Wissen/Wissenschaft

Psychedelika bei Long Covid: Rauschmittel als Medizin?

Kurzatmig, antriebslos und hirnvernebelt – dazu Probleme mit dem Herz, der Verdauung, dem Zyklus und der Konzentration: Fast ein Jahr lang musste sich die 31-jährige Ruth von Long Covid zermürben lassen. Irgendwann, erzählt sie dem Magazin Time, sei sie gewillt gewesen, auch das Abwegigste zu versuchen, um ihr Leid zu lindern. Also probierte sie es mit halluzinogenen Drogen, auch Psychedelika genannt.

Auf Erfahrungen damit konnte die US-Amerikanerin bereits zurückgreifen: Sie hatte besagte Substanzen in der Vergangenheit probiert. Auch darüber, dass die klinische Erforschung ihrer Wirkung bei minimaler Dosierung zur Behandlung von Depressionen, Ängsten und Süchten boomt, wusste Ruth Bescheid.

Fünf Gramm zum Glück

Sie hatte ohnehin nichts zu verlieren. Im Dezember 2021 nahm sie eine Fünf-Gramm-Dosis Psilocybin, den psychoaktiven Bestandteil von Magic Mushrooms. Sie sollte die 31-Jährige auf einen Trip führen, der ihr Leben veränderte – oder besser gesagt: wieder in den Normalzustand versetzte.

Am Tag nach dem Rausch wachte sie ohne Herzrasen auf. Sie konnte buchstäblich aufatmen – die Kurzatmigkeit war verschwunden. Ihre Menstruation pendelte sich ein, der Hirnnebel lichtet sich, ihr Antrieb kehrte zurück. Dank Psilocybin, wie Ruth inzwischen überzeugt ist. "Das ist wahrscheinlich für viele Menschen schwer zu glauben", sagt sie. "Aber es hat wirklich funktioniert."

Mehr als ein Einzelfall

Ein Einzelfall belegt in der Wissenschaft nichts. Allerdings mehren sich Berichte über die positive Wirkung psychedelischer Drogen bei Long Covid, ein Syndrom für das es vielversprechende Therapieansätze, aber nach wie vor kein Heilmittel gibt.

Klinische Studien zum kurativen Potenzial von LSD, halluzinogenen Pilzen oder Ayahuasca bei Long Covid gibt es freilich noch nicht. Der Weg dorthin ist ein weiter. Forschenden wie Joel Castellanos von der University of California werden allerdings immer wieder Patientengeschichten zugetragen, die einen positiven Effekt zumindest nahelegen. Castellanos, der aktuell an der Publikation von Fallberichten arbeitet, ist "begeistert von Psychedelika", sagt er Time. "Es ist eine ganz neue Art, viele verschiedene Symptome zu betrachten, die Menschen erleben."

Sue Sisley erforscht Psilocybin am Scottsdale Research Institute in Phoenix. Und sie arbeitet an einer Long-Covid-Klinik. Auch sie interessiert sich für die Verwendung von Halluzinogenen als Long-Covid-Therapeutikum, nachdem ihr Patientinnen und Patienten von erfolgreichen Selbstversuchen erzählten.

Vorsicht ist geboten

Sie sei zunächst "skeptisch" gewesen, sagt sie. Aber: "Keines der Medikamente, die ich ihnen verschrieben habe, hat wirklich geholfen." Sie engagiert sich derzeit für eine Forschungsfinanzierung, über die im US-Bundesstaat Arizona 30 Millionen Dollar für die Erforschung des therapeutischen Potenzials von Psilocybin bei 13 verschiedenen Erkrankungen, darunter Long Covid, bereitgestellt würden.

Sisley vermutet, dass Psilocybin Betroffenen helfen könnte, indem es neue neuronale Verbindungen und Gewebewachstum im Gehirn stimuliert und Entzündungen im gesamten Körper reduziert. Aus Tierstudien weiß man, dass psychedelische Drogen bei Nagetieren entzündungshemmende Wirkungen entfalten. Ob sich diese Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen, ist fraglich.

Saleena Subaiya, Ärztin und Forscherin am Irving Medical Center der Columbia University, erkrankte nach einer Corona-Infektion ebenfalls an Long Covid. Nun leitet sie eine kleine Pilotstudie, um zu untersuchen, ob eine Einzeldosis halluzinogener Medikamente die Beschwerden lindern könnte. Den Probandinnen und Probanden wird ein psychoaktives Medikament verabreicht. In der Folge wird ein Forschungsteam sie zwei Monate lang beobachten, um festzustellen, ob sich die Symptome bessern.

Subaiya macht sich keine allzu großen Hoffnungen. Trotz diverser Gerüchte in der Forschungsszene gebe es keine soliden Wirksamkeitsbelege. "Der sicherste Weg, sich mit diesen Substanzen zu beschäftigen, wäre im Moment eine Studie", sagt Subaiya, die von Experimenten auf eigene Faust abrät. "Wir haben es hier mit sehr starken psychoaktiven Medikamenten zu tun. Hier ist große Vorsicht angesagt."