. „Es gibt die Hypothese, dass bestimmte Bluthochdruck-Medikamente in Italien häufiger verabreicht werden und deshalb die Sterblichkeit dort so hoch ist“, so die Virologin im Ö1-Interview.
Die Erklärung: Beim Eintritt der Corona-Viren in die Zellen scheint der sogenannte ACE2-Rezeptor eine wichtige Rolle zu spielen. Medikamente wie die blutdrucksenkenden ACE-Hemmer könnten also bewirken, dass man noch empfänglicher für das Virus wird.
Keine Beweise
Eine Theorie, die die ÖKG (Österreichische Kardiologische Gesellschaft), zurückweist. Es gebe keinen Beweis dafür, dass diese Medikamente in Italien häufiger als bei uns verwendet werden. Der postulierte Zusammenhang zwischen einer Covid-19-Infektion und den genannten Medikamenten sei rein spekulativ und leitet sich aus tierexperimentellen Befunden ab. Andere Studien gäben stattdessen – ebenfalls spekulativ – gegenteilige Hinweise, wonach die entsprechende Therapie den Verlauf einer Covid-19-Infektion sogar abschwächen könnte. „Ein schlüssiger wissenschaftlicher Beweis für einen Zusammenhang liegt nicht vor“, sagt Peter Siostrzonek, Präsident der ÖKG im Gespräch mit dem KURIER.
Nicht nur in Italien, auch in Österreich kommen diese blutdrucksenkenden Medikamente zum Einsatz. Und sollen es auch weiterhin. „Als ÖKG empfehlen wir, eine bestehende Medikation mit ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptor-Blockern unbedingt beizubehalten. Ein Absetzen der Medikamente oder ein Wechsel auf andere Präparate ist nicht indiziert und sollte wegen des Risikos eines akuten Herzinfarktes oder Schlaganfalls unbedingt vermieden werden“, betont Siostrzonek.
Die Empfehlungen der ÖKG stehen im Übrigen im Einklang mit jenen aller europäischen und amerikanischen Kardiologischen Gesellschaften. Abgesehen vom nicht bewiesenen Zusammenhang zwischen ACE-Hemmern und einer Covid-19-Infektion gibt es etliche Vermutungen für die hohe Sterblichkeitsrate in Italien. Einer liegt in der Form des Zusammenlebens: In Italien wohnen, anders als in Österreich, Deutschland oder Skandinavien, jüngere und ältere Generationen häufig unter einem Dach, was das Infektionsrisiko der gefährdeten Älteren erhöht.
Andere Zählweise
Hinzu kommt die unterschiedliche Zählweise in den europäischen Ländern. Italien testet inzwischen generell Todesfälle auf das Coronavirus, was dazu führt, dass der Anteil in der italienischen Statistik stärker ansteigt als in anderen Ländern. Und: Ein Todesfall wird dem Coronavirus unabhängig von Vorerkrankungen zugeschrieben, unabhängig davon, ob Covid-19 den Tod verursacht oder die Erkrankung als Beschleuniger gewirkt hat. Das italienische Gesundheitsinstitut ISS kommt in einer Studie zum Schluss, dass nur ein sehr kleiner Anteil der Verstorbenen keinerlei Vorerkrankung hatte.
Zweifel am Vergleich
Ähnlich beurteilt das auch Virologe Heinz Burgmann im Gespräch mit dem KURIER und schickt voraus, dass es schwierig sei, Länder miteinander zu vergleichen. „Es gibt viele Faktoren, die eine Statistik verfälschen, da muss man aufpassen.“ Ein Unterschied zwischen Italien und Österreich ist etwa, wer als infiziert gilt und wie getestet wird, erklärt Burgmann. „Wir bezeichnen jene als infiziert, die Symptome zeigen. Die werden auch getestet.“ In Italien werden nur mehr Infizierte mit schweren Symptomen getestet. Möglicherweise leicht Erkrankte ohne Symptome werden hingegen nicht getestet. Die in Österreich laut Tests besonders stark betroffene Altersgruppe habe einen vergleichsweise milden Krankheitsverlauf. „Der Großteil der nachgewiesenen Infizierten ist zwischen 45 und 54 Jahre alt. Die Sterblichkeit ist in dieser Altersgruppe gering.“ In Italien waren bisher viele Verstorbene über 80. „Sie haben ein anderes, sehr altes Kollektiv, das positiv getestet wurde. Die Patienten hatten zumindest zwei Grunderkrankungen.“
Grundsätzlich sei der Zeitpunkt für Vergleiche ungünstig, heißt es seitens der Weltgesundheitsorganisation WHO. „Die Fallsterblichkeitsrate ist rätselhaft“, sagt WHO-Experte Richard Pebody gegenüber der Deutschen Presseagentur und warnt aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen davor, Länder direkt gegenüberzustellen. Es gebe aber Erklärungsansätze, unter anderem den Zeitfaktor. In Italien dürften die ersten Fälle schon viel früher unentdeckt aufgetaucht sein und das Virus habe sich unbemerkt verbreitet. Viele Patienten seien wochenlang auf der Intensivstation gelegen, bevor sie starben.